Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Wie wirken Steuersenkungen bzw. die berühmte "Flutung" der Märkte?

23.01.2001  |  dottore
Zwei Dinge möchte ich aus meiner Sicht klar stellen:

1. Die Wirkung von Steuersenkungen und
2. Die Wirkung der "Flutung der Märkte"

Grundsätzlich: Wir müssen immer unterscheiden zwischen bereits vorhandenen bzw. erwarteten (weil vereinbarten) Einkommen und dem bereits vorhandenen Kapitalstock soweit es Financial Assest sind - und den bisher noch nicht am Markt erschienenen (unerwarteten, bzw. nicht vereinbarten) Einkommen und neuen Financial Assests, die nur in die Welt kommen können, wenn gleichhohe Passivsalden erscheinen, Klartext: Schulden gemacht werden.


FALL A (das Vorhandene)

I. Steuersenkungen bedeuten, dass ein Teil der Einkünfte jetzt vom Einkommensbezieher selbst ausgegeben wird und nicht auf dem Weg über die staatlichen Budgets von dorther ausgegeben werden. Das "Geld" ist ja so oder so bereits vorhanden. Senkt der Staat die Steuern, bedeutet dies sehr wenig, denn das einzige, was gewonnen wird, ist
a) Zeit (Bürger gibt Geld selbst aus und das Geld muss nicht den Umweg über den Fiskus nehmen) und b) Produktivität (Geld, das der Bürger ausgibt, kommt in jene Bereiche, die der Bürger wünscht und setzt dort Prozesse in Gang, an deren Ende eine Wirtschaft steht, die genau das produziert, was der Konsument auch haben will).

Beispiel: Ein privat genutzter Van ist besser als ein militärgenutzter Jeep. Dieser Effekt reicht aber auf keinen Fall aus, einer Wirtschaft einen gewaltigen zusätzlichen Push zu geben, sondern er optimiert den normalen Prozess nur marginal.

II. Märkteflutung durch die Notenbank. Dies geht nur, indem die Notenbank ihren Satz für die Hereinnahme von bereits platzierten (!) Titeln senkt bzw. diese Titel zusätzlich ankauft. Also z.B. Langläufer hereinnimmt, woraufhin deren Kurs steigt, die Rendite sinkt, damit der Zinssatz für (eventuell neu aufzunehmende) Kredite ebenfalls sinkt. Ob aber deshalb neue Kredit aufgenommen werden, steht in den Sternen. Die Fed wird mit ihrer "Flutung" zunächst nichts anderes tun als die Zinsen am kurzen Ende senken. Dabei war der Hinweis auf die sich abzeichnende inverse Zinskurve sehr wichtig! Das mag das Los der bereits existenten Schuldner erleichtern, das ist aber auch schon alles. Schulden tilgen kann sie nicht! Keine Notenbank kann Schulden tilgen! Es ist niemals Netto-Geld, was sie schafft, sondern sie behandelt nur die bereits existenten Gelder (zweimal verbucht, daher auch bereits passiv besetzt) in ihren aktuellen Konditionen.

Die Wirtschaft kann einen Push aber nur bekommen, wenn sich in der Wirtschaft selbst (Produzenten, Konsumenten) n e u e Schuldner zeigen. Diese müssen sich zeigen (siehe Debitismus), wenn die a l t e n Schuldner nicht untergehen sollen, da in keiner Wirtschaft das "Geld" zur Bezahlung von Zinsen bzw. Gewinn sub summa vorhanden ist. Alles Geld, das vorhanden ist, ist bereits ausgegeben bzw. es wird benötigt, um - als Gegenbuchung zu den vorhandenen alten Schulden - diese aus der Welt zu schafffen, aber wie gesagt ohne Zinsen und Gewinne.

Nun braucht die US-Wirtschaft fraglos einen Push. Der kann mit den Maßnahmen wie besprochen allein n i c h t und n i e m a l s erreicht werden. Deshalb kommt alles darauf an, ob die Steuersenkungen und die "Flutungen" ein psychologisches Klima schaffen, um zusätzliche Verschuldungen einzugehen (Kredite zu nehmen), die ihrerseits ex nihilo entstehen können (ich gehe in den Laden und kaufe den Ferrari auf Pump).


FALL B (das Kommende)

I. Steuersenkungen können dazu dienen, die bereits vorhandenen Schulden abzutragen. Damit aber ist dem Nettoneuverschuldungszwang, dem das System permanent und gandenlos unterliegt, in keiner Weise geholfen. Steuersenkungen können aber auch dazu dienen, n e u e Kredite zu kontrahieren, wobei als Sicherheit dann das höhere Nettoeinkommen (jetzt privat frei verfügbar, bisher in Höhe der Steuersenkungen an den Staat gegangen) gelten kann. Ich kriege mit 100.000 US$ privat disponibles Einkommen einen höheren Kredit als wenn ich nur ein Einkommen von 90.000 US$ habe. O b ich aber mich zusätzlich verschulde (weil mein Verschuldungspotential sich erweitert hat und sicher auch meine Bonität), kann eine Steuersenkung allein nicht bewirken. Jemand, der zu seinen 10 unbelasteten Grundstücken noch ein elftes dazu bekommt, muss deshalb nicht anfangen, das elfte oder ein anderes oder gar alle Grundstücke zu beleihen.

Ob Steuersenkungen also "pushen" ist keine Frage der Vergangenheit, sondern eine des Verhaltens von verschuldungsbereiten und jetzt verschuldungsfähigeren Marktteilnehmern in der Zukunft. Niemand ist gezwungen, einen Kredit aufzunehmen und es gibt kein System der Welt, das seine Bürger dazu zwingen kann.

Steuersenkungen sind daher nicht mehr und nicht weniger als ein A n g e b o t , sich stärker zu verschulden (summenmäßig, die Verschuldungsquote kann ja gleich bleiben). Ob es aber geschieht, liegt in der Entscheidung der Wirtschaftsteilnehmer allein. Kommen keine neuen Kredite zustande, passiert überhaupt nichts (oder nur sehr wenig, siehe oben), und alles mündet in die Frage: Wie gut sind die Amis drauf, denn nur sie selbst (!) können sich aus der heraufziehenden Rezession befreien und niemals der Staat! (Es sei denn, der Staat bucht die privaten Schulden auf sich um und die Bürger, jetzt "entschuldet", fangen wieder an, neue Kredit zu nehmen).

In Japan hat das wie wir wissen nicht funktioniert - trotz Hereinnahme von faulen Krediten in die Staatsrechnung, trotz Super-Konjunkturprogrammen trotz Steuersenkungen im April 1999. Aber vielleicht auch nur, weil die Japaner psychologisch anders drauf sind als die Amerikaner.

II. Flutung. Der Anreiz, sich zu niedrigeren Zinsen netto neu und zusätzlich zu verschulden, ist zweifellos gegeben. Aber das hat nichts mit einer "Flutung" zu tun, sondern wenn man schon Bild bleiben will: Fluten, d.h. zusätzliche Kredite zu kontrahieren - das kann keine Notenbank, sondern ebenfalls nur die private Wirtschaft, die es für attraktiv ansehen kann, sich zu kommoderen Sätzen neu und zusätzlich (!) zu verschulden.

Auch hier gehts ausschließlich um Psychologie. Riskiere ich neue Kredite oder nicht? Auch zu Mini-Sätzen kann keiner gezwungen werden, neue Schulden zu machen (siehe auch dazu Japan). Ob er es tut, entscheidet er selbst (Markteinschätzung, Konjunktureinschätzung usw.).

WICHTIG: Wenn ich drüben Unternehmer oder Privatmann wäre, was würde ich tun? Selbst wenn ich nur an eine kurzfristige Konjunkturdelle glaubte, würde ich doch zumindest warten, bis die Zinsen viel tiefer stehen als sie heute stehen. Schon Bethmann hat immer wieder betont, dass Zinssenkungen genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie beabsichtigen: Sie veranlassen nicht etwa die Wirtschaft, gleich zu Beginn der Zinssenkungen zu investieren (oder Privtakonsumkredite usw. aufzunehmen), sondern zu w a r t e n ! Denn es hat ja wenig Sinn, zu 10% aufzunehmen, wenn ich weiß, dass ich in einem Jahr vielleicht bloß 5% bezahlen muss.

Da das US-Zinsniveau (Prime Rate knapp um die 10 %!) noch immer als extrem hoch angesehen werden muss, wird das "Fluten" (Klartext: Zinssenkungen via Hereinnahme von bereits existenten Titeln) möglicherweise genau das Gegenteil von dem bewirken, was "common sense" ist: Es kommt zum Attentismus, d.h. zur Wartehaltung.
Das aber beschleunigt den Niedergang via Rezession in eine mögliche Depression. Kommen noch sinkende Preise dazu, wird noch länger gewartet, weil sich Warten auszahlt und wenn gewartet wird, tritt genau das ein, was erwartet wurde: Noch tiefere Preise (oder wie oben noch niedrigere Zinsen).

Daher liegt das Dilemma der USA auf der Hand:

Die Steuersenkungen könnten als Push völlig verpuffen, da sie in erster Linie dazu dienen werden, die eigenen privaten Bilanzen zu bereinigen (Kredittilgung statt neuer Kreditaufnahme).

Die Flutungen werden erst dann wirksam, wenn das Becken voll ist, sprich die Zinsen so weit gesenkt sind, dass mit einer weiteren Senkung nicht mehr gerechnet wird. Bis dahin geschieht nichts, denn jeder, der seine Kapitalkosten mutwillig höher treibt als er müsste (ich verschiebe eben lieber die Investition bzw. Anschaffung), wäre ein Idiot und außerdem könnte er es Dritten gegenüber nie erklären (Frage auf der HV: "Warum haben sie zu 10 % finanziert, wo doch abzusehen war, dass sie wenig später günstiger finanzieren konnten?" Frage der Ehefrau: "Warum hast Du den Ferrari zu diesen Finanzierungskonditionen gekauft, denn heute stünden wir doch viel besser da und so lange hätte der alte Wagen auch noch gehalten?").

Beides - Steuersenkung und Flutung - holt also unter keinen Umständen automatisch (!) die Wirtschaft aus der Rezession. Es kann nur beobachtet werden (was hier nun sehr genau geschieht) und es hängt alles von der Stimmung (Optimismus, Pessimismus) ab.

Es ist wie mit Aktien. Warum soll ich eine zu 100 $ und einem Margin zu 15 % kaufen, wenn ich das "Gefühl" habe, ich kriege sie in einem Jahr zu 10 $ und einem Margin zu 1,5 %? Das Gefühl kennen wir nicht a priori, aber die EWA gibt immerhin hervorragende Hinweise daruf, ob wir uns mehr in Richtung eines Downs oder eines Ups bewegen und wo wir uns in den Downs oder Ups befinden.

Die Fed hat auf ganzer Linie versagt, denn sie hätte (nach ihrem Modell) die Zinsen schon vor Jahr und Tag senken müssen, um die Wirtschaft abzukühlen (warten bringt Gewinn). Jetzt m u s s sie es tun, aber jeder dreht Alan Greenspan eine Nase und sagt ihm: Ja, Alan, wir werden schon wieder neue Kredite nehmen, aber erst nachdem Du Deine Zinsen auf 1,0 % gesenkt hast. Und bis dahin ist noch ein langer Weg und während die Fed sich über diesen Weg quält, wird sich jeder bestätigt sehen, der gewartet hat, denn die Früchte seines Wartens reifen sichtbarlich. Und derweil schmiert die Chose immer kräftiger ab.

Und dass US Government seine Steuersenkungen mit einem Griff in die Rentenkasse finanziert, spricht für sich selbst.

Das - leider etwas länger - zur Klärung der Geister.


© dottore



Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"