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Die neue alte Zinsfeindschaft

30.12.2013  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Was ist der Zins? Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Die einen sagen, der Zins ist der Preis des Geldes, andere sagen, der Zins sei Wucher, und wieder andere sagen, der Zins sei eine Hürde für das Wirtschaftswachstum. Doch all diese Antworten - so auf- und anregend sie auch sein mögen - geben keine wirklich erhellende Antwort auf die Frage.

Was also ist der Zins? Der Zins bezeichnet ein Wertverhältnis. Er bezeichnet den Wertzuschlag den ein Gut, das gegenwärtig verfügbar ist, gegenüber dem Gut, wenn es erst künftig verfügbar ist, besitzt. Dahinter verbirgt sichdie Erkenntnis, dass Menschen einen Apfel heute höher schätzen als einen Apfel, der erst in einem Jahr verfügbar ist. Oder: Eine Feinunze Gold, über die man heute verfügt, ist mehr wert als eine Feinunze Gold, die man erst in einem Jahr erhält. Nehmen wir an, eine Feinunze Gold, die man erst in einem Jahr erhält, wird für 1.090 US-Dollar pro Feinunze im Markt angeboten. Der aktuelle Preis der Feinunze ist hingegen 1.200 US-Dollar pro Feinunze. Der Zins ist folglich 10 Prozent: 1.200 dividiert durch 1.090 (minus eins).

Der Zins ist eine Kategorie des menschlichen Handelns und Ausdruck der Zeitpräferenz. Der Begriff Zeitpräferenz bezeichnet, wie stark das Gegenwärtige dem Zukünftigen vorgezogen wird. Ist die Zeitpräferenz hoch, so hat man eine große Vorliebe für den gegenwärtigen Konsum im Vergleich zum zukünftigen Konsum. Ist die Zeitpräferenz niedrig, ist es umgekehrt: Man ist bereit, den gegenwärtigen Konsum zu Gunsten des künftigen Konsums ein-zuschränken.

Je mehr jemand auf gegenwärtigen Konsum verzichtet, also spart, desto höher wird nun jedoch sein Nutzenverzicht. Der Verzicht auf den ersten Euro, der nicht für Kinkerlitzchen ausgegeben wird, schmerzt nicht so sehr. Aber je mehr Konsumverzicht geübt wird, desto mehr gehen wertvollere Genüsse verloren. Je mehr jemand also spart, desto schmerzlicher wird auch der Verzicht.

Anders gesprochen: Je mehr man spart, desto wertvoller werden gegenwärtig verfügbare Güter im Vergleich zu erst künftig verfügbaren Gütern. Folg-lich ist der Wertabschlag des künftig verfügbaren Gutes im Vergleich zum gegenwärtig verfügbaren Gut umso höher, je mehr man spart. Und dieser Wertabschlag macht den Zins aus. Der Zins ist, wie bereits angemerkt, Ausdruck der Zeitpräferenz.

Der Zins bildet sich durch das Angebot von und die Nachfrage nach Ersparnissen auf dem Markt. Die Ersparnis steigt mit steigendem Zins, während die Nachfrage nach Ersparnissen mit fallendem Zins zunimmt.

Der Marktzins setzt sich dabei aus dem "Urzins" - der für die Rate der Zeitpräferenz steht - und weitere Prämien - wie Risiko-, Inflations- und Liquiditätsprämie - zusammen. In einer freien Marktwirtschaft ist der "Urzins" notwendigerweise positiv. Denn Gegenwartsgüter werden höher wertgeschätzt als Zukunftsgüter. Ein negativer Urzins würde bedeuten, dass das Zukünftige höher geschätzt wird als das Gegenwärtige. In solch einem Fall würde der Handelnde fortwährend auf Konsum verzichten, er würde niemals konsumieren! Ein negativer Urzins ist unmöglich.


Ruf nach negativen Zinsen

Doch bekannte Ökonomen wie Larry Summers und Paul Krugman vertreten die Auffassung, der "gleichgewichtige Zins" sei negativ. Sein Argument lautet: Es wird zu viel gespart und zu wenig investiert. Und um Sparen und In-vestieren zum Gleichgewicht bringen zu können, müsse der Zins negativ sein. Daraus wiederum speist sich die Überlegung, das Bargeld abzuschaf-fen. Denn im Falle negativer Zinsen können Sparer ihre Bankguthaben dann nicht mehr abziehen und in Bargeld "flüchten".

Was ist davon zu halten? Nichts. Hinter diesen Gedanken verbirgt sich schlichtweg Unwissenheit über die Natur des Zinses oder eine absichtlich vorgebrachte Irrlehre. Sie stehen in der Tradition des marxistischen Denkens, das danach trachtet, den Zins abzuschaffen. Wie aber kann der Zins negativ werden? Zum einen dadurch, dass die Zentralbank den Zins künstlich tief hält und die Inflation in die Höhe treibt. Ist zum Beispiel der Nominalzins 2 Prozent, die Inflation 6 Prozent, so beträgt der Realzins, also der Zins nach Abzug der Inflation, minus 4 Prozent.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die Zentralbank den Geschäftsbanken einen negativen Zins in Rechnung stellt für Guthaben, die sie bei der Zentralbank unterhalten (müssen). Die Folgen dieser Maßnahme würden die Sparer zu spüren bekommen, und wieder einmal insbesondere die (Klein-)Sparer. Vor allem vier unmittelbare Effekte sind zu beachten. Erstens: Ein negativer Einlagenzins reduziert die Gewinne der Banken. Folglich sinkt auch ihr Spielraum, um Eigenkapital aus einbehaltenen Gewinnen aufzubauen. Die Folge: Der Steuerzahler wird verstärkt zur Kasse gebeten, wenn es gilt, strauchelnden Banken neues Eigenkapital bereitzustellen.

Zweitens: Ein Negativzins erhöht den Anreiz für Banken, in möglichst "risikoarme" Wertpapiere - wie Anleihen von vergleichsweise guten Staatsschuldnern - zu investieren. Der Kauf von Staatsanleihen erfolgt zu Lasten der Kreditgewährung an Unternehmen und Konsumenten. Drittens: Die Euro-Banken reichen den negativen Einlagenzins an ihre Privatkundschaft weiter. In einem Nullzinsumfeld kommt es dann sogar zu einer effektiven negativen Verzinsung für Bankeinlagen: Die Nominalbeträge von Sicht-, Termin- und Spareinlagen schmelzen dahin. Die Verluste der Bankkunden sind die Gewinne der Banken: In dem Maße, in dem Sicht-, Termin- und Spareinlagen sich verringern, steigt der Ertrag beziehungsweise Gewinn der Banken: Die Verluste der Bankkunden erscheinen als neues Eigenkapital in den Bilanzen der Banken.

Viertens: Erkennen die Sparer den Wertverfall ihrer Bankeinlagen, werden sie vermehrt Bargeld halten. Die Banken verlieren dadurch ihre Refinanzierungsbasis, die von der EZB durch neue Kredite und neues Geldmengenschaffen ersetzt werden muss. Und letztlich werden auch noch Auslandsinvestoren abgehalten, Euro-Guthaben zu erwerben, wenn ihnen die Euro-Banken, bei denen sie ihre Kontoguthaben halten, negative Einlagenzinsen in Rechnung stellen. Eine nachlassende Euro-Nachfrage wertet den Wechselkurs des Euro gegenüber anderen Währungen ab.

Das Erheben eines negativen Einlagenzinses für Guthaben, die die Euro-Banken bei der EZB halten, kommt nicht unerwartet. Es ist die logische Folge einer Geldpolitik, die die Kosten der Euro-Überschuldungskrise durch ein Entwerten des Geldes und der Ersparnisse möglichst still und heimlich finanzieren will.


Boom-und-Bust

Ein negativer Zins wird zudem auch wirtschaftliche Fehlentwicklungen in Gang setzen. Er wird vor allem das Zusammenspiel von Sparen, Konsum und Investitionen, das durch den Zins koordiniert wird, stören. Fehlinvestitionen werden so in Gang gesetzt, die die Volkswirtschaften nachfolgend teuer zu stehen kommen, dann nämlich, wenn sich zeigt, dass Investitionen unrentabel sind und Arbeitsplätze verloren gehen. Es wird vielfach übersehen, dass der Zins nicht nur ein "Kostenfaktor" (für den Kreditnehmer) und eine Einkommensquelle (für Kreditgeber) ist, sondern dass der Zins dafür sorgt, dass grundsätzlich nur die Investitionsprojekte angegangen werden, für deren Fertigstellung auch die notwendigen Ersparnisse bereitstehen - und zwar aus Konsumverzicht.

Senkt die Zentralbank den Zins künstlich herab durch Ausgabe von neuem Kreditgeld, so scheint es zunächst, dass das Angebot von Ersparnissen zugenommen hat. Die "Reichtumsillusion" lässt bisher nicht gangbare Investitionen finanzierbar erscheinen. Unternehmer weiten daraufhin ihre Kapitalinvestitionen aus, stellen Beschäftigte ein. Doch schon bald merken sie, dass ihre Kalkulation nicht aufgeht. Die Produktionsfaktoren, die die Unternehmer brauchen, um die Investitionen fertigzustellen, sind doch knapper als gedacht (schließlich ist das Ersparnisangebot ja gar nicht angestiegen).

Es sind höhere Preise als ursprünglich gedacht zu bezahlen, und die ursprüngliche Kalkulation erweist sich als Fehlkalkulation. Unternehmer erzielen nicht ihre erhofften Gewinne, sondern machen Verluste. Es folgen Verkäufe von Unternehmensteilen, es gibt Entlassungen, die Produktion schrumpft. Der mit künstlich gesenkten Zinsen angestoßene "Boom" kippt in einen "Bust".


Kapitalverzehr

Wenn die Zinsen für Sparer negativ sind, wird die Spartätigkeit entmutigt oder hört ganz auf. Das Sparen sinkt zu Gunsten der Konsumausgaben. Das kann zwei Effekte haben. (1) Die Preisverzerrungen, für die die künstlich ge-drückten Zinsen sorgen, lassen Investoren vorsichtig werden, die Investitionstätigkeit schwächt sich ab. Der Verschleiß von Maschinen, Anlagen und Inf-rastruktur wird nicht mehr ersetzt. Es kommt zu Kapitalverzehr: Der Gegenwartskonsum erfolgt auf Kosten des künftigen Wohlstands. (2) Die tiefen Zinsen, die Unternehmer zu zahlen haben, setzen tatsächlich Investitionen in Gang.

Sie müssen nun aber, weil die Ersparnisse zu gering sind, mit neuem Geld, das "aus dem Nichts" durch Bankkreditvergabe geschaffen wird, fi-nanziert werden. Die Investitionsfinanzierung wird so zusehends inflationär, und die tiefen Zinsen verleiten zudem noch zu Fehlinvestitionen, wie bereits vorangehend erläutert.

Wie man es auch drehen und wenden mag: Die Politik der künstlich gesenkten Zinsen - einschließlich eines negativen Zinses für Sparer - wird die auf-gelaufenen Probleme nicht aus der Welt schaffen, für die die Tiefzinspolitik gesorgt hat, sondern vielmehr neue Probleme schaffen. Und diese neuen Probleme dürften größer werden als die alten Probleme. Der Grund ist die neue alte Zinsfeindschaft.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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