Deutschlands Schwächung im EZB-Rat
21.06.2014 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
Mit dem "Rotationsmodell" im EZB-Rat sinkt der Einfluss der Bundesbank (weiter).
Voraussichtlich wird Litauen am 1. Januar 2015 das 19. Mitgliedsland im Euroraum. Mit dem Eintritt Litauens käme es im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einer Veränderung der Stimmverhältnisse.
Dazu muss man Folgendes wissen: Bereits Anfang 2003 gab sich der EZB-Rat neue Abstimmungsregeln, um dem Szenario einer weiter anwachsenden Euro-Mitliederzahl Rechnung zu tragen. Die Regeln sehen vor, dass:
Wenn 19 bis 21 Mitgliedsländer am Euro teilnehmen, muss jeden Monat eines der Länder aus der "ersten Gruppe" (d. h. Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien oder die Niederlande) mit seinem Stimmrecht aussetzen.
Das heißt, dass zum Beispiel Deutschland jeden fünften Monat im EZB-Rat nicht stimmberechtigt ist. In einem solchen Monat wäre Deutschland nicht berechtigt, über eine geldpolitische Entscheidung abzustimmen.
Das "Rotationsmodell" sieht allerdings vor, dass sowohl die abstimmenden als auch die nicht-abstimmenden nationalen Zentralbanken, repräsentiert im EZB-Rat durch ihre Präsidenten, an der Sitzung teilnehmen.
Ist zu erwarten, dass der "effektive Einfluss" der Bundesbank im EZB-Rat im Zuge der rotierenden Stimmenrechte leiden wird? Grundsätzlich (und theoretisch) ist die Frage zu bejahen.
Man denke nur einmal an ein Ratstreffen, in dem die Bundesbank, weil sie gerade kein Stimmrecht hat, nicht in der Lage ist, eine Zinssenkung zu verhindern, weil ihre Stimme der Fraktion der Zinssenkungsgegner fehlt.
Allerdings stellt sich mit Blick auf den bisherigen geldpolitischen Kurs der EZB die Frage, ob die Bundesbank(tradition) überhaupt noch maßgeblich für die Geschicke des Euro sein kann.
Die bisherigen Zinsentscheidungen sind schließlich auch zustande gekommen - ob nun gegen oder mit (zähneknirschender) Zustimmung der Bundesbankrepräsentanten.
Ganz offensichtlich hat sich längst eine Mehrheit im EZB-Rat gebildet, die sich abkehrt von einer Geldpolitik, die auf die Bewahrung der Kaufkraft des Geldes hinausläuft. Also selbst dann, wenn die Bundesbank eine ungewollte EZB-Zinspolitik nur noch abschwächen, nicht aber mehr ganz verhindern kann, wäre das Rotationsmodell eine Schwächung für Deutschland.
Die Beschlüsse über das Kapital und die Währungsreserven sowie die Gewinnverteilung der EZB werden weiterhin entsprechend der Anteile erfolgen, die die nationalen Zentralbanken am EZB-Kapital halten. Bei wachsender Mitgliedszahl nimmt der Einfluss der Bundesbank und damit ihr Stimmgewicht natürlich auch hier ab.
Wenn 22 nationale Zentralbanken am Euro teilnehmen, tritt die "zweite Stufe" des Rotationsmodells in Kraft. Sie wird die Stimmenanteile der großen Länder gegenüber den kleineren nicht mehr berühren.
Das Rotationsmodell wird sich vermutlich kaum mehr rückgängig machen lassen: Dazu wäre die Zustimmung aller Euroraum-Länder erforderlich. Würde das Modell neu verhandelt, käme es absehbar zu weiteren Forderungen, die die Ziele der EZB-Geldpolitik betreffen. Der Fehler wurde bereits 2003 begangen, als man der EZB erlaubte, eigenmächtig ihre Abstimmungsregeln zu ändern. Die deutschen Politiker meldeten damals keinen Widerspruch an, die Wähler überblickten nicht die Folgen.
Das Rotationsmodell, das bald greifen wird, läuft auf eine Schwächung des Einflusses der Bundesbank im EZB-Rat hinaus. So ist es angelegt, und daran gibt es wohl keinen Zweifel.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
Voraussichtlich wird Litauen am 1. Januar 2015 das 19. Mitgliedsland im Euroraum. Mit dem Eintritt Litauens käme es im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einer Veränderung der Stimmverhältnisse.
Dazu muss man Folgendes wissen: Bereits Anfang 2003 gab sich der EZB-Rat neue Abstimmungsregeln, um dem Szenario einer weiter anwachsenden Euro-Mitliederzahl Rechnung zu tragen. Die Regeln sehen vor, dass:
- (1) die Euro-Mitgliedsländer in Gruppen eingeteilt werden, die ihre wirtschaftlich-finanzielle Bedeutung widerspiegeln;
- (2) die Zahl der Stimmen im EZB-Rat auf 21 Stimmen begrenzt wird (bestehend aus den sechs Stimmen des EZB-Direktoriums plus 15 Stimmen der nationalen Zentralbanken).
- (3) die Stimmrechte der nationalen Zentralbank im EZB-Rat "rotieren", und zwar dann, wenn die Anzahl der nationalen Zentralbanken die Zahl 18 übersteigt.
Quelle: EZB Monatsbericht, Mai 2003, S. 84. Rot umrandet: Ursprünglicher Plan: Im Jahr 2008 wurde jedoch beschlossen, mit der Rotation erst bei 19 nationalen Zentralbanken zu beginnen.
Wenn 19 bis 21 Mitgliedsländer am Euro teilnehmen, muss jeden Monat eines der Länder aus der "ersten Gruppe" (d. h. Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien oder die Niederlande) mit seinem Stimmrecht aussetzen.
Das heißt, dass zum Beispiel Deutschland jeden fünften Monat im EZB-Rat nicht stimmberechtigt ist. In einem solchen Monat wäre Deutschland nicht berechtigt, über eine geldpolitische Entscheidung abzustimmen.
Das "Rotationsmodell" sieht allerdings vor, dass sowohl die abstimmenden als auch die nicht-abstimmenden nationalen Zentralbanken, repräsentiert im EZB-Rat durch ihre Präsidenten, an der Sitzung teilnehmen.
Ist zu erwarten, dass der "effektive Einfluss" der Bundesbank im EZB-Rat im Zuge der rotierenden Stimmenrechte leiden wird? Grundsätzlich (und theoretisch) ist die Frage zu bejahen.
Man denke nur einmal an ein Ratstreffen, in dem die Bundesbank, weil sie gerade kein Stimmrecht hat, nicht in der Lage ist, eine Zinssenkung zu verhindern, weil ihre Stimme der Fraktion der Zinssenkungsgegner fehlt.
Allerdings stellt sich mit Blick auf den bisherigen geldpolitischen Kurs der EZB die Frage, ob die Bundesbank(tradition) überhaupt noch maßgeblich für die Geschicke des Euro sein kann.
Die bisherigen Zinsentscheidungen sind schließlich auch zustande gekommen - ob nun gegen oder mit (zähneknirschender) Zustimmung der Bundesbankrepräsentanten.
Ganz offensichtlich hat sich längst eine Mehrheit im EZB-Rat gebildet, die sich abkehrt von einer Geldpolitik, die auf die Bewahrung der Kaufkraft des Geldes hinausläuft. Also selbst dann, wenn die Bundesbank eine ungewollte EZB-Zinspolitik nur noch abschwächen, nicht aber mehr ganz verhindern kann, wäre das Rotationsmodell eine Schwächung für Deutschland.
Die Beschlüsse über das Kapital und die Währungsreserven sowie die Gewinnverteilung der EZB werden weiterhin entsprechend der Anteile erfolgen, die die nationalen Zentralbanken am EZB-Kapital halten. Bei wachsender Mitgliedszahl nimmt der Einfluss der Bundesbank und damit ihr Stimmgewicht natürlich auch hier ab.
Wenn 22 nationale Zentralbanken am Euro teilnehmen, tritt die "zweite Stufe" des Rotationsmodells in Kraft. Sie wird die Stimmenanteile der großen Länder gegenüber den kleineren nicht mehr berühren.
Quelle: EZB Monatsbericht, Mai 2003, S. 85. Die erste Stufe beginnt, anders als ursprünglich geplant, nun erst bei 19 nationalen Zentralbanken.
Das Rotationsmodell wird sich vermutlich kaum mehr rückgängig machen lassen: Dazu wäre die Zustimmung aller Euroraum-Länder erforderlich. Würde das Modell neu verhandelt, käme es absehbar zu weiteren Forderungen, die die Ziele der EZB-Geldpolitik betreffen. Der Fehler wurde bereits 2003 begangen, als man der EZB erlaubte, eigenmächtig ihre Abstimmungsregeln zu ändern. Die deutschen Politiker meldeten damals keinen Widerspruch an, die Wähler überblickten nicht die Folgen.
Das Rotationsmodell, das bald greifen wird, läuft auf eine Schwächung des Einflusses der Bundesbank im EZB-Rat hinaus. So ist es angelegt, und daran gibt es wohl keinen Zweifel.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH