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Über Sinn und Unsinn der Ermittlung des Volksvermögens

10.07.2014  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Open in new windowBerechnungen über das Gesamtvermögen der Deutschen sind eine "Fiktion". Für sie gibt es in der Realität keine Entsprechung.

Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland, so verkündete jüngst der Bundesverband deutscher Banken, lag Ende 2013 bei 5,2 Billionen Euro. Rechnet man das Immobilienvermögen hinzu, so ergab sich ein Gesamtvermögen der Deutschen von mehr als 10 Billionen Euro. Gleich-zeitig beliefen sich die Schulden auf 1,6 Billionen Euro, so dass die Deut-schen über ein "Nettovermögen" von gut neun Billionen Euro verfügten, so der Bankenverband.

Was ist von solch einem Rechenwerk zu halten? Man sollte sie ihm mit großer Skepsis begegnen: Denn es ist eine irrefüh-rende "Illusion". Der Ausweis eines "gesamtwirtschaftlichen Vermögens" entspringt einem Missverständnis über die Wert- und Preisfindung in einer Marktwirtschaft.


Große Fiktion

Ein einfaches Beispiel mag das erläutern. Der Marktpreis einer Aktie ist zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt 100 Euro. Dies sei der Gleichgewichtspreis: Er ergibt sich aus dem Zusammenspiel von einer ganz bestimmten Anzahl von angebotenen und nachgefragten Aktien. Der einzelne Aktionär, der zum Beispiel eine Aktie besitzt, mag damit rechnen, dass er eben genau diesen Preis bei einem Aktienverkauf erzielen wird - und zwar weil er durch seinen Aktienverkauf keinen merklichen Einfluss auf den Marktpreis der Aktie nehmen wird.

Was aber für den einzelnen Aktionär noch gelten mag, gilt ganz bestimmt nicht für alle Aktionäre. Wenn alle Aktionäre ihre Aktien auf den Markt schmeißen, wird der Aktienkurs natürlich stark nachgeben müssen, im Extremfall werden sich gar keine Käufer finden. Es macht daher keinen Sinn, das Gesamtvermögen der Aktionäre zu errechnen, indem die Aktienwerte, die die einzelnen Aktionäre halten, zusammengerechnet werden! Ein solches Gesamtvermögen ist eine reine Fiktion, die sich niemals im Marktgeschehen realisieren lassen wird. Gleiches gilt auch für die Berechnungen des Gesamtvermögens einer Volkswirtschaft. Eine solche Rechengröße ist nicht mehr als eine Zahlenspielerei, die keinerlei Realitätsbezug hat.


Sind Staatsschulden Vermögen?

Ein weiteres Problem ist das Ausweisen der Staatsschulden als Vermögen: Üblicherweise wird der Besitz einer Staatsanleihe als Vermögen des Spa-rers ausgewiesen; und je mehr Staatsanleihen die Menschen besitzen, desto höher ist ihr Vermögen. Dass auch das eine überaus fragwürdige Sichtweise ist, soll mit einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden. Nehmen wird an, Herr Meier kauft sich eine Bundesanleihe für 100 Euro. In seiner Bilanz geschieht folgendes: Die Kasse von Herrn Meier nimmt um 100 Euro ab, sein Wertpapierbesitz steigt um 100 Euro. Es erfolgt also ein "Aktivtausch" in seiner Bilanz.

Ein einfaches Beispiel:

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Doch ist das alles? Nein! Der Staat wird Herrn Meier besteuern müssen, damit der Staat die Zins- und Tilgungszahlungen leisten kann, die die Staatsverschuldung nach sich zieht. In der Bilanz von Herrn Meier taucht also gleichzeitig auch eine Verbindlichkeit auf der Passivseite auf - die daraus resultiert, dass der Staat ihn künftig zur Kasse bitten wird! (Wir vernachlässigen hier die Zinszahlungen.) Das Ausweiten der Staatsschulden, der Erwerb der Staatsschulden, macht Herrn Meier also gar nicht reicher, sondern ärmer! Allerdings unterbleibt meist die "Gegenbuchung" in Form eines Verbindlichkeitsausweises im Kalkül der Sparer. Warum?

Die Antwort ist vermutlich, dass der Käufer von Staatsanleihen meint, dass nicht er, sondern dass andere - allen voran künftige Steuerzahlergenerationen - zur Begleichung der Staatsschulden herangezogen werden. Zwar wird in Staatsschulden ein Vermögenscharakter erblickt (weil man davon ausgeht, Zins- und Tilgungszahlungen zu erhalten), gleichzeitig wird jedoch ausgeblendet, dass es die Steuerzahler selbst sind (zu denen meist auch die Käufer der Staatsanleihen zählen), die die Rechnungen letztlich zu schultern haben.

Wenn man die Erwartung hegt, dass Staatsschulden letztlich zurückgezahlt werden (und sei es mit entwertetem Geld), kann man sie aus der Gesamtvermögensbilanz ganz ausblenden. Mit dieser Sicht wären auch die Forderungen der privaten Haushalte gegenüber zum Beispiel Lebensversicherungsunternehmen (sie beliefen sich Ende 2013 auf 835,9 Milliarden Euro, gegenüber Versicherungen insgesamt auf 1,5 Billionen Euro) und Kapitalanlagegesellschaften, die üblicherweise einen Großteil der Anlagegelder in Staatsanleihen investieren, ebenfalls kein Vermögen.


Umverteilungsphantasien

Der Ausweis des Gesamtvermögens ist jedoch nicht nur von ökonomisch höchst zweifelhaftem Wert. Er ist auch in politischer Hinsicht sehr problematisch. So werden angesichts des "beträchtlichen Gesamtvermögens" in einer Volkswirtschaft regelmäßig Begehrlichkeiten geweckt, die sich in Forderungen nach Umverteilung zeigen.

Wie problematisch das ist, sollte die Erkenntnis gezeigt haben, dass ein volkswirtschaftliches Gesamtvermögen oder auch nur eines Sektors (wie zum Beispiel der privaten Haushalte) nichts anderes ist als eine Fiktion: ein Vermögen, dass es so gar nicht gibt. Zudem darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass Vermögenswerte geschaffen worden sind durch bereits versteuerte Einkommen. Die Einkommen, die zum Erwerb von zum Beispiel Unternehmen, Wertpapieren oder Häusern verwendet wurden, stammen aus Einkommen, die in der Vergangenheit erzielt wurden und die der Besteuerung unterlagen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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