Tiefe Zinsen, hohe Schulden
13.10.2014 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Steigende Schuldenlasten sind möglich dank sinkender ZinsenQuelle: Thomson Financial
Im Euroraum - wie auch in allen anderen großen Währungsräumen - zeigt sich folgendes Bild: Die Zinsen sinken ab, die Schuldenquoten steigen an. Ab Mitte der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sorgte das Bestreben, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und dadurch dem Euro beitreten zu können, in vielen Ländern zu einem Rückgang der Neuverschuldung, vielfach ging die Staatsverschuldung in Prozent des Volkseinkommens sogar zurück.
Begleitet war diese Entwicklung von sinkenden Zinsen. Der Grund: Der "Stabilitäts- und Wachstumspakt" grenzte das Schuldenmachen der Staaten ein - und übte einen mäßigenden Einfluss auf die Zinsen aus. Zudem gingen die Marktzinsen zurück, weil mit dem Euro die Erwartung verbunden war, von nun an sei mit einer stabilitätsorientierten Geldpolitik im Euroraum zu rechnen.
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise änderte sich das Bild. Zusätzliche Konjunktur-ausgaben sowie Löcher in den laufenden Haushalten wurden durch Kreditaufnahme gestopft, und die Staatsschuldenquote stieg stark an - von 66,4 Prozent Ende 2007 auf 92,7 Prozent Ende 2013.
Die anhaltend tiefen Zinsen ermuntern die Staaten zum Wirtschaften auf Pump, etwa um die lahmenden Volkswirtschaften mit kreditfinanzierten Ausgaben in Schwung zu bringen und die Massenarbeitslosigkeit im Euroraum zu senken. Es wäre daher alles andere als verwunderlich, wenn die Schuldenstände der Staaten im Euroraum in den kommenden Jahren weiter an-schwellen.
Zins, Sparen und Investieren - wie Volkswirtschaften wachsen
Der Zins bezeichnet einen Wertabschlag: Heute verfügbare Güter sind mehr Wert als künftig verfügbare Güter. Ist der Marktzins hoch, steigt das Sparangebot. Das heißt, Menschen sind zusehends bereit, weniger zu konsumieren und ihre Mittel produktiv einzusetzen, um dadurch künftig mehr konsumieren zu können.
Genau das beschreibt den Wachstumspfad der Volkswirtschaft: Durch Konsumverzicht und Sparen wird der Kapitalstock gemehrt, der eine zusehends produktivere Wirtschaft erlaubt.
Wenn der Zins von der Zentralbank künstlich abgesenkt wird, hat das weitreichende Folgen. Der sinkende Zins gaukelt ein Ansteigen des Sparmittelangebots vor, das es gar nicht gibt. Es kommt zum "Scheinaufschwung", zum "Boom", der aber früher oder später in sich zusammenfallen muss.
Vor allem aber lässt der sinkende Zins das Sparangebot schrumpfen - im Vergleich zu einer Situation, in der der Zins nicht künstlich abgesenkt worden wäre. Für Investitionen (die tendenziell bei sinkendem Zins zunehmen) stehen zu geringe Ressourcen zur Verfügung - und sie werden durch Bankkredite, denen keine echte Ersparnis zugrundeliegt, gedeckt. Mit anderen Worten: Es kommt zu einer zusehends inflationären Kreditfinanzierung.
Es ist allerdings denkbar, dass bei künstlich gesenkten Zinsen das Investitionsverhalten leidet. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die Zinsen derart niedrig sind, und die Bewertungen für zum Beispiel Aktien, Anleihen und Immobilien bereits recht hoch sind, dass Investoren sich mit Neuinvestitionen zurückhalten - weil sie fürchten, die hohen Preise könnten nachgeben und es daher besser ist, trotz tiefer Zinsen mit Neuengagements abzuwarten; Stagnation stellt sich ein.
Wie dem auch sei: Ein künstliches Herabsenken der Zinsen ist kein "Kavaliersdelikt", es bringt die Volkswirtschaft in ein äußerst schwieriges Fahrwasser: Der Wachstumspfad - der auf einem aufeinander abgestimmten Spar- und Investitionsprozess ruht - wird gestört. Es kommt zu Fehlentwicklungen im "Boom", auf die Korrekturen (Krisen) folgen.
Ein Herabdrücken des Zinses durch die Zentralbank ist folglich kein "Heilmittel", sondern es leitet Fehlentwicklungen ein - die anfänglich meist übersehen werden, die aber früher oder später zutage treten. Tief gedrückte Zinsen befördern nicht etwa den Wachstumsprozess der Volkswirtschaft, sie stören ihn vielmehr.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH