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Negativer Realzins - und seine Folgen

08.02.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
"The pure rate of interest … is determined solely by the time preference of the individuals in the society, and by no other factor."
Rothbard, M. N., (2001 [1962]), S. 331 - 332.


Neue Realität oder fragwürdige Theorie?

In Deutschland haben einige Banken begonnen, auf Sichtguthaben ihrer Kunden einen Strafzins in Höhe von 0,25 Prozent zu erheben. Sie begründen das mit dem negativen Einlagenzins der Europäischen Zentralbank (EZB).(1) Überzeugend ist diese Begründung allerdings nicht. Anfang Dezember 2014 beliefen sich die durchschnittlichen Überschussguthaben, die die Euro-Banken bei der EZB hielten, auf 111,3 Mrd. Euro. Der negative EZB-Einlagenzins - er liegt bei minus 0,2 Prozent - bürdet den Banken somit zusätzliche Kosten von 223 Millionen Euro pro Jahr auf. Umgerechnet auf die Sichtverbindlichkeiten der Kunden von mehr als 4.700 Mrd. Euro ist das eine Belastung von weniger als 0,005 Prozent. Vermutlich handeln die Banken, die schon einen Strafzins erheben, im Vorgriff auf Kommendes.

In der Tat ist nicht auszuschließen, dass schon bald immer mehr Euro-Geldhäuser ihre Kunden zur Kasse bitten könnten, weil die Europäische Zentralbank (EZB) für einen Verfall der Zinsen auf breiter Front sorgt. Die EZB hat nicht nur die kurzfristigen Geldmarktzinsen auf de facto null Prozent gesenkt, sondern sie drückt auch die Kapitalmarktrenditen immer weiter ab durch die in Aussicht gestellten großangelegten Euro-Staatsanleihekäufe. Das künstlich verminderte Zinsniveau verschlechtert die Ertrags- und Gewinnlage der Banken, weil es die Gewinnmargen - die sich im Kreditgeschäft und im Zuge der Fristentransformation erzielen lassen - schrumpfen lässt. Es könnte sogar noch schlimmer kommen.

Eine Reihe von namhaften Ökonomen ist der Meinung, dass der neue gleichgewichtige reale, das heißt der inflationsbereinigte, Zins in einigen Volkswirtschaften negativ sei.(2) Sie empfehlen, die Zentralbanken sollten den Realzins - also den Nominalzins nach Abzug der Inflation - in den Negativbereich absenken. Eine solche Geldpolitik macht es dann jedoch erforderlich, den Menschen die Bargeldhaltung zu verleiden - indem beispielsweise Bargeldscheine, wie von Gregory Mankiw vorgeschlagen, per "Zufalls-Losverfahren" für wertlos erklärt werden -, oder indem das Bargeld ganz abgeschafft wird. Ansonsten könnten sich Bankkunden ihre Einlagen bar auszahlen lassen und damit der Enteignung durch die Politik des negativen Zinses entziehen.(3)

Was ist also dran an der These, dass der gleichgewichtige reale Zins negativ sein könnte? Das ist eine überaus wichtige Frage, deren Antwort von erheblicher Tragweite ist - sowohl für Banken, aber auch für die Bankkunden. Beispielsweise wäre die Aussicht auf einen gleichgewichtigen negativen Realzins für Sparer, die ihre Mittel Banken anvertraut und in festverzinsliche Papiere investiert haben, ein ruinöses Schreckensszenario. Die Beschäftigung mit diesem Thema bedarf zunächst eines klaren Verständnisses der Natur und Bedeutung des Zinses.


Der Urzins ist immer und überall positiv

Den Zins kennt man als Entgelt für das Nutzen von Kapital. Ökonomisch betrachtet resultiert er aus einer Wertdifferenz: Menschen werten Güter, die gegenwärtig verfügbar sind, höher als Güter, die erst künftig verfügbar sind. Anders gesprochen. Künftige Güter erleiden einen Preisabschlag gegenüber gegenwärtigen Gütern.(4) Es ist die - wie Frank A. Fetter (1863 - 1949) sie bezeichnete - "Zeitpräferenz", die den Zins erklärt.(5) Ludwig von Mises (1881 - 1973) zeigte auf, dass der Zins - er spricht vom "Urzins" (heute nennt man ihn meist den "neutralen Zins") - elementar für das menschliche Handeln ist und sich allein und ausschließlich durch die Zeitpräferenz erklärt. Damit ging Mises über die Zinstheorie, die Eugen von Böhm-Bawerk (1851 - 1914) vorgelegt hatte, hinaus.(6)

Der Urzins hat mit der Ertragsrate auf Kapital oder mit Psychologie nichts zu tun.(7) Selbst bei einer negativen Kapitalertragsrate werden gegenwärtig verfügbare Güter immer noch höher geschätzt als künftig verfügbare Güter. Der Urzins, den der Mensch quasi in sich trägt, bleibt auch hier positiv. Es ist unmöglich, dass der Urzins auf null fallen kann. Es würde bedeuten, dass man zwei Äpfel, die erst in tausend Jahren verfügbar sind, einem heute verfügbaren Apfel vorzieht. Das klingt nicht nur realitätsfremd, es ist ein irrtümlicher Gedanke. Er liefe auf die Aussage hinaus, dass der handelnde Mensch niemals konsumiert, dass er sein Einkommen immer und vollständig spart. Der Urzins kann auch nicht negativ werden. Denn das hieße, dass ein Apfel, der erst in tausend Jahren verfügbar ist, einem heute verfügbaren Apfel vorgezogen würde.

Der Gedanke, der Urzins könne null oder gar negativ sein, mutet nicht nur merkwürdig an, er ist absurd und unlogisch. Denn dass der Urzins - als marktmäßiger Ausdruck der Zeitpräferenz - stets positiv ist, ist eine logische Erkenntnis. Sie folgt zwingend aus dem 'Axiom des menschlichen Handelns‘: Der Wahrheitsgehalt des Satzes 'Der Mensch handelt‘ lässt sich nicht widerlegen. Aus ihm lässt sich logisch ableiten, dass der handelnde Mensch eine frühere Zielerreichung einer späteren vorzieht, und dass er deshalb Gegenwartsgüter notwendigerweise höher bewertet als Zukunftsgüter; mit psychologischen Erwägungen hat diese Einsicht nichts zu tun.(8) Der Gedanke, der Urzins könnte null oder gar negativ sein, ist so widersinnig wie die Aussage '1 plus 1 ist nicht zwei‘.

In einem freien Markt sorgen das Angebot von und die Nachfrage nach Ersparnissen dafür, dass der Marktzins dem Urzins entspricht (von Risiko-, Inflations- und Liquiditätsprämien des Zinses sei hier abgesehen). Dadurch wird sichergestellt, dass für die Vollendung der Investitionen, die bei einem gegebenen Marktzins beziehungsweise Urzins in Gang gesetzt werden, ausreichende Ressourcen verfügbar sind. Nimmt beispielsweise die Zeitpräferenz ab - weil die Menschen zukunftsorientierter wirtschaften als bisher -, steigt die Ersparnis aus dem laufenden Einkommen, und der Konsum sinkt. Bei gegebener Investitionsneigung sinkt der Urzins und damit auch der Marktzins, die Wirtschaft begibt sich auf Wachstumskurs.



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