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Sind die Anleihekäufe der EZB erst der Anfang?

25.11.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Folgt die EZB der US-Notenbank Fed, wird sie bald noch viel mehr Liquidität in die Wirtschaft pumpen. Das hätte dramatische Konsequenzen.

Viel hilft viel. Nach diesem Motto hat die US-Zentralbank Fed in den vergangenen Jahren die Geschäftsbanken durch Wertpapierkäufe mit frischem Zentralbankgeld in Höhe von 2600 Milliarden Dollar versorgt. Die Geldbestände auf den Zentralbankkonten der Finanzinstitute sind nun größer als die täglich fälligen Zahlungsverbindlichkeiten der Banken gegenüber ihren Kunden, die sich auf 1700 Milliarden Dollar belaufen. Damit sind die US-Banken jederzeit zahlungsfähig und gegen einen Bank-Run immunisiert.


Riesige Liquiditätslücke

Die Europäische Zentralbank (EZB) scheint der Fed nachzueifern. Im Januar dieses Jahres hat sie angekündigt, von März 2015 bis Herbst 2016 Anleihen im Wert von 1140 Milliarden Euro zu kaufen und diese mit neu geschaffenen Euro zu bezahlen.

Doch das dürfte noch längst nicht das Ende der Fahnenstange sein. Unter der Führung von EZB-Chef Mario Draghi schicken sich die Notenbanker an, bald noch mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen. In den Bilanzen der Banken stehen Verbindlichkeiten gegenüber den Kunden von 5400 Milliarden Euro, die die Kunden jederzeit abrufen können.

Dagegen verfügen die Banken nur über liquide Mittel auf ihren Zentralbankkonten von 680 Milliarden Euro. Die Banken in der Euro-Zone sind daher latent zahlungsunfähig: Im Fall der Fälle können sie die Bargeldauszahlungswünsche der Kunden nicht vollständig erfüllen. Um Bankenpleiten auszuschließen, muss die EZB die Liquiditätslücke von 4720 Milliarden Euro schließen. Dazu muss sie weitere Anleihen kaufen und diese mit neu geschaffenen Euro bezahlen.

Vielen Regierungen im Euro-Raum dürfte das gelegen kommen. Denn auf diese Weise lassen sich die Euro-Staatsschulden in die Bilanz der EZB verschieben, um sie später zu extrem niedrigen Zinsen zu refinanzieren oder ganz zu streichen. Geht die EZB so weit wie die Fed, wird sie auch die Termin- und Spareinlagen zu einem Teil mit neu geschaffenem Zentralbankgeld unterfüttern.

Das liefe auf Anleihekäufe von 8100 Milliarden Euro hinaus. Die Euro-Hüter finanzierten dann rund 86 Prozent der Euro-Staatsschulden durch die Notenpresse. Das ließe die Euro-Kapitalmarktzinsen weiter in Richtung null Prozent sinken.

Begleitet von einem negativen Einlagezins, den die EZB den Banken schon jetzt auferlegt, dürften die Renditen vieler Staatsschulden sogar in den Negativbereich rutschen. Die Folge wäre eine Kapitalflucht aus dem Euro, die dessen Außenwert in die Tiefe reißt.

Künstlich herabgedrückte Zinsen verzerren zudem die Preise auf den Produkt- und Faktormärkten. Die Volkswirtschaft verliert gewissermaßen ihren Kompass. Sparen, Konsumieren und Investieren werden zum Blindflug. Fehlinvestitionen und Kapitalverzehr stellen sich ein. Man lebt von der Substanz, weil der gegenwärtige Wohlstand auf Kosten künftigen Wohlstandes erkauft wird.

Darüber hinaus ließen weitere Anleihekäufe die Euro-Geldmenge massiv anschwellen. Wann und in welchem Ausmaß dies zu steigenden Preisen führt, hängt davon ab, wem die EZB die Anleihen zu welchem Zeitpunkt abkauft und ob sie die Geldmenge teilweise wieder stilllegt.

Am Ende aber dürften die Preise spürbar anziehen. Denn eine etwas höhere Inflation ist nicht nur politisch gewünscht, sie ist auch unverzichtbar, wenn die Euro-Schuldenpyramide nicht einstürzen soll. Sparer und Investoren sollten sich die Wirkung einer Geldmengenausweitung wie die eines Wasserrohrbruchs im Haus vorstellen. Erst tröpfelt es in der einen Ecke, dann in der anderen, und nach und nach sind alle Wände und Decken durchnässt.


Umverteilung und Inflation

Die Geldentwertung geht mit einer Umverteilung von Einkommen und Vermögen einher. Die Preise werden nach und nach steigen, erst die einen, dann die anderen. Diejenigen, die das neu geschaffene Geld als Erste bekommen, werden besser gestellt. Sie können die Güter zu noch unveränderten Preisen kaufen. Diejenigen, die das neue Geld zu einem späteren Zeitpunkt erhalten oder die gar nichts davon abbekommen, werden ärmer: Sie können die Güter nur zu bereits erhöhten Preisen kaufen.

Um die realen Schuldenlasten zu verringern und den Euro-Raum vor dem Kollaps zu bewahren, werden Politiker und Regierungen das Entwerten des Geldes früher oder später akzeptieren. Es ist ein Menetekel, wenn die EZB die Volkswirtschaften Schritt für Schritt in das Delirium der Euro-Billionen treibt.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit



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