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Wenn die Zukunft zur Gegenwart wird

18.07.2016  |  John Mauldin
- Seite 5 -
Im Hinblick auf die Fiskalpolitik schreibt die BIZ, dass wir überdenken sollten, wie wir das Länderrisiko bewerten. Weil die Staaten - zumindest die, die eine eigene Währung haben - immer "Geld drucken" können, gehen Investoren davon aus, dass das Kreditrisiko gering bis nicht vorhanden ist. Das ist jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall. Fragen Sie jemanden, der vor ein paar Jahren in argentinische Staatsanleihen investiert hat, und er wird es Ihnen erklären.

Wenn die Regierungen das Kreditrisiko durch Geldschöpfung verringern, wird das im Normalfall durch einen Anstieg des Inflationsrisikos und folglich des Zinsänderungs- und Marktrisikos aufgewogen. Wir können uns das Risiko als Flüssigkeit vorstellen. Wir können es von einer Flasche in eine andere füllen, wir können es aufteilen oder einfrieren, aber wir können es nicht verschwinden lassen. Selbst wenn wir es in den Abfluss schütten, übertragen wir es damit nur auf jemand anderen.

Wenn die Aufsichts- und Fiskalpolitik gut organisiert und durchdacht wäre, bräuchten wir uns nicht so sehr auf die Zentralbanken zu verlassen. Das bedeutet nicht, dass die Zentralbanken passiv sein sollten. Die BIZ plädiert ausdrücklich dafür, dass der Geldpolitik eine wichtige Rolle zukommt. Diese Rolle sollte ihrer Ansicht nach jedoch anders gestaltet sein als zur Zeit.

Ein Vorschlag der BIZ ist es, sich weniger auf bestimmte Inflationsziele zu konzentrieren. Die hartnäckig niedrige Inflationsrate war der Grund dafür, dass seit 2008 eine lockere Geldpolitik verfolgt wird. Im Nachhinein betrachtet wäre es vielleicht besser gewesen, die Zinssätze wieder auf "normale" Werte anzuheben (wo auch immer die liegen), bevor die Inflation wieder ein "normales" Niveau erreicht hat (was auch immer das ist).

Schwer zu sagen, ob dieser Ansatz in der Praxis funktioniert hätte. 2011 hatte die US-Wirtschaft die Rezession hinter sich gelassen und an den Aktienmärkten lief es gut, aber die Arbeitslosigkeit war noch immer konstant hoch. Da sie die Zinsen nicht noch weiter senken konnte, startete die Federal Reserve ihre quantitativen Lockerungen, mit denen sie die Geldmenge erhöhte. Die EZB verfolgt derzeit eine ähnliche, aber noch aggressivere Strategie.

Die unannehmbar hohe Arbeitslosigkeit diente der Fed drei oder vier Jahre lang als Ausrede. Als die Arbeitslosigkeit schließlich wieder etwa im "Normalbereich" lag, weigerte sie sich einfach, den Leitzins zu erhöhen. Die Notenbank sorgte sich mehr um die Aktienmärkte, als um die Ungleichgewichte, die sie schuf. Sie läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, und das wäre schlecht für uns alle.

In jedem Fall, so die BIZ, "sind Maßnahmen erforderlich, die wir nicht wieder bereuen, wenn die Zukunft zur Gegenwart wird."


Das Scheitern des Narrativs

Mein Freund Ben Hunt schreibt sehr sorgfältig durchdachte Newsletter. Ich werde seine Ansichten hier zusammenfassen - vielleicht, weil sie meine eigene Meinung bestätigen.

Ben spricht über die Macht des "Common Narrative", einer Art gemeinsamen, sinnstiftenden Erzählung, die alle Dinge umfasst, die wir kennen und glauben. Diese beinhaltet zu einem großen Teil das, was wir über unsere Länder und Religionen gelernt haben, als wir aufwuchsen. Die Narrative (und davon gibt es mehr als nur eine Handvoll) formen unsere Vorurteile und unser Handeln. Das ist nicht notwendigerweise schlecht, denn oft fördern die Narrative positives soziales Verhalten.

Konkret diskutiert Ben das die Zentralbanken betreffende Narrativ. Wir tendieren oft dazu, ihnen eine große Macht zur Lenkung der Märkte zuzuschreiben, insbesondere durch ihre quantitativen Lockerungen und ihre Fähigkeit, die Zinsen zu senken oder anzuheben. Wir sind an einen Punkt gelangt, an dem wir glauben, dass die Federal Reserve tatsächlich einen Mehrwert schafft, der über das von den Unternehmen erwirtschaftete Einkommen hinausgeht.

Es wird zunehmend zum Problem (zumindest meiner Ansicht nach), dass die Investoren sich mehr und mehr auf die permanente Unterstützung der Märkte durch die Zentralbanken verlassen, statt nach dem alten Vorbild von Benjamin Graham und David Dodd eine traditionelle, wertorientierte Anlagestrategie zu verfolgen. Wenn genug von uns dieses Narrativ glauben, wird es zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Ben schreibt dazu:

"Wie das Narrativ um diese Ereignisse geformt und umgeformt wird, beschäftigt mich wirklich sehr, denn es wird den Ausgang jeder Wahl und den Kurs jedes Marktes auf dieser Erde bestimmen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich schockiert bin von der sinkenden Halbwertszeit der Narrative, die den Status Quo schützen, und von der Unfähigkeit der großen Institutionen, Geldgeber, Medien und Akademiker, ein effektives Narrativ zu finden, das den Staat schützt – obwohl die Konkurrenz zum größten Teil aus Clowns besteht. Den Narrativen des Status Quo ist eine Art fatale Ermüdung zu eigen, ein an Marie Antoinette erinnernder Weltüberdruss, und noch auf dem Weg zur Guillotine seufzen sie und beschweren sich über diese verdammten Bauern...

Warum sind die Narrative, die den Status Quo bewahren, so arg ins Wanken geraten? Ich denke der Grund dafür ist, dass es den wirtschaftlichen und politischen Institutionen der herrschenden Ordnung, allen voran den Zentralbanken, nicht gelungen ist, die Einkommen zu schützen. Sie haben das Einkommens- und Vermögensgefälle verstärkt, bis zur Grenze der Belastbarkeit. Sie haben eine große Wette abgeschlossen: Wir werden die Banken mit frisch gedrucktem Geld retten, um massive Verluste im Finanzsektor zu verhindern; wir werden die Aktienmärkte aufblähen, damit sich die die privaten Haushalte reicher fühlen; und wir werden den Unternehmen und Regierungen gigantische Geldmengen zur Verfügung stellen, damit sie wirklich günstige Kredite aufnehmen können [...]"

Das Ergebnis dessen sollte sein, dass alle vier Hauptsektoren der Weltwirtschaft - die privaten Haushalte, die Unternehmen, die Regierungen und die Finanzinstitutionen - mehr konsumieren, mehr investieren und niemals zusammenbrechen. Das hätte dann wiederum einen positiven, sich selbst erhaltenden Kreislauf aus Risikobereitschaft, realem Wachstum und der Schaffung realer Vermögenswerte hervorbringen sollen.

Wir alle wissen, was geschah, als das Narrativ der Immobilienpreise und Subprime-Hypotheken im Jahr 2008 in sich zusammenfiel. Man muss kein Historiker sein, um auf Anhieb verschiedene Beispiel für das Scheitern von Narrativen liefern zu können. Krieg in Europa ist unmöglich, hieß es noch 1913. Und vor Kurzem war undenkbar, dass die Briten für den Austritt aus der EU stimmen würden.

Die Zentralbanken haben die Grenzen ihrer Glaubwürdigkeit weltweit ausgereizt. Ich mache mir wirklich Sorgen, was geschehen wird, wenn die nächste Rezession beginnt und allen bewusst wird, dass die Federal Reserve, die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan nur mit Platzpatronen schießen, und dass der Kaiser gar keine Kleider hat. Die Frustration der Klasse der Schutzlosen über die scheinbare Gleichgültigkeit der Geschützten nimmt zu und wird sich weiter verstärken, wenn die Einkommen im Zuge einer Rezession erneut über längere Zeit sinken. Angesichts dieser gesellschaftlichen Entwicklungen und der allgemeinen Stimmung in zahlreichen Ländern auf der ganzen Welt ist das Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Zukunft heute wahrscheinlich höher als je zuvor in meinem Leben.

Der nächste Abschwung, wann immer er auch kommt, wird zu einer völlig neuen Art von globaler Krise führen, die die Erfahrungen aller heute lebenden Menschen übersteigt. Natürlich wird es das eine oder andere geben, das an frühere Geschehnisse erinnert, aber ich schätze wir werden zurückblicken müssen bis in die 1930er Jahre, um eine Zeit zu finden, die von sozialen Umwälzungen vergleichbaren Ausmaßes geprägt war.

Investoren werden eine neue Strategie zur Verwaltung und Strukturierung ihres Portfolios benötigen. Wenn Sie nur Long-Positionen halten, sollte Sie Ihren Ansatz wirklich überdenken, insbesondere wenn Sie über 50 sind. Ich weiß, dass das keine leichten Erwägungen sind, denn die Federal Reserve und die EZB haben normale Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere nutzlos gemacht. Doch der Weg entlang der Risikokurve in Richtung höherer Erträge birgt heute zahlreiche Gefahren.


© John Mauldin
www.mauldineconomics.com


Dieser Artikel wurde am 10. Juli 2016 auf www.mauldineconomics.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.



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