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Vererbte Inkompetenz: Vom Versagen globaler Institutionen

29.08.2016  |  John Mauldin
- Seite 2 -
Was läuft es also ab? Die europäischen Mitgliedsstaaten, denen bestens bewusst ist, dass die kleinen Fische nur ohnmächtig protestieren können, treffen Entscheidungen zu ihren eigenen Gunsten. Einige schmutzige Details gelangen von Zeit zu Zeit ans Licht der Öffentlichkeit.


Die Liebesaffäre des IWF

Die folgende Überschrift der britischen Tageszeitung The Telegraph fiel mir vor einigen Wochen ins Auge und machte mich auf neue Entwicklungen in der Saga der Inkompetenz des IWF aufmerksam.

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"IWF gesteht fatale Liebesaffäre mit dem Euro und entschuldigt sich für die Opferung Griechenlands"

Die Existenz einer solchen Liebelei war keine Überraschung, genauso wenig wie die Rolle des IWF im Hinblick auf das griechische Schuldenfiasko. Die eigentliche Überraschung bestand darin, dass der IWF den Umfang seiner Inkompetenz und die massiven Regelverletzungen öffentlich zugab.

Der Kommentar von Ambrose Evans-Pritchard zeigte, dass es sich lohnte den Artikel zu lesen. Hier ist seine Einleitung:

"Die obersten Führungskräfte des IWF haben ihr eigenes Direktorium in die Irre geführt, eine Reihe verhängnisvoller Fehleinschätzungen in Bezug auf Griechenland getroffen, das Europrojekt euphorisch unterstützt, die Warnzeichen einer drohenden Krise ignoriert und sind kollektiv daran gescheitert, ein elementares Konzept der Währungstheorie zu begreifen.

Das ist das vernichtende Urteil, zu dem das wichtigste Überwachungsgremium des IWF in Hinblick auf die problematische Rolle des Fonds in der Schuldenkrise der Eurozone kommt, der blamabelsten Episode in der Geschichte der Bretton-Woods-Institutionen."


"Verhängnisvolle Fehleinschätzungen" trifft es auf den Punkt. Genau dadurch war der Umgang des IWF sowie der EU und der EZB mit der europäischen Staatsschuldenkrise gekennzeichnet, die heute, sechs Jahre später, noch immer ungelöst bleibt.

Was hat in diesem Fall Evans-Pritchards Zorn geweckt? Ein Bericht der internen Prüfungskommission des IWF beschreibt eine Organisation, für die "dysfunktional" noch ein Kompliment wäre. Die riesigen Rettungspakete für Griechenland, Portugal und Irland haben die Richtlinien des IWF verletzt und unter Umständen die Verursacher der Missstände in diesen Ländern bereichert, während die Opfer zusätzlich bestraft wurden.

Wie wir später noch sehen werden, hat der IWF seine desaströse Politik im vollen Bewusstsein der Folgen fortgesetzt, denn es gab eine heftige interne Debatte über die Rettungsverfahren. Offensichtlich wussten viele innerhalb der Organisation genau, was sie taten, und dass die Maßnahmen zu einer Krise führen würde. Eine Analyse der Gründe, aus denen die Leitung des IWF sich für unangemessene Schritte entschied, lehrt uns viel darüber, wie internationale Institutionen Beschlüsse fassen.

Unter den verschiedenen Verfehlungen war auch das Versäumnis, Pläne für den Umgang mit einer Schuldenkrise in der Eurozone auszuarbeiten, denn eine solche Krise hatte man als unmöglich erachtet. Es ist nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. Mitarbeiter der Institution hatte bereits lange im Voraus argumentiert, dass das Eurosystem grundlegend fehlerhaft sei und eines Tages zerfallen werde. Doch diejenigen, die sich so äußerten, wurde überstimmt und sogar bestraft.

Die Voreingenommenheit entwickelte sich Evans-Pritchard zufolge, weil die europäischen Eliten innerhalb des IWF bis über beide Ohren in ihren Euro verliebt waren. Und wie viele Verliebte konnten sie die Fehler des Objekts ihrer Zuneigung einfach nicht erkennen. Die gemeinsame Währung der Eurozone war in ihren Augen das Fundament des gesamten europäischen Projekts.

Die Liebesaffäre zwischen dem IWF und der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hatte zur Folge, dass der Fonds Berichte und Zusicherungen von EU-Beamten für bare Münze nahm und auf Nachweise verzichtete, die von weniger entwickelten Ländern routinemäßig verlangt werden.

Ich weiß das nicht mit Sicherheit, aber ich vermute, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer beim Unabhängigen Evaluierungsbüro des IWF (Independent Evaluation Office, IEO) eine Untersuchung beantragten, weil sie die bevorzugte Behandlung der EU bemerkt hatten. Das IEO übergeht die Top-Bürokraten und legt seinen Bericht direkt gegenüber dem Exekutivdirektorium ab. Nachdem es sich an die Arbeit gemacht hatte, entdeckte das Evaluierungsbüro schnell die verschiedensten Formen von Voreingenommenheit, Inkompetenz und heimlichen Absprachen.

Diese Tendenzen hatten dazu geführt, dass der IWF den harten Sparmaßnahmen in Griechenland zustimmte, während er gleichzeitig die Gläubiger des Landes vor Schuldenschnitten schützte. Die Unantastbarkeit des Eurosystems und die Stabilität der europäischen Banken beschäftigen den Internationalen Währungsfonds weit mehr als das Leid der griechischen Bevölkerung. Wir können das nicht mit Sicherheit wissen, aber es scheint, als hätte eine geordnete Schuldenabschreibung Griechenland wieder auf die Beine geholfen und die Kosten dafür gleichmäßig auf alle Parteien verteilt. Stattdessen drängte der IWF auf einen Plan, von dem er wusste, dass er niemals funktionieren würde - oder zumindest äußerten viele Mitarbeiter der Organisation diese Meinung.

Es ist eine traurige Tatsache, dass Griechenland eine sehr schwere Depression durchlitten hätte, aber heute auf dem Weg zum Wiederaufschwung wäre, wenn es seinen Gläubigern eine Absage erteilt, den Euro verlassen und die Drachme wieder eingeführt hätte. Stattdessen befindet sich die Wirtschaft des Landes nun bereits das sechste Jahr in Folge in einer Depression, die die Große Depression der 1930er Jahre in den USA noch übertrifft. Zudem scheint es keinen Weg aus der Krise zu geben, solange die Regierung sich den IWF-Beschlüssen beugt, um den stetigen Fluss neuer Finanzhilfen zu sichern.

Die Ironie an der Sache ist, dass Griechenland eines Tages womöglich gezwungen sein wird, die Währungsunion zu verlassen, was zu einer noch schwereren Depression und zur weiteren Verschlechterung der schon jetzt verzweifelten Lage führen wird. Ich empfinde wirklich ehrliches Mitleid mit den Griechen.

Der vollständige Bericht des Evaluierungsbüros ist hunderte Seiten lang. Wenn Ihnen so etwas Spaß macht, können Sie ihn hier einsehen. Doch der Bericht ist nicht alles. Er ist nur das jüngste Kapitel in einer langen, schmutzigen Geschichte. Um den Kontext zu verstehen, müssen wir einige Jahre zurückblicken.



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