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Zeit des Umbruchs

27.11.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Der Drang zur Vergemeinschaftung und die notgetriebene Schaffung einer Haftungsunion, die das Scheitern des Europrojektes abwehren soll, wirken geradezu wie aus der Zeit gefallen - in einer Zeit, in der die Idee der großen politischen Einheiten auf den Prüfstand kommt und zusehends an Anziehungskraft verliert.

In der Rückschau ist es in der Regel einfach, die Kräfte zu identifizieren, die gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg gebracht haben. Für Zeitzeugen ist es hingegen nicht selten schwierig, die Bedeutung der Kräfte des Wandels zu erfassen und ihre Wirkung abzuschätzen. Das gilt vor allem für Veränderungsprozesse, die ein lang etabliertes Wirtschafts- und Politikregime grundlegend verschieben und neu ausrichten. Denn den meisten von uns fällt es schwer, vom Status-quo-Denken Abschied zu nehmen. Neuerungen werden daher nur allzu leicht als "vorübergehende Abweichungen vom Trend" gedeutet und nicht als das, was sie tatsächlich verkörpern: Trendbrüche oder Umbrüche.

Nur etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Donald J. Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde. "

Make America Great Again" und "America First" (und während der Wahl auch: "Draining the Swamp") fassen die Trump-Wahlkampfagenda zusammen. Dass bislang, nach Trumps Amtsantritt, die ganz großen und schnellen Erfolge ausgeblieben sind - zu denken ist hier an den Bau einer Mauer an der US-mexikanischen Grenze, die Beendigung von Obama Care und das Absenken der Steuern auf breiter Front -, liegt vor allem an den gewaltigen innenpolitischen Widerständen, denen sich die neue US-Administration gegenübersieht: Vor allem der "große Staat" ("Deep State") stellt sich quer und mit ihm viele in der Republikanischen Partei.

Doch es hat sich unter Präsident Trump vermutlich schon mehr verändert, als es seinen Gegnern lieb ist. Zum Beispiel ist Trumps Amerika nicht mehr die Speerspitze des "politischen Globalismus". Es führt nicht mehr aktiv den Kreuzzug an, durch den die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung auf dieser Welt mit politischen - und nicht mit marktwirtschaftlichen - Mitteln geformt und umgestaltet werden soll.

Das ist auch der Grund, warum der enge Schulterschluss, der Gleichschritt der Staaten, bereits in Frage gestellt ist. Ob in der Wirtschafts-, Steuer-, Handels-, Wanderungs- oder Klimapolitik: Präsident Trump will fortan die US-Politik an den Interessen der amerikanischen Arbeitnehmer ausrichten. Allein schon aufgrund der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung Amerikas hat das weltweite Rückwirkungen.

Es sind letztlich Trumps Wähler, die einen wichtigen Prozess zu neuem Leben erweckt haben, ein Prozess, der in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern zusehends zum Erliegen gekommen ist:

Es geht letztlich um die Neuverhandlung, die Neuvermessung der Balance zwischen Bürger und Staat, um die Größe des Staates, um das Ausmaß seiner Machtbefugnisse. Dass dieser Kurswechsel von vielen Menschen als beunruhigend, zuweilen sogar als bedrohlich empfunden wird, kann nicht überraschen. In den letzten Jahrzehnten hat es nämlich geradezu eine Staatsvergottung gegeben: Der Staat ist in den Augen vieler Menschen zum allmächtigen, alle Probleme lösenden Heilsbringer aufgestiegen.

Nach der Devise: Der Staat ist gut und unverzichtbar, der Markt ist gefährlich und muss gezähmt werden. Je mehr der Staat eingreift, ordnet, regelt, bürokratisiert, verordnet, gebietet, empfiehlt, desto besser ist es für Wohlstand und Frieden auf der Welt. Im Windschatten dieser Ideologie konnten sich viele Staaten immer weiter ausdehnen zu Lasten bürgerlicher und unternehmerischer Freiheiten.

Das gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, es gilt vor allem auch für Europa. Kaum ein Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich ist hier verblieben, in den der Staat nicht beherrschend eingreift: Kindergarten, Schule, Universität, medizinische Versorgung, Ernährung, Altersvorsorge, Energie, Verkehr, Transport, Geld und Kredit, Umwelt und vieles andere mehr. Der Staat bestimmt maßgeblich, was wann und wie gemacht oder unterlassen wird.

Doch irgendwann wird der Staat zu groß, lässt die Qualität seiner Leistungen sichtbar nach, treten die von ihm verursachten Schäden immer offener zutage: Partikularinteressen verschaffen sich im politischen Apparat zusehends Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit, Verteilungskämpfe werden schärfer, Wachstums- und Wohlfahrtszugewinne schwächen sich ab oder bleiben ganz aus, der Unmut in der Bevölkerung nimmt zu.

Die Reaktion bleibt nicht aus: Eine Gegen- und Protestbewegung baut sich auf, richtet sich gegen den Status quo, gegen das "Establishment". Wohin der Protest führt, hängt ganz entscheidend davon ab, welche Idee in der breiten Öffentlichkeit die Oberhand gewinnt: die marktwirtschaftliche oder die autoritäre.

Die marktwirtschaftliche Idee sorgt dafür, dass das Staatswachstum abgebremst, der Staat verkleinert wird, dass die Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen gestärkt wird; dass die internationale Arbeitsteilung und der Freihandel vorangetrieben werden. Die autoritäre Idee setzt hingegen auf den "starken Staat".


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