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Der Inflations-Boom

11.12.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Aus diesem Grund haben Ökonomen früher unter Inflation eine Geldmengenausweitung verstanden, und steigende Güterpreise waren ihre mögliche Folge. Steigt die Geldmenge stark an, dauert es meist nicht lang, und die Güterpreise ziehen an. Nun ist aber auch der Fall denkbar, in dem die Geldmenge steigt und die Güterpreise unverändert bleiben. Man denke nur an die Einführung neuer Technologien, durch die die Produktivität erhöht wird. Die Güter können fortan zu niedrigeren Kosten erzeugt und zu niedrigen Preisen angeboten werden.

Eine steigende Geldmenge macht hier die Preissenkungen, für die die Produktivitätsgewinne eigentlich sorgen würden, zunichte. Die Anbieter können ihre Güter weiterhin zu erhöhten Preisen verkaufen, den Konsumenten wird es verwehrt, zu niedrigen Preisen kaufen zu können (was ihnen möglich gewesen wäre, hätte die Zentralbank die Geldmenge nicht erhöht). Die ständige Geldmengenausweitung verzerrt die Preissignale in der Volkswirtschaft und führt dadurch zu Kapitalfehllenkung.

Inflation bedeutet daher nicht nur eine (Zwangs-)Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Inflation stört vor allem auch die Wirtschaftsentwicklung. Die Zentralbanken senken nämlich die Zinsen künstlich ab, um die Kredit- und Geldmengen zu erhöhen. Das führt zu geringerem Sparen, höherem Konsum und vermehrtem Investieren in fragwürdige Projekte. Die Volkswirtschaft beginnt, im wahrsten Sinne des Wortes über ihre Verhältnisse zu leben. Ein "Boom" wird in Gang gesetzt, der früher oder später in einem "Bust" endet.


Überraschungsinflation

Wohl kaum ein Ökonom würde verneinen, dass die Inflation nur dann die Konjunktur belebt, wenn sie überraschend kommt. Das soll kurz erläutert werden. Nehmen wir an, die Zentralbank stellt den Menschen eine Inflation von, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr in Aussicht, und dass die Marktakteure diesem Versprechen Glauben schenken. Sie schließen daraufhin langfristige Verträge ab (wie zum Beispiel Lohn-, Miet- und Kreditverträge), in denen sie eine künftige Inflation in Höhe von 2 Prozent zugrundelegen.

Nachdem die Verträge geschlossen sind, erhöht die Zentralbank jedoch die Inflation auf, sagen wir, 4 Prozent. Die Folge: Die realen (inflationsbereinigten) Löhne fallen und schädigen die Arbeitnehmer zu Gunsten der Arbeitgeber. Kreditgeber verlieren zu Gunsten von Kreditnehmern. Doch die Menschen werden aus ihrer Enttäuschung, aus dem gebrochenen Versprechen der Zentralbank lernen: Sie passen ihre Inflationserwartungen nach oben an. Daher läuft die Politik der Überraschungsinflation, wenn sie zur Konjunkturbelebung eingesetzt wird, auf ein gefährliches Spiel hinaus - und das wird in der nachstehenden Box näher erläutert.


Das heikle Spiel mit der Inflationsbeschleunigung

Die Grafik zeigt eine vertikale rote Linie. Sie steht für die Arbeitslosigkeit, die langfristig gesehen unabhängig ist von der Inflation. Die schräg geneigten blauen Linien stehen für die "Philips-Kurve": Sie zeigen, dass eine unerwartet hohe Inflation ("Überraschungsinflation") die Konjunktur kurzfristig belebt und die Arbeitslosigkeit verringert. Nehmen wir an, wir befinden uns in Punkt A. Die tatsächliche und die erwartete Inflation betragen hier 2 Prozent. Nun will die Zentralbank die Arbeitslosigkeit reduzieren. Dazu erhöht sie die Inflation überraschend auf 4 Prozent - obwohl die Marktakteure eine Inflation von 2 Prozent erwarten.

Die höhere Inflation belebt die Wirtschaft (weil sie beispielsweise Unternehmen verlockt, mehr zu investieren) und die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Volkswirtschaft bewegt sich von Punkt A auf Punkt B. Aber nur kurzfristig. Denn die Marktakteure werden merken, dass sie getäuscht wurden. Sie passen ihre Inflationserwartungen nach oben an (in unserem Beispiel auf 4 Prozent), und der ursprüngliche Konjunkturschub verpufft. Die Wirtschaft bewegt sich von Punkt B auf Punkt C, die Arbeitslosigkeit ist also wieder so hoch wie zuvor. Will die Zentralbank die Wirtschaftslage erneut beleben, muss sie für eine noch höhere Überraschungsinflation sorgen - beispielsweise 8 Prozent. Und so weiter.


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Man ahnt bereits, wohin die Politik der Überraschungsinflation führt: Sie führt zu immer höherer Inflation, im Extremfall zu Hyperinflation, wenn diese Politik nicht irgendwann gestoppt wird. Diese Erkenntnis, die die Ökonomen im Zuge der "Philips-Kurven"-Diskussion vorbringen, hat aktuellen Bezug. Es ist nämlich zu vermuten, dass die tatsächliche Inflation in den Volkswirtschaften unterschätzt wird. Sie wirkt daher konjunkturbelebend aufgrund der Täuschungen, die sie verursacht.

Sollten die Menschen jedoch erkennen, dass die tatsächliche Inflation deutlich höher ist als die von ihnen erwartete Inflation, entzaubert sich der Inflationsspuk - und die Wirtschaft steht vor einer mitunter harten Anpassungsrezession.


An dieser Stelle interessiert uns die Frage: Wie hoch ist die tatsächliche Geldentwertungsrate? Auf diese Frage gibt es leider keine einvernehmliche, keine abschließende Antwort. Der Grund: Es gibt bislang keine verlässliche Statistik, die den gesamten Preisauftrieb in den Volkswirtschaften abbilden würde. Zudem ist das Ansteigen der Preise nur eine der möglichen Folgen, die eine Geldmengenausweitung mit sich bringt. Aus Sicht eines jeden Anlegers macht es jedoch Sinn, vor allem die Rate der Geldmengenausweitung zu beachten.

Beträgt die Geldmengenwachstumsrate beispielsweise 5 Prozent pro Jahr, sollte man danach streben, dass das gesamte Einkommen aus zum Beispiel Arbeit und Kapitalerträgen um mindestens 5 Prozent pro Jahr anwächst. Fällt der Einkommens- und Vermögenszuwachs geringer (höher) aus, wird man relativ ärmer (reicher) im Vergleich zum volkswirtschaftlichen Durchschnitt. Das Geldmengenwachstum ist folglich eine - wenn auch nur recht grobe - Richtgröße, an der der Anleger abschätzen kann, wie sich seine relative Einkommens- und Vermögensposition in der Volkswirtschaft im Zeitablauf verändert.



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