"Wie schätze ich die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage ein?"
08.08.2012 | Dr. Dietmar Siebholz
Heute erreichte mich eine Mail eines langjährigen Geschäftsfreundes, der mir die Frage stellte, "wie lange ist unser Boot noch dicht?". Da ich ihn sehr schätze und falsche Entscheidungen - bedingt durch das Auslösen von Panik - verhindern möchte, habe ich ihm mit einem praktischen Beispiel klar zu machen versucht, wie ich die aktuelle Lage sehe. Um es volkstümlich zu sagen (und dabei die Lage mit etwas Humor in verträglichen Dosen zu kommentieren), ich meine, folgende Aussage trifft den Nagel auf den Kopf: "Gestern standen wir kurz vor dem Abgrund, heute, das sollte man klar zum Ausdruck bringen, sind wir schon einen wesentlichen Schritt weiter …"
Das ist kein Zynismus, sondern für uns Normalos die alltägliche Kost, die uns die Blockparteien, deren Repräsentanten und die fast gleichgeschaltete Presse offerieren. Bei den Linken möchte ich mich für den Ausdruck "Blockparteien" entschuldigen. Obwohl sie ja historisch den Begriff mit ihren Vorgängerkollegen geprägt haben, muss ich neidlos anerkennen, dass die beste Analyse unseres wahren Zustands von Herrn Gregor Gysi kam. Aber seien Sie mal ganz ehrlich: Haben Sie je erwartet, dass wir Herrn Gysi anhören müssen, um eine wahre Beschreibung unseres Zustandes zu erhalten? Also ich nicht …
Aber auch ohne Herrn Gysi müsste uns so langsam klar werden, wo wir aktuell stehen. Die nervöse Hektik unserer Volksvertreter, die fehlende Unterrichtung dieser Vertreter vor wesentlichen Entscheidungen wie z.B. bei der kampflosen Aufgabe des Budgetrechts in Deutschland an Institutionen (wie z.B. der ESM), die wir weder demokratisch gewählt haben bzw. die nicht einmal demokratisch kontrolliert werden können, spricht Bände.
Die Aufregung, die Prof Sinn mit seinem Hinweis auf den zu Lasten Deutschland stattfindenden Missbrauch des Target-2-Programms, hervorrief und die vielen unsachlichen Kommentare aus der Politik zeigen, wohin der Zug geht. Heute wissen wir, dass die Bundesbank (die ja die Überschüsse deutscher Arbeit von nahezu 60 Jahren schwerer Anstrengungen, die uns nach dem Abfluss der vielen Reparations- und Solidaritäts-leistungen verblieben sind, also u.a. die Devisen- und Goldbestände) kein Vermögen mehr hat, weil nach dem unvermeidlichen Kehraus die inzwischen kompensierten Verrechnungsforderungen der Bundesbank gegen die EZB - je nach Gusto mit wie vielen Prozenten man die Verluste auch schätzen mag - abzuschreiben sind. Oder wer glaubt noch daran, dass die Forderungen gegen Griechenland, Spanien, Irland, Portugal etc. noch voll einbringbar sind? Immerhin ist ja inklusive der sonstigen Forderungen der Bundesbank inzwischen die 900 Mrd-€-Grenze schon lange nach oben überschritten und selbst ein lächerlicher prozentualer Verlust von lediglich 25% auf diese Forderungen würde den Ruin der Bundesbank darstellen.
Ich höre schon den Aufschrei "… aber die Bundesbank hat doch die Garantie der EZB für diese Forderungen…“ Selten so gelacht. Wer steht denn hinter der EZB? Derzeit die Bundesbank mit ca. 27% Anteil und der wird sich dann nach den Statuen erhöhen, wenn wegen der finanziellen Probleme der anderen deren Anteil auf die verbleibenden Anteilsinhaber übergeht. Zu gut Deutsch: Die Garantie für die Forderungen der Bundesbank ist die Bundesbank selbst und wenige andere Notenbanken, die noch liquide sein werden, wenn es zum Schwur kommt. Oder viel einfacher ausgedrückt: Verschenkt doch die deutschen Exportwaren, da spart ihr viel Arbeit, Ärger und Umwege, denn für unsere Exporte, die sich ja in den Salden des Target-2-Programms niederschlagen, bekommen wir sowieso keinen Gegenwert mehr. Wenn später einmal wieder das Wort "Versailles" durch die Politik geistert, wissen Sie schon jetzt, warum … Schon einmal ging von diesem “Unwort“ (so würden wir es heute sagen) viel Unheil aus. History repeats itself? Ich fürchte, ja.
Für mich ist lediglich nicht einschätzbar, wann der Zustand erreicht sein wird, an dem die deutschen "Eliten" nicht mehr anders können als einzugestehen, dass wir gemeinsam mit unseren EU-Nachbarn und -Partnern an die Wand gefahren wurden.
Ich zähle hier nur die Monate, nicht die Jahre. Das liegt nicht an meinem Alter, sondern an der Erkenntnis, dass sich immer alles viel schneller und viel intensiver entwickelt als vorher. Bedenken Sie, dass fünf Kilometer vor dem Katarakt die Wassergeschwindigkeit des Niagara Rivers wesentlich langsamer ist als 200 Meter vor dem Absturz. Und nur an der Fließgeschwindigkeit des Wasser oder in der Politik: an der Zeitfolge hektischer Entscheidungen kann man ermessen, wie nahe wir uns vor dem Absturz befinden. Ob der US-Finanzminister Geithner - der ja sicherlich mit mehr Hintergrundwissen ausgestattet sein wird als wir - daher unseren Finanzminister in seinem wohlverdienten Urlaub aufsucht?
Wir müssen doch ehrlich feststellen, dass alle Liquiditätsspritzen, die die vereinigten politischen und die Finanzmarktkräfte (man kann sie ja nicht mehr voneinander unterscheiden, es ist jedoch immer die gleiche "Mischpoke", um es nett auf Jiddisch zu sagen) den Finanzmärkten in den letzten Monaten verabreicht haben, keine Veränderung bewirkten. Auch ein Beweis für die Unumkehrbarkeit des Trends.
Hierzu ein Kommentar von Prof. Hülsmann, den ich am 08.07.2012 gelesen habe. Er ist unaufgeregt, aber mehr als deutlich.
Unter der Überschrift: "Weil die Politik mit der Eurorettung überfordert ist, wird sie finanzielle Belastungen vor allem an den Bürger weiterreichen, Der Versuch, die Schulden über Inflation abzubauen, werde die europäischen Bürger ihre Ersparnisse kosten" führen die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten aus: "Der von der Politik eingeschlagene Weg, die Eurokrise zu bekämpfen, beinhaltet auch die Möglichkeit einer massiven Steigerung der Geldmenge. Dadurch würde der Euro so stark an Wert verlieren, dass die Gemeinschaftswährung in seiner aktuellen Form kaum noch erhalten werden kann. Damit rechnet der Ökonom Guido Hülsmann von der Universität Angers in Frankreich."
"Am Ende steht dann entweder eine Hyperinflation oder eine Währungsreform. Das bringt ein paar Jahre Entspannung für den Staat und die Finanzwirtschaft. Die meisten Haushalte werden jedoch ruiniert sein und zum Teil ums blanke Überleben kämpfen. Wenn es auch dann nicht zu einem großen Befreiungsschlag kommt, versinken wir bis auf Weiteres in einer Spirale aus Armut und Korruption“, sagte Hülsmann im Interview mit dem Wirtschaftsblog "Misesinfo.org".
Das aktuelle Krisenmanagement wird auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaften in Europa haben. Der Staat wird auch wegen der Euro-Rettung in Zukunft die Bürger auch direkt viel stärker belasten als bisher: "Infolge seiner zerrütteten Finanzlage wird sich der entfesselte Staat immer rücksichtsloser aus dem Vermögen seiner Bürger bedienen (eigene Anmerkung: müssen). Er wird sich zunächst auf die Verwalter von Finanzvermögen (Versicherungen und Investmentfonds) stürzen und früher oder später auch den Immobilienbesitz ins Auge nehmen. Gleichzeitig wird er versuchen, seine Ausgaben dort zu kürzen, wo es den geringsten politischen Widerstand gibt (Rentenkasse und Krankenversicherung) . Wenn das alles nicht mehr reicht oder wenn es zu viel Widerstand gibt, wird die Notenpresse noch stärker angekurbelt“, sagt Hülsmann.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen, außer der Feststellung, dass es kurz vor dem Absturz unvermeidlich sein wird, den freien Kapitalverkehr (das heißt, die Transferierbarkeit liquiden Vermögens) total einzuschränken.
Wenn Sie eine Bestätigung für meine Überzeugung benötigen, warten Sie auf diese Kapitalverkehrsbeschränkungen, die wir im Übrigen schon einmal in Deutschland hatten (1972 und 1973). Schon vergessen? Tja, manchmal hat Alter auch so seine Vorteile … zumindest, wenn man sein Gedächtnis geschult hat.
Wenn Sie auch an die kommenden Kapitalverkehrskontrollen glauben sollten, dann wäre es nun an der Zeit, zu handeln.
Mein Konzept einer finanziellen Arche Noah kennen Sie sicherlich; wenn nicht, erreichen Sie mich unter wthlz2@gmx.de.
© Dr. Dietmar Siebholz
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