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Wird Inflation zum Problem?

21.08.2013  |  Carsten Klude
- Seite 2 -
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Zudem sollte allen, die sich um die Preisentwicklung sorgen, klar sein, dass nicht nur eine zu hohe Inflationsrate ein Problem sein kann, sondern auch eine, die zu niedrig ist. Nicht umsonst haben die meisten Notenbanken eine Zielmarke für die Inflation von rund 2%. Wirft man einen Blick auf die globale Inflationsentwicklung, so fällt auf, dass sich die Inflationsrate in den OECD-Ländern mit zuletzt 1,8% ebenfalls auf einem äußerst niedrigen Niveau bewegte.

Vergrößert man den Kreis der beobachteten Länder, so wird diese Einschätzung bestätigt: Der Median der Inflationsrate von 70 Ländern, für die wir Daten vorliegen haben, beträgt 2,0%, der Mittelwert liegt bei 2,8%. Wenn es Länder gibt, die ein Problem mit zu hohen Inflationsraten haben, dann sind es Schwellenländer: So weist Indien eine Inflationsrate von 10,9% auf, Argentinien eine von 10,5% und Ägypten eine von 10,3%. Auch Brasilien (6,3%), Russ-land (6,4%) und die Türkei (8,9%) haben hier ein Problem.

Warum ist eine zu niedrige Inflationsrate oder gar eine Deflation (sprich: fallende Preise) ein Problem? Viele historische Beispiele zeigen, dass eine Deflation häufig mit einer Rezession einhergeht. Japan in den vergangenen 15 Jahren oder die USA während der großen Depression in den 1930er Jahren sind Beispiele hierfür. Wenn Konsumenten oder Unternehmen davon ausgehen, dass die Preise weiter fallen, hält man sich mit Konsum- oder Investitionsausgaben zurück. Schließlich kann man bei der Erwartung sinkender Preise für denselben Geldbetrag mehr Güter konsumieren oder mehr Investitionsgüter erwerben.

Sind die Preissteigerungsraten sehr niedrig, muss sich dies zwar nicht unmittelbar auf die ökonomische Aktivität der Verbraucher auswirken, doch kann dies im Falle einer hohen Verschuldung negative Implikationen haben. Denn die Höhe der Staatsschulden, die eine nominale Größe sind, wird vom Zinsniveau und dem nominalen Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft bestimmt. So beeinflusst das Verhältnis von Haushaltsdefizit und Wachstum die Schuldenquote.

Um beispielsweise die Maastrichter-Kriterien eines Haushaltsdefizites von (maximal) 3% und einer Schuldenquote von (maximal) 60% zu erfüllen, ist dauerhaft ein nominales Wirtschaftswachstum von 5% notwendig! Beträgt die Inflationsrate 2%, benötigt man also
ein reales Wirtschaftswachstum von 3%. Sinkt die Inflationsrate aber auf 1%, muss das reale Wachstum schon 4% betragen. Umgekehrt würde im Falle einer Preissteigerungsrate von 4% bereits ein reales Wirtschaftswachstum von 1% ausreichen, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen.

Niedrige Inflationsraten sind vor allem für die Peripherieländer ein Problem. Die in dieser Woche veröffentlichten BIP-Daten für das 2.Quartal haben erfreulicherweise gezeigt, dass die Rezession in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien an Intensität verliert. So ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Griechenland, Spanien und Italien im Quartalsvergleich weniger stark gesunken als zuvor; Portugal konnte sogar einen deutlichen Zuwachs verzeichnen.

Da aber in all diesen Ländern gleichzeitig auch die Inflationsrate sinkt, fällt der Nettoeffekt für das nominale Wirtschaftswachstum - zumindest in den ersten drei genannten Ländern - trotzdem nicht positiv aus. Dem Ziel, die Schuldenquote zu stabilisieren oder besser noch, sie zu verringern, sind die meisten Länder also nicht nähergekommen.

Am Beispiel Italiens lässt sich dies einfach illustrieren. Italien hatte Ende 2012 eine Schuldenquote von 127% des Bruttoinlandsproduktes; dies entspricht einem Wert von rund 2 Billionen Euro. Der durchschnittliche Zinssatz, den Italien für seine Staatsschulden bezahlen muss, beträgt 4,2%. In diesem Jahr werden also rund 80 Milliarden Euro Zinsen gezahlt, dies entspricht gut 5% des italienischen Bruttoinlandsproduktes. 2012 ist das nominale BIP Italiens um 0,8% gesunken (real: -2,4%, BIP-Deflator:1,6%). Dieses Jahr rechnet der IWF mit einem realen Minus von 1,8%, der BIP-Deflator dürfte nach unserer Einschätzung auf 1,0% sinken, so dass das nominale BIP erneut um 0,8% zurückgehen wird.

Um die Schuldenquote bei 127% zu stabilisieren, bräuchte Italien einen Haushaltsüberschuss von gut 1% (also einen Primärüberschuss von mehr als 6%). Das ist unrealistisch. Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit in einer Größenordnung von 2,9%. In diesem Fall wird die Schuldenquote jedoch auf fast 131% des BIPs ansteigen. Selbst bei einer Inflationsrate wie im vergangenen Jahr von 1,6% und mithin einem geringeren nominalen BIP-Rückgang Italiens von 0,2%, wird die Schuldenquote Ende 2013 noch bei rund 130% liegen. Nur bei einem nominalen Wachstum von 2,3% könnte unter den gegebenen Annahmen die Schuldenquote stabilisiert werden.

Bei einer realen Wachstumsrate von -1,8% bräuchte man hierfür jedoch eine Inflationsrate (BIP-Deflator) von 4,1%. Deswegen gilt hier: Es darf lieber etwas mehr Inflation sein als zu wenig. Wenn Inflation ein Problem ist (oder wird), dann nicht, weil sie zu hoch, sondern weil sie für viele Länder aus ökonomischer Sicht zu niedrig ist. Die Situation in Deutschland stellt auch in diesem Fall eine Ausnahme dar.


© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research

Quelle: Auszug aus "Konjunktur und Strategie". Den Berichten, Tabellen und Grafiken liegen vertrauenswürdige Informationen aus öffentlichen Quellen zugrunde. Für die Richtigkeit können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt.



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