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Die vier Generationen

11.11.2005  |  Matthias Lorch
Die Einschätzung der meisten Menschen in Bezug auf den Ablauf der Geschichte und der Zivilisation beschränkt sich auf eine lineare Sicht, also auf eine weiterlaufende Entwicklung. Dies mag wohl im Ganzen gesehen so richtig sein, trotzdem zeigen die Geschichtsbücher auch jede Menge nichtlinearer Abläufe.

Für die Menschen, die diese durchlebten, waren sie mit großen Einschnitten verbunden. Wenn man die selbst erlebte Vergangenheit immer in die zu erwartende Zukunft extrapoliert, wird man sehr wahrscheinlich eine große Überraschung erleben. Es ist dann so ähnlich, wie wenn man einen heißen Sommertag erlebt und vergisst, dass die Jahreszeiten wechseln werden. Selbst wenn es noch schöne Tage im Herbst gibt, ist der Winter unaufhaltbar. So wie die Vergangenheit wird auch die Zukunft einem immer wiederkehrenden Muster unterworfen sein.

In dem Buch "The Fourth Turning" von William Strauss und Neil Howe (www.fourthturning.com) - bereits Mitte der 90 Jahre erschienen - beschreiben die Autoren die Geschichte der Welt im Wandel von vier Generationen im Einfluss auf Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft. Ein Buch, über das Al Gore (Senator und ehemaliger Vizepräsident der USA) sagt: "Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie Geschichte niemals wieder mit den gleichen Augen sehen."

Obwohl das Buch maßgeblich die amerikanische Vergangenheit und Zukunft beleuchtet, ist eigentlich alles auf den Westen allgemein anwendbar. Die Geschichte des Westens ist so miteinander kulturell und wirtschaftlich verwoben, dass keine der Volkswirtschaften sich von den Entwicklungen absondern kann. Strauss und Howe haben die Generationen in ca. 20 Jahren Zeiträume eingeteilt.

Vereinfacht dargestellt ungefähr so:


Die erste Drehung / Frühling - Das Hoch (nach der Krise, Depression, zweiter Weltkrieg) ca. 1945 bis 1965
  • Bringt ein Wiederbeleben der Gemeinschaft, eine neue zivile Ordnung
  • Die Menschen wollen die Krise zurücklassen und sind zufrieden mit dem neuen Leben
  • Die Angst ums Überleben dreht sich um dem Wunsch nach Wachstum, Investition, politischer Stabilität und Wohlstand.
  • Die Einstellung dreht sich aus der dunklen Not mit neuer Energie und Tatkraft zum Optimismus
  • Der Zyklus drängt die gesamte Gesellschaft in Richtung Konformismus, Familie und Ordnung
  • Gehorsame Mitbürger dienen dem Gemeinwohl
  • Es werden viele Kinder geboren
  • Kriege sind unwahrscheinlich


Die zweite Drehung / Sommer - Das Erwachen ca. 1965 - 1985
  • Wenn die Gesellschaft vom Hoch in das Erwachen dreht, dann ist die Änderung trügerisch. Sie wird am Anfang als minimal eingestuft, später löst sie oft Gewalt, Chaos und politische Veränderung aus.
  • Die jungen Erwachsenen, die die Dinge vorantreiben, kennen aus eigener Erfahrung nur das Hoch, nicht aber die Krise.
  • Als kreative Denker herangezogen, fordern sie ärgerlich die Älteren heraus.
  • Sie fühlen sich ihnen moralisch weit überlegen. Sie schätzen sich selbst als die Überbringer neuer und besserer Werte.
  • Soziale Ideen und spirituelle Gedanken sind vorherrschend, Angriffe der Jugend auf das Establishment.
  • Wohlstand und Sicherheit werden als selbstverständlich empfunden.
  • Die Menschen hören auf zu glauben, dass soziale Weiterentwicklung mit sozialer Disziplin verbunden ist.


Die dritte Drehung / Herbst - Das Enträtseln ca. 1985 bis 2005
  • Soziale Kräfte, von der Vorgängergeneration entfesselt, sind nicht mehr zu stoppen.
  • Die Tendenz entweder zum Ausnutzen oder Ablehnen der sozialen Errungenschaften nimmt zu.
  • Individuelle Befreiung geht einher mit Moralprotest oder Selbstfindung.
  • Schwere Debatten über Werte und die sich abschwächenden zivilen Bürgerpflichten.
  • Die Menschen neigen dazu, über ihre Verhältnisse zu leben.
  • Um das wirkliche Gemeinwohl kümmert sich niemand mehr.
  • Lähmungen in der Politik und im öffentlichen Leben, die früher undenkbar waren, prägen das Bild.
  • Die Krise ist noch nicht in Sicht, mit der sozialen Befreiung durch das Erwachen hinter sich, können die Menschen ihr persönliches Leben in vollem Maß ausleben.
  • Das Kollektiv ist nichts, das Individuum alles.
Durch das In-Kraft-setzen der Ideale aus der Zeit des Erwachens wird die Basis für die folgende Krise gelegt.


Die vierte Drehung / Winter - Die Krise ca. 2005 bis 2025
  • Jede Krise beginnt mit einem Ereignis, das die vorherrschende Laune umkehrt, es lässt ein Gefühl der Krise aufkommen. Solche Ereignisse gibt es zu allen Zeiten, aber nur in dieser Zeit wird dadurch eine neue Dynamik gestartet.
  • Die Geschichte lehrt uns, dass ca. 3 Jahre nach diesem Katalysator die Menschen die Änderung erkennen und Konsens zum Lösen der Konflikte erzwingen wollen.
  • Plötzliche Bedrohungen, die lange ignoriert wurden, werden nun für jeden sichtbar, Gesetze werden verabschiedet, die Jahre früher noch undenkbar waren.
  • Die Gesellschaft muss überleben, aggressive staatliche Einrichtungen werden geschaffen. Das alles verlangt persönliche Opfer.
  • Die private Risikoübernahme entwickelt sich zurück.
  • Erbitterte Kriege um entscheidende Ausgänge werden geführt.
  • Letztendlich kommt Erleichterung und Optimismus auf, aber erst nach der völligen Erschöpfung.
  • Die Menschen sehnen sich nach guten und einfachen Dingen.
  • Ein neuer Glaube an die Gemeinschaft und an die Planer und die Autorität reißt die Menschen mit.

Das Vertrauen in der Zeit des Erwachens / Sommer wurde aus der wachsenden Sicherheit aus der Zeit des Hochs / Frühling geboren. Es bewirkt eine Explosion der Liebe und des Mitgefühls, aber auch der Unordnung. Diese Unordnung bewirkt in der Zeit des Enträtselns / Herbst dann den Ärger und die wachsende Unsicherheit. Diese wird dann wieder in der Rücknahme der Freiheiten und dem Bestreben zum Wiederherstellen der Ordnung bestehen.

Wo die Nachkrisenzeit erwärmt und erhellt hat, wird die Zeit nach dem Erwachen, dunkler und kühler. Der Frühling bringt Konsens, Ordnung und Stabilität wogegen der Herbst, Streit, Gruppenbildung und Unsicherheit bringt.

Strauss und Howe haben herausgefunden, dass dieser Zyklus über die Jahrhunderte mit unglaublicher Regelmäßigkeit stattfindet und sie haben viele anschauliche Beispiele aufgezeigt, unter anderem auch den damit verbundenen Kriegszyklus von ca. 85 Jahren.
  • Amerikanischer Befreiungskrieg (Höhepunkt 1781)
  • Amerikanischer Bürgerkrieg (Höhepunkt 1863)
  • Depression und Zweiter Weltkrieg (Höhepunkt 1942)

Das Erwachen ist deshalb ein Zeichen, dass die Gesellschaft sich daran erinnern sollte, dass der Zyklus, den die Vorfahren bereits sehr oft durchlebten, schon zur Hälfte ereicht ist. Der eine Abschnitt wird deshalb unabänderlich durch den anderen bedingt.


Die Weiterentwicklung des Zyklusses wäre dann:
  • Die erste Drehung / Frühling ... Das Hoch (ca. 2025 bis 2045)
  • Die zweite Drehung / Sommer ... Das Erwachen (ca. 2045 bis 2065)
  • Die dritte Drehung / Herbst ... Das Enträtseln (ca. 2065 bis 2085)
  • Die vierte Drehung / Winter ... Die Krise (ca. 2085 bis 2105)

Der aufmerksame Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beschriebenen Zeiten und Vorgänge, ebenso gut auf die USA wie auch auf die BRD der Nachkriegszeit passen. Auch wenn die Zusammenhänge, die in Europa zum Ersten und Zweiten Weltkrieg geführt haben, unterschiedlich sein mögen. Tatsache ist, dass der Zweite Weltkrieg als die Krise schlechthin gelten kann und einen Neuanfang in der gesamten westlichen Welt und auch in Japan im Jahre 1945 erzwungen hat.




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