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Fluch und Segen niedriger Zinsen

15.10.2013  |  Frank Amann
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1. Obwohl die kurzfristigen Zinsen niedrig sind, sind die Dispozinsen immer noch extrem hoch; wie kommt das?

Hier haben die Banken in der Tat eine Möglichkeit gefunden, ihren Ertrag zu erhöhen, indem sie die Differenz zwischen kurzfristig geliehenem Geld (Tagesgeld, Festgeld) und kurzfristig verliehenem Geld (Dispo-/Überziehungskredit, Kontokorrentkredit) in historisch nahezu einmalige Dimensionen gebracht haben. Hilfreich war hier übrigens die EU-Verbraucherkreditlinie, die zum 11. Juni 2010 in nationales Recht umgewandelt wurde.

Die neu festgelegten Regeln für Verbraucherkredite bedingten die Festlegung eines Referenzzinses, nach dem Bankkunden überprüfen können, ob die Konditionen bei Dispo- und Überziehungszinsen korrekt angepaßt werden. Viele Banken haben sich für den 3-Monats Euribor entschieden. Erstaunlicherweise war just im Juni 2010 die Differenz zwischen Dispo- und Referenzzinssätzen auf die Rekordrate von durchschnittlich 9,3% angestiegen, und somit wurde der neue Mechanismus zu einem für den Verbraucher bzw. Kreditnehmer historisch schlechten Zeitpunkt installiert. Hier haben sich die Banken in eine dauerhafte Pool-Position gebracht. Aber alles ganz legal!


2. Was bedeuten die niedrigen Zinsen für Immobilien und deren Finanzierung?

Die allgemeine positive Grundstimmung für Immobilien setzt sich - auch befeuert durch die Eurokrise und damit verbundene Ängste vor dem Verlust der Geldwerte - munter weiter fort. Es besteht zwischenzeitlich sogar die Gefahr, daß völlig bedenkenlos Engagements angedacht und eingegangen werden, die man noch vor einigen Jahren gescheut hätte. Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, daß jede Entscheidung in Sachen Immobilien und Finanzierung sehr individuelle Überlegungen und Betrachtungen erforderlich machen, um Denk- und nachfolgende Investitionsfehler zu vermeiden. Hier gilt es, kühlen Kopf zu bewahren und nicht einfach in der Herde mitzugaloppieren.


3. Immer wieder wird behauptet, der Deutsche Staat würde durch niedrige Zinsen enormes Geld sparen. Entspricht das den Tatsachen?

Im Prinzip stimmt das, allerdings werden einige Aspekte ausgeblendet. So z.B. der Umstand, daß niedrige Zinsen auf der Kapitalanlageseite dem Staat auch weniger Abgeltungssteuer bringen. Bei einem Gesamtanlagevolumen von 2 Billionen Euro macht ein Prozentpunkt 20 Mrd. Euro aus. Hiervon stünden dem Staat 25% zu (Abgeltungssteuer); jeder Prozentpunkt niedrigere Zinsen ‘kosten‘ den Staat somit auch 5 Mrd. Euro pro Jahr.


4. Wie wirkt sich diese niedrige Zinssituation auf Pensionskassen, Lebensversicherungen und sonstige Betriebliche Altersvorsorgeeinrichtungen aus?

Mit einem Wort: Verheerend, denn diese haben in ihren Kalkulationen natürlich mit anderen Zinssätzen kalkuliert (um ihre jeweiligen Renten und Ansprüche dauerhaft auszahlen zu können), und wenn eine Lebensversicherung 4% Garantiezins zahlen soll, aber langfristig nur noch 2 oder 3% (wenn überhaupt) erwirtschaften kann, treibt das den Anlagemanagern dieser Institutionen nicht nur im Sommer den Schweiß auf die Stirn.

Letztlich lebt die komplette Branche in der Hoffnung, daß sich die ‘abnorme‘ Situation der niedrigen Zinsen irgendwann wieder ‘normalisiert‘. Sollte dies nicht eintreten, wird sich das rigoros - in Form von Kürzungen - auf die Ansprüche und Renten der Bezugsberechtigten auswirken; da beißt die Maus keinen Faden ab. Es hat schon seinen Grund, warum diese Thematik - die Risiken und Nebenwirkungen von dauerhaft niedrigen Zinsen - im Bundestagswahlkampf 2013 nicht die geringste Rolle gespielt hat. Das Volk soll(te) nämlich ruhig glauben, daß alles bleibt wie es ist ...


5. Wie lange wird die Niedrigzinsphase noch anhalten?

Das weiß natürlich kein Mensch. Als sicher kann aber gelten, daß seit dem Anwachsen der Schuldengebirge der Industriestaaten von Alpen- auf Himalajaformat selbst geringe Zinserhöhungen zu dramatischen Verwerfungen der globalen Finanzarchitektur führen würden und die Kreditwürdigkeit auch von derzeit noch ‘stabilen‘ Staaten auf eine ganz harte Probe gestellt würde. Daher ist es extrem wahrscheinlich, daß die Niedrigzinspolitik solange aufrechterhalten wird, wie nur irgendwie möglich; schlicht, um das aktuelle (letztlich unfinanzierbare) System und natürlich den Euro zu "retten".


6. Welche Folgen hätte es, wenn die Niedrigzinsphase noch über Jahre anhalten sollte?

Zum einen würden über niedrige Zinsen Geldbesitzer sukzessive enteignet, insbesondere dann, wenn die Inflation über dem Zinsertrag liegt (wie derzeit der Fall). Zum anderen würden einzelne ‘Brocken‘ aus dem Schuldengebirge wegbrechen, z.B. bei Lebensversicherungen und Pensionskassen, weil sie irgendwann ihr einstiges Vertragsversprechen nicht mehr halten könnten. Je nach Schuldner ist mit einem schleichenden, trabenden oder sogar galoppierenden Wertverfall von Geld- und Rentenforderungen zu rechnen.

Einige praktische Empfehlungen, wie mit dem Thema 'Niedrigzinsen' als Sparer oder Schuldner umgegangen werden sollte:

  • a) Wenn irgendwie möglich, bezahlen Sie keine Dispo- oder Kontokorrentzinsen (und wenn, dann nur für ganz kurzfristige Überziehungen, die alsbald wieder ausgeglichen werden können). Bereits bei 10.000 € Überziehungskredit kommt leicht ein Betrag zwischen 1.000 und 1.500 € jährlicher Kosten (Zinsen) zusammen.

  • b) Wer die Möglichkeit hat, bereits laufende (bzw. höher verzinste) Kredite zu kündigen, bzw. durch Sondertilgungen zu reduzieren, sollte diese - wenn möglich - nutzen; dies aber nicht unüberlegt, sondern es sollte in jedem einzelnen Falle abgewogen werden, ob es in der individuellen Situation sinnvoll ist.

  • c) Nutzen Sie die Möglichkeiten interfamiliärer (Privat-)Kredite - im Betreuungs-Newsletter 02/2010 haben wir uns bereits intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Dies ist oftmals eine sehr elegante Möglichkeit, das Anlagedilemma (niedrige Zinsen für den Anleger, aber hohe Zinsen für den kurzfristigen Kreditnehmer) für alle Beteiligten sinnvoll zu lösen und sich die Gewinnmargen der Banken im wahrsten Sinne des Wortes zu ersparen.

  • d) Vermeiden Sie langlaufende Sparverpflichtungen (z.B. Lebensversicherungen) oder Geldanlagen. Ein halbes Prozent mehr Zinsen, dafür lange Zeit keinen Zugriff mehr auf sein Kapital zu haben, ist keine gute Idee. Wenn die Zinsen nämlich tatsächlich nennenswert steigen sollten, befindet man sich in einer Falle, aus der es bis zum Ablauf der Anlage kein Entrinnen gibt.

  • e) Eine der größten Gefahren, die das derzeitige Zinsumfeld für potentielle Kreditnehmer mit sich bringt, ist, Vermögensgegenstände (insbesondere Immobilien) anzuschaffen, die man sich unter anderen (Zins-)Umständen nicht angeschafft hätte. Die Gefahr besteht hierbei weniger im Zinsbereich, sondern vielmehr darin, sich Werte zuzulegen, deren potentielle Wertschwankungen zu wenig bedacht werden. Sich über einen günstigen Kredit zu freuen, ist eine Sache, verhindert aber nicht den Tränenausbruch, wenn das angeschaffte Wirtschaftsgut eines Tages dann doch zu einem sehr viel niedrigeren Preis verkauft werden muß, als einstens gedacht/erhofft. Zinsen können daher nur eine relevante Größe für Investitionsentscheidungen aller Art sein, nicht aber die einzige bzw. die entscheidende. Außerdem kann bereits jetzt beobachtet werden, daß (z.B. bei Immobilien) der ‘günstige Zins‘ in den Kalkulationen der Verkäufer schon jetzt preiserhöhend wirkt.

  • f) Mittel- bis langfristig orientierte Anlagen haben letztlich auf dem Sparbuch oder auf dem Tagesgeldkonto ohnehin nichts zu suchen. Hier bieten sich Wertpapiere/Fonds und/oder sonstige Sachwerte als weitaus bessere Alternativen an. Diese werfen zwar i.d.R. keine fixen Zinsen ab, sondern schwanken im Wert - was vielen nach wie vor mehr Angst macht als die langfristigen Konsequenzen der derzeitigen ‘Zinspolitik‘ -, gewinnen aber bei wieder steigenden Kursen überproportional. Zu viel Ängstlichkeit könnte sich also früher oder später als tragische Fehleinschätzung erweisen.


Fazit:

Die niedrige Zinswelt bietet Sparern, Geldanlegern, Investoren und (potentiellen) Rentnern jede Menge Verdruß, potentiellen Kreditnehmern aber durchaus einige Vorteile und günstige Gelegenheiten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht betrachtet hat der niedrige Zins natürlich auch eine segensreiche Wirkung, sorgen niedrige Schuldzinsen doch für erhebliche Kostenentlastungen bei Staaten, Unternehmen und Privathaushalten. Der "Fluch" niedriger Zinsen besteht jedoch vor allem darin, daß sie Ausdruck und Symptom einer kranken, angeschlagenen und maroden Geld- und Finanzwelt sind und langfristig nicht ohne Folgen bleiben können.

"Man kann die Realität ignorieren, aber man kann nicht die Konsequenzen der ignorierten Realität ignorieren." ( Ayn Rand)


© Frank Amann
Vorstand der Erste Finanz- und Vermögensberater-AG in Deutschland (efv-AG)
Tel.: 07031/381073
E-Mail: frank.amann@efv-ag.de



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