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Griechenland: Es ist ernst

21.04.2015  |  Carsten Klude
- Seite 3 -
Da griechische Staatsanleihen bei der Europäischen Zentralbank bereits seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheit hinterlegt werden können, müssen sich die griechischen Banken zunehmend stärker über sogenannte Notkredite bei der griechischen Zentralbank refinanzieren. Die ganze Malaise der Institute zeigt sich daran, dass die Obergrenze für die Notkreditlinie (ELA bzw. "Emergency Liquidity Assistance") bereits mehrfach angehoben werden musste. Im Februar lag das in Anspruch genommene Notkredit-Volumen noch bei 65,6 Milliarden Euro, im März stieg es auf 68,5 Milliarden Euro.

Agenturmeldungen zufolge ist diese Summe zuletzt nochmals angestiegen und liegt derzeit bei rund 70 Milliarden Euro. Die Obergrenze für die Notkredite, die die EZB festlegt, wurde bereits letzte Woche um 1,2 Milliarden Euro angehoben werden, diese Woche wurde sie erneut um 800 Millionen Euro erhöht und liegt nun bei 74 Milliarden Euro. Für Griechenland bleibt damit ein Spielraum von 4 Milliarden Euro.

Die Voraussetzung für die Finanzierung des Bankensektors über Notkredite ist, dass die Geschäftsbanken grundsätzlich solvent sind. Dies hält die Europäische Zentralbank derzeit für gegeben. Doch in einem Umfeld mit erheblicher politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit, sinkenden Einlagen, einem hohen Anteil an notleidenden Krediten, äußerst begrenzten Möglichkeiten für eine Kapitalerhöhung und einem möglichen griechischen Zahlungsausfall könnte ein Zeitpunkt kommen, an dem dieser Tatbestand von der Europäischen Zentralbank anders beurteilt wird.

Dann ist aus unserer Sicht ein kritischer Moment erreicht, weil die Politik dann endgültig eine Grundsatzentscheidung treffen muss. Um Griechenland im Euro zu halten, müsste der griechische Bankensektor in diesem Fall von den Euro-Partnern neu strukturiert und mit frischem Kapital ausgestattet werden.

Auch dies würde wiederum nur dann gelingen, wenn sich die griechische Regierung kooperativ zeigt, und dieser finanzielle Kraftakt auch politisch von den Euro-Partnern legitimiert werden kann. Beides ist derzeit nicht sicher. Auch wenn wir es weiterhin für das Interesse Griechenlands halten, im Euro zu bleiben, hat die Regierung unter Ministerpräsident Tsipras zuletzt alles unternommen, um dieses Ziel zu verfehlen. Ob dies an politischen Überzeugungen oder der schwierigen Konstellation innerhalb der SYRIZA sowie in der Regierungskoalition liegt, ist für uns unklar.

Mehrheiten für eine weitere Rettung Griechenlands haben auch in vielen anderen Ländern politisch einen immer "höheren Preis". In Deutschland hat es schon bei der letzten Abstimmung über die Griechenland-Kredite mehrere Abweichler aus den Regierungsparteien gegeben. Die Berichterstattung zu den Verhandlungen mit Griechenland sowiezum Thema der Reparationsforderungen könnten ein übriges getan haben, um die öffentliche Zustimmung für Hilfen an Griechenland nochmals zu verringern. Auch in vielen anderen Ländern scheint es kaum oder immer weniger Sympathien für die Position Griechenlands zu geben.

Insbesondere dürften Politiker osteuropäischer Staaten mit Besorgnis zur Kenntnis genommen haben, dass Tsipras den Kontakt zu Moskau intensiviert hat. Zudem sind Zahlungen an Griechenland der eigenen Bevölkerung schwer zu vermitteln, da das Durchschnittseinkommen in Lettland, Estland und auch in Litauen nach wie vor niedriger ist als in Griechenland. Diese Liste ließe sich beliebig erweitern, aber unter dem Strich kommen wir zu dem Ergebnis, dass die griechische Regierung derzeit in der Eurozone praktisch keine Unterstützung für ihre Position findet.

Die Zeit für handfeste Verhandlungsergebnisse drängt. Wir haben die Fälligkeiten-Struktur Griechenlands untersucht, und die nächsten Zahlungen für drei kurzlaufende Staatsanleihen im April und im Mai summieren sich auf insgesamt 3,8 Milliarden Euro, Anfang Juni werden IWF-Tranchen im Volumen von insgesamt 1,1 Milliarden Euro fällig, Mitte Juni müssen erneut Zahlungen an den IWF in Höhe von 900 Millionen Euro geleistet werden und kurzlaufende Staatsanleihen im Volumen von 3,6 Milliarden Euro gerollt werden.

Bei den Geldmarktpapieren war es Griechenland bis zuletzt möglich, Papiere am Markt zu platzieren. Sollte dies auch zukünftig so bleiben, dann wären die Rückzahlungen der IWF-Kredite am 5., 12. und 16. Juni die nächsten kritischen Termine.

Natürlich kann man immer noch argumentieren, dass Griechenland eine äußerst harte Verhandlungstaktik verfolgt und darauf setzt, eine für sich möglicherweise vorteilhafte Einigung zu erzielen, indem offensiv mit einer Staatspleite gedroht wird. Und die Gegenseite, also die Euro-Partner, versucht ihrerseits den Druck durch Indiskretionen und eine - möglicherweise - vorgetäuschte Resignation zu erhöhen.

Doch sollte dies der Fall sein, dann wird diese Taktik von Tag zu Tag riskanter. Im Bankensektor, bei der öffentlichen Meinung und am Kapitalmarkt verschlechtert sich die Situation nicht immer mit einer relativ gleichbleibenden Geschwindigkeit. Irgendwann könnte ein Punkt erreicht werden, an dem sich die Umstände schlagartig ändern und dynamische Prozesse in Gang gesetzt werden, die möglicherweise nicht zu kontrollieren sind. Wenn die Verhandlungen mit derselben schlafwandlerischen Dynamik fortgeführt werden sollten, dann könnte dieser Punkt schon relativ bald erreicht sein. Ein Austritt als Unfall, der sogenannte "Graccident" (accident: englisch für Unfall), könnte letztlich die Folge sein.


© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research

Quelle: Auszug aus "Konjunktur und Strategie". Den Berichten, Tabellen und Grafiken liegen vertrauenswürdige Informationen aus öffentlichen Quellen zugrunde. Für die Richtigkeit können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt.



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