Negativzins und Euro-Abwertung
25.10.2015 | Prof. Dr. Thorsten Polleit

Anfang Juni 2014 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Depositenzins auf -0,1 Prozent gesenkt, im September weiter auf -0,2 Prozent. Seither erleiden Banken, die bei der EZB Guthaben halten, einen Negativzins.
Ein solcher Negativzins hat Folgen. Erstens: Eine Bank wird versuchen, ihre Guthaben nun so gering wie möglich zu halten. Sie wird dazu zum Beispiel Staatsanleihen nachfragen. Die Kurse der Anleihen steigen, ihre Rendite fällt.
Für Banken ist der Kauf von Anleihen attraktiv, solange der Zins, den man durch Kauf einer Anleihe erzielt, höher ist als der negative Einlagenzins, den die EZB ihr ansonsten auferlegt.
Beträgt der Negativzins -0,2 Prozent, wird eine Bank Anleihen (eines relativ sicheren Emittenten) auch noch bei -0,19 Prozent kaufen. Ein solches Kalkül hat damit also unmittelbare Auswirkungen auf die Marktzinsen.
Der negative EZB-Depositenzins zieht gewissermaßen die Marktzinsen für Anleihen (vor allem die mit relativ kurzen Laufzeiten) in die Tiefe, drückt folglich das Zinsumfeld auf die Nulllinie oder sogar darunter.
Angesichts der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme im Euroraum wächst der Druck, die EZB müsse "mehr", müsse "aggressiver" vorgehen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sie den Negativzins noch vergrößern wird.

Quelle: Thomson Financial
Seit etwa August 2014 sind die 2-Jahresrenditen der deutschen Staatsanleihen unter die Nulllinie gerutscht: Wer diese Papiere jetzt noch kauft (und sie werden übrigens noch gekauft), der macht Verluste.
Vergrößert die EZB ihren Negativzins (auf beispielsweise -0,5 Prozent), ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Renditen für Anleihen mit längeren Laufzeiten in den Negativbereich fallen.
Sparer müssen immer risikoreichere Anleihen wählen, um noch einen positiven Zins zu verdienen. Mit dem (Re-)Investieren in herkömmliche Anleihen werden ihre Verluste größer. Doch es stellen sich noch mehr Probleme ein.
In den Unternehmensbilanzen zum Beispiel steigen die Barwerte der Pensionsverbindlichkeiten, ihr Eigenkapital schmilzt dadurch ab. Ihre Kreditqualität verschlechtert sich, steigende Finanzierungskosten verringern die Gewinne.
Es kommt zu Kapitalfehllenkung und Kapitalverzehr. Knappe Mittel werden nicht mehr zum besten Wirt gelenkt. Die Wachstumskräfte der Volkswirtschaften erlahmen, Produktion, Beschäftigung und Reallöhne leiden.
Kapitalabfluss
Bei Negativzinsen im Euroraum drängt das Kapital natürlich in Währungsräume, in denen sich noch ein Zins verdienen lässt - wie in den US-Dollar. Der Kapitalabfluss schwächt den Außenwert des Euro.
Ein solcher Abwertungseffekt zeigte sich bereits in Schweden, nachdem den Marktakteuren klar wurde, dass die Schwedische Reichsbank (Sveriges Riksbank) ihren Leitzins in den Negativbereich absenken würde.
Ganz ähnlich wie in Schweden, ist auch im Euroraum das Absenken des EZB-Einlagenzinses unter die Nulllinie mit einer Abwertung des Euro-Außenwertes einhergegangen.