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Wachstum lahmt, Risiken steigen

25.01.2016  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Exkurs: Hyperinflation - ein finsteres Lehrstück

Wer meint, Hochinflation oder gar Hyperinflation sei etwas, das es nur in der Währungsgeschichte gibt, muss sich eines Besseren belehren lassen. Die brutale Zerstörung der Kaufkraft des Geldes ist eine leidvolle Erfahrung, die immer wieder mit dem ungedeckten Papiergeld, das in beliebiger Menge produziert werden kann, gemacht wird.(2) Ein aktuelles Beispiel bietet nun Venezuela. Das Land durchleidet zurzeit eine Hochinflation. Ende 2011 waren 100 Bolivar noch 1 US-Dollar wert. Mittlerweile bekommt man für sie nur noch 0,14 US-Dollar.

Die heimische Inflation (wenn man den öffentlichen Zahlen Glauben schenken möchte) soll sich Ende 2015 auf mehr als 140 Prozent belaufen haben - eine Preissteigerung, die an Hyperinflation erinnert.(3) Eine solche Inflation fällt nicht vom Himmel, sie wird politisch gemacht. Das illustrieren die Geschehnisse um das Scheitern des sozialistischen Experiments in Venezuela nur zu deutlich. Als Hugo Chavez 1999 die Macht übernahm, nationalisierte er zunächst die heimische Ölindustrie.

Der "Petro-Sozialismus" erlaubt ihm lange an der Macht zu bleiben: Er konnte die Bevölkerung mit Ernährungs- und Gesundheitssubventionen bei Laune halten. Die um sich greifende Misswirtschaft lähmte dann jedoch schnell die verstaatlichte Ölproduktion. Als die Ölpreise zu fallen begannen, versiegten die Erträge für das Regime. Das, was noch übrig geblieben war vom Wirtschaftsleben, brach vollends zusammen.

Mangelwirtschaft war die Folge. Darauf reagierte das Regime mit Rationierung und Preiskontrollen. Unterversorgung und wachsende Kriminalität führten im Frühjahr 2014 zu öffentlichen Protesten, auf die die Regierung mit Gewalt reagierte. Oppositionelle wurden misshandelt und umgebracht. Nach einem Besuch in Venezuela wurde der ehemalige spanische Wirtschaftsminister, Felipe Gonzalez, zitiert, Augusto Pinochets Diktatur in Chile wäre respektvoller gegenüber den Menschenrechten gewesen als es das Regime unter Nicolás Maduro, Chavez Nachfolger seit 2013, sei. Bei der Wahl im Dezember 2015 errang die Opposition eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Maduro erließ daraufhin Notstandsgesetze, durch die die Opposition kaltgestellt wurde. Seine offenen Rechnungen fi-nanziert das Regime mit der Notenpresse. Das ist wenig überraschend.

Das Inflationieren erscheint für eine Regierung - und nicht selten auch für die Regierten - meist vorteilhafter zu sein, als offen den Staatsbankrott zu erklären. Doch die volkswirtschaftlichen Kosten der Geldwertzerstörung sind immens. Inflationäres Geld erschwert das Wirtschaften, und es sorgt für eine soziale Zerrüttung und moralische Vergiftung des Gemeinwesens. Inflation trifft vor allem die Ärmsten. Sie sind nicht in der Lage, sich den Kosten der Inflation zu entziehen. Venezuela ist ein besonders düsteres Lehrstück: Es ist nämlich eine Erinnerung daran, dass sozialistische Experimente zum Scheitern verurteilt sind, und dass die Geldwertzerstörung - das ungehemmte Drucken von immer mehr Geld - gewissermaßen die letzte Stufe des sozialistischen Niedergangs ist.

In einer Zeit, in der sozialistische Ideen nahezu überall auf der Welt wieder im Aufwind sind, in der die Marktkräfte durch immer mehr Staatsaktivitäten zurückgedrängt und ausgeschaltet werden, steigt natürlich auch andernorts die Gefahr, dass das ungedeckte Geld entwertet wird. Venezuela ist zwar ein extremes, aber keinesfalls ein an den Haaren herbeigezogenes Lehrstück für viele Länder der westlichen Welt - einschließlich den Ländern im Euroraum, die das Überleben ihrer Einheitswährung vom Rotieren der elektronischen Notenpresse abhängig gemacht haben.


Zerreißprobe für die Europäische Einheit

Die "Eurokrise" der letzten Jahre hat den Zusammenhalt der Euro-Länder bereits sehr stark strapaziert. Nun stellt sich eine neuerliche Belastung: die Flüchtlingskrise, in der Deutschland mit seiner Migrationspolitik der offenen Tore einen Alleingang praktiziert hat, und deren Folgen nun auch alle anderen EU-Nationen zu spüren bekommen. Als Reaktion darauf sind die EU-Länder bereits auf Distanz zueinander gegangen.

Der Traum eines Europas ohne Binnengrenzen (wie es das Schengen-Abkommen versinnbildlicht) ist bereits zerplatzt, und das ist ein schwerer Rückschlag für die angestrebte Integration. Die wirtschaftlichen Folgen werden spürbar sein. Neuerliche Grenzkontrollen im Euroraum bedeuten beispielsweise abnehmende Freiheitsgrade, und das sind keine guten Nachrichten für die Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven im Euroraum.

Eine wachsende Uneinigkeit zwischen den Euro-Ländern schwächt zudem auch die Zuversicht der Investoren, dass die Gemeinschaft künftig weiterhin in der Lage sein wird, unliebsame Politikmaßnahmen durch die nationalen Parlamente zu bringen, um den Euro zu stützen. Hierzu zählt beispielsweise die Zustimmung der nationalen Parlamente zur "Bankenunion" beziehungsweise zu ihrem wichtigsten "Pfeiler", der gemeinsamen Einlagensicherung. Doch genau das wird nötig sein: Nur wenn die "stärkeren" Länder bereit sind, die "schwächeren" Länder weiter und unter Umständen noch stärker als bisher zu subventionieren, lässt sich die angeschlagene Euro-Konstruktion - zumindest vorübergehend - vor dem Zusammenbruch bewahren.

Es ist zu vermuten, dass wachsende Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Euroraums schon heute die Investitionsfreude der Unternehmen aus dem In- und Ausland schmälern - und dadurch die Produktions- und Beschäftigungsaussichten im Einheitswährungsgebiet verschlechtern. Genau das mag auch eine - bisweilen wohl wenig beachtete - Erklärung sein für die nur sehr schwerfällige Erholung der Euro-Wirtschaften. Die Investitionstätigkeit im Euroraum gibt in der Tat Anlass zur Sorge: Sie hat noch nicht wirklich angezogen und den Krisenmodus abgeschüttelt. Wächst der Kapitalstock jedoch nicht, so werden auch die realen Einkommen nicht zunehmen können - und die Massenarbeitslosigkeit, von der viele Euro-Länder immer noch heimgesucht sind, wird nicht abgebaut.

Ein möglicher Ausstieg Großbritanniens aus der EU - dem, folgt man den jüngs-ten Umfragen, eine mittlerweile hohe Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben ist - wäre folgenreich. Nicht nur für die Briten selbst, sondern vor allem auch für die verbleibende Rest-EU. Großbritannien ist quasi ein Korrektiv, dass allzu marktfeindlichen, allzu zentralistischen Vorhaben in Kontinentaleuropa entgegentritt. Es wäre vor allem ein Signal, dass ein Austritt aus der EU keine Unmöglichkeit ist - und das wiederum würde den Schluss nahelegen, dass auch ein Austritt aus dem Euroraum keine Unmöglichkeit wäre. Ein Ausstieg der Briten - über den noch 2016 abgestimmt wird - könnte das EU-Projekt schwer beschädigen, im Extremfall ganz aus der Bahn werfen.


Zinswende lässt auf sich warten

Der langfristige Zinssenkungstrend, der in den frühen 1980er Jahren eingesetzt hat, war zunächst von sinkenden Inflationserwartungen angeführt. In den letzten Jahren dürfte jedoch eine andere Kraft die Oberhand gewonnen haben: Die Zentralbanken drücken durch ihre Käufe von Anleihen die Renditen auf extrem niedrige Niveaus. Die Zentralbanken haben unbeschränkte Kaufmacht - sie können nämlich das Geld, mit dem sie bezahlen, in unbegrenzter Menge selbst herstellen. Daher können sie auch die Langfristzinsen punktgenau steuern. Dass die Zinsen mittlerweile extrem niedrig sind und es keine Anzeichen gibt, dass sie wieder ansteigen könnten, hat einen Grund: Die weltweiten Schuldenlasten können nur noch mit extrem niedrigen Zinsen getragen werden. Die Zentralbanken werden alles daran setzen, dass es keine "ungewollten Zinssteigerungen" geben wird.

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Quelle: Thomson Financial


Mittlerweile hat die EZB ihre Wertpapierkäufe auf Unternehmensanleihen (hierzu zählen Unternehmenskredite beziehungsweise "ABS"-Papiere) ausgeweitet. Damit übt sie nun auch auf diesen Märkten einen Abwärtsdruck auf die Zinsen aus. Verstärkt wird der Abwärtssog auf die Zinsen durch den negativen EZB-Einlagezins. Er verleitet Euro-Banken dazu, zusätzlich Anleihen nachzufragen. Denn so können sie dem EZB-Strafzins entgehen. Die EZB manipuliert damit das ganze Euro-Zinsuniversum nach unten. Die Wirkung erreicht natürlich auch die kreditgebenden Banken. Die EZB garantiert dadurch im Grunde bereits die Bankkredite. Daher sind Banken jetzt bereit, wieder neue Kredite zu vergeben - denn sie können darauf setzen, dass sie ihre Kreditrisiken bei Bedarf an die EZB gegen Bezug von neuem Geld weiterreichen können.



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