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Der übergewichtige Aktienbulle verliert an Zugkraft, seine Knie zittern

05.08.2017  |  Prof. Dr. Hans J. Bocker
Wie weit und wie lange wurde schon vor mehr als 200 Jahren höchst treffend definiert "Die Börse lebt von nur zwei Triebkräften: Gier und Angst", symbolisiert durch die beiden Symboltiere Bulle und Bär, deren Bronze-Statuen sich vor fast jedem Börsengebäude, meist in Form eines imposanten Bronzegusses, finden. Beide wechseln sich in ihren Führungsrollen in bunter Reihenfolge ab. Für den in der Bullenphase Erfolgreichen gilt Wilhelm Buschs Beobachtung: "Er fühlt sich wie neu gestärkt, als er so viel Geld bemerkt". Für die vom Bärenbiss Gestraften gilt eher J.W. Goethes Faust 2, Kapitel 28: "Mich fasst ein längst entwöhnter Schauer, der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an".

Nicht umsonst wählten 1929, und insbesondere 1932, einige hundert völlig verzweifelte Spitzenbörsianer den Freitod durch den fallschirmlosen Sprung vom Dach eines Hochhauses. Es war und ist offensichtlich: Die schönsten Zeiten an der Börse erlebt man während der Bullenphase. Danach wird die Gemengelage sehr gemischt.

Wie gemischt? Dies fasste einst der Altvater der Börsenpsychologie, Bob Farrell, mit Rückblick auf die Ereignisse von 200 Börsenjahren sehr gekonnt in 10 "Regeln" im Jahre 1960 zusammen. Es gibt keine "neuen und besseren Ausnahme-Zeiten, alle Exzesse (wie z.B. ein "ewiger Boom") gleich welcher Art, sind niemals permanent." Sie kommen und gehen. Es gibt kein besseres oder schlechteres Morgen, im Sinne einer neuen und besseren Börsenzeit in der "alles besser wird". Exponentiell rapide steigende oder fallende Kurse korrigieren sich IMMER, aber sie korrigieren sich niemals durch irgendwelche Seitwärtsbewegungen.

Die Öffentlichkeit, also die Masse der kleinen und mittleren Investoren, kaufen am meisten nahe der Marktspitzen, sie steigen also "immer zu spät" ein. Die technisch und durch Insiderinfomationen hochgerüsteten, und kapitalstarken Großen am Markt wissen das und steigen rechtzeitig ein oder aus und ihnen fließt das Kapital der Kleinen am Ende zu.

Die Kleinen verkaufen meist nahe der Bodenbildung, lange nach den rechtzeitig agierenden Großen. Furcht und Gier sind immer stärker als noch so gute, einst in bester Absicht gefasste, persönlich vorgenommene Langzeit-Entscheidungen und einst fest geplante Anlagestrategien und persönliche Regeln und Grenzziehungen ("so etwas würde ich aber niemals tun und diese Grenzen würde ich nie überschreiten und jene Risiken nie und nimmer eingehen").

Diese selbst gesetzten Regeln und Grenzziehungen gehen im entscheidenden Moment, unter dem Eindruck des momentanen Marktgeschehens, so gut wie immer über Bord. Der Investor wird, wie ein süchtiger Spieler, entgegen aller persönlichen Vorsätze und einst gefassten Grundsatz-Entschlüsse, einfach mitgerissen.

Die Märkte mit ihren Trends sind dann am stärksten und im Aufwärtstrend am zuverlässigsten, wenn sie mit vielen börsenkotierten Unternehmen breit aufgestellt sind. Sie sind am unzuverlässigsten, also zur Schwäche neigend, wenn sie nur oder im Wesentlichen von wenigen, ganz großen, berühmten und bisher sehr zuverlässigen Namen und deren Kursen dominiert sind.

Diese Situation herrscht gerade jetzt vor. Der Markt wird beherrscht von börsenstarken Riesen wie Apple, Google, Microsoft, Exxon, Tesla, Amazon, Morgan Bank, Facebook und anderen Giganten, deren jeweilige Börsenwerte im zwei-, drei oder gar vierstelligen Milliardenbereich zu suchen sind. Diese Sachlage macht es den mit jeder relevanten Information, mit allen Vollmachten der Wall Street, sowie mit 300 Milliarden $ als "Notkapital" ausgestatteten und heimlich im Hintergrund arbeitenden "Kursstützern", wie dem Plunge Protection Team, sehr einfach, die Börse über Wasser zu halten.

Sie brauchen nur mit relativ bescheidenem Kapitaleinsatz einige wenige Werte zu kaufen und der Börsenindex "stimmt wieder", ganz im Sinne der Finanzindustrie, der Zentralbanken und der gesamten Dollar-Hierarchie. Und schon bleibt die Masse der noch zu schröpfenden Kleinanleger schön bei der Stange, und der unvermeidliche Crash wird immer weiter hinausgeschoben.

Natürlich gibt es weitere kursstützende Einflussfaktoren: Seit Beginn des Jahres 2017 pumpten die Zentralbanken weltweit 1.200 Milliarden frisch aus dem Nichts geschaffene Dollar-Werte, freilich also nicht nur in Dollars, sondern in diversen Währungen, in das Finanzsystem. Dieses Sümmchen muss ja irgendwohin.

Immobilien werden langsam knapp, also hallali, auf, auf zur fröhlichen Börsenjagd. Zu den Jägern zählen Banken (sie leiden unter den Tiefzinsen), Versicherungen, Pensionskassen, Staaten und Millionen von Sparern. Das gesunde Zeitalter von Sparen und Investieren ging ja längst zu Ende. Es wird nur noch krankhaft und zwanghaft spekuliert. Doch wer gehört zur spekulierenden Jagdmeute an der Börse?

Alle, die unter einem zinsfreiem System leiden, also vor allem die Sparer, wie auch Hedgefonds und Unternehmen, die ihre eigenen Aktien (meist auf Pump) zurückkaufen und so deren Kurse stützen. Wenn die Flut kommt, in diesem Falle eine künstliche Flut, heben sich alle Boote im Börsenhafen an. Die Kurspegel steigen. Fundamentaldaten, wie Quartalsgewinne, Konjunkturmeldungen, Umsatzprognosen, Verschuldung und andere zählen nicht mehr, bestenfalls noch Übernahmegerüchte finden Beachtung. Wo zum Teufel findet man irgendwo überhaupt noch eine Rendite?

Außerdem hilft der Mangel an Alternativen im Anlagebereich. Die Durchschnittsrenditen von Festverzinslichen liegen bei Null. In der Schweiz und in Japan muss man sogar eine Abgabe zahlen, nur um in die Gnade zu kommen, einige Nullzins-Bonds überhaupt kaufen zu dürfen. Der Anleger zahlt jetzt Zinsen und nicht mehr der Emittent, wie seit Jahrhunderten üblich. Anderswo sieht es ähnlich trübe aus.

Edelmetalle, was ist das überhaupt? Sie gehören in die Nachttisch-Schublade der Urgroßmutter. Wie lange muss der Käufer von 10-jährigen US-Staatsanleihen warten, bis er seinen Kapitaleinsatz in Form von Zinscoupons wieder zurück erhält? Nur 45 Jahre, also bis zum Staatsbegräbnis einer gewissen Kanzlerin. Gute Veganer und Yogis mögen das schaffen. Mit 10-jährigen Euroanleihen dauert die Rückzahlung lediglich 85 Jahre. Wir feiern dieses Ereignis im Jahre 2102. Herzlich willkommen zu den Feierlichkeiten, Blumen für die Hausfrau nicht vergessen!


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