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Das Spiegelkabinett des Herrn Draghi

20.08.2017  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
Die große Verzerrung

Die Zinssenkungen der EZB und ihre Wertpapierkäufe erklären nur zum Teil, warum die Kreditkosten im Euroraum so niedrig sind. Die Versicherung gegen unerwünschte systemische Zahlungsausfälle, die die EZB den Finanzmarktakteuren frei Haus gewährt hat, ist dabei nicht minder bedeutsam. Eine effiziente Preisbildung des Risikos ist nun aber ausgeschaltet.

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Quelle: Thomson Financial
(2) Vix-Index, in Prozent


Die Zentralbank hat die Erwartung bei den Finanzmarktakteuren geschürt, sie werde ungewollte Zahlungsausfälle abwenden. Das wiederum senkt die Sorge vor Kreditausfällen ab. Die Preise für Versicherungen gegen Kreditausfälle und damit die Kreditzinsen fallen. Schlechte Schuldner kommen nun leichter an neue Kredite. Investoren, auf der Jagd nach Rendite, sind bereit, auch schlechten Schuldnern Geld zu vergleichsweise niedrigen Zinsen zu leihen. Doch damit nicht genug: Die geldpolitisch erzeugte Zuversicht im Kreditmarkt schwappt auf andere Märkte über - wie beispielsweise auf die Aktien- und Häusermärkte. Auch hier schwindet die Risikosorge, die Renditeanforderungen sinken, und die Vermögenspreise steigen.


Risiken verschwinden nicht

Die Risiken, die das menschliche Handeln und Wirtschaften mit sich bringen, lassen sich durch die geldpolitische Maßnahmen nicht aus der Welt schaffen. Menschen machen Fehler. Zum Beispiel über- oder verschätzen Unternehmen immer wieder mal die Nachfrage. Sie produzieren dann zu viel oder das Falsche, und die erhofften Gewinne stellen sich nicht ein. Oder: Arbeitnehmer unterschätzen die Pleitegefahr ihrer Firma, verlieren unerwartet ihren Arbeitsplatz (und können plötzlich nicht mehr alle laufenden Rechnungen bezahlen).

Die Zentralbanken sorgen dafür, dass bestehende Risiken umverteilt werden beziehungsweise dass sich die Gestalt der Risiken verändert. Beispielsweise wird ein Kreditausfallrisiko zum Inflationsrisiko umgemünzt, wenn die Geldpolitiker einen Konjunkturabschwung verhindern wollen, indem sie die elektronische Notenpresse anwerfen, und offene Rechnungen mit neu geschaffenem Geld bezahlt werden. Gläubiger müssen dann nicht mehr mit Zahlungsausfälle fürchten, sondern dass das Geld, das der Schuldner zurückzahlt, seine Kaufkraft eingebüßt hat.

Zudem schaffen die Geldpolitiker neue Risiken. Indem sie die Marktzinsen künstlich verzerren - durch Leitzinssenkungen, vor allem aber durch das künstliche Absenken der Risikoprämien - verleiten sie die Marktakteure zu Handlungen, die ohne den geldpolitischen Eingriff nicht durchgeführt würden. Die Zentralbanken setzen also falsche beziehungsweise nicht erfolgreich durchführbare Investitionsprojekte in Gang, die nachfolgend zu volkswirtschaftlichen Störungen - zu Ungleichgewichten - führen und sich dann in Krisen entladen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die aktuelle Lage im Euroraum bewerten: Der konjunkturelle Aufschwung ist maßgeblich geldpolitisch angetrieben - durch extreme niedrige Kreditkosten - und, nicht weniger bedeutsam, durch ein allumfassendes Sicherheitsnetz, das die EZB aufgespannt hat, und durch das der Preis für Risiko künstlich reduziert ist. Die Kapitalkosten der Firmen sind künstlich herabgedrückt. Fehlentscheidungen und Kapitalfehllenkungen sind die unausweichliche Folge - auch wenn sie zunächst hinter der Fassade eines konjunkturellen Aufschwungs verborgen bleiben.


Zinsen bleiben niedrig

Wie aber kann eine derartige Geldpolitik beendet werden, ohne große Erschütterungen in den Wirtschaften und auf den Finanzmärkten zu verursachen? Ohne dass die Zentralbank das Sicherheitsnetz, die Versicherung gegen Zahlungsausfälle entfernt, wird es keine Rückkehr zu normalen, der tatsächlichen Risikolage angemessenen Zinsen und Kapitalkosten geben. Darüber sollten selbst eine angedachte Rückführung der Anleiheaufkäufe oder Leitzinserhöhungen nicht hinwegtäuschen.

Solange die Finanzmärkte erwarten (können), dass Rezession und/oder Finanzmarkt-Crash durch die Zentralbank abgefangen werden, wird eine geldpolitische Straffung in ihrem Ausmaß als gering und in ihrer zeitlichen Erstreckung als vorrübergehend angesehen. Denn sollten die Folgen steigender Zinsen wie Konjunktureintrübung oder Verfall der Vermögenspreise unerwünscht schmerzlich werden, würden die Finanzmarkteilnehmer damit rechnen, dass die Zentralbanken umsteuern - auf Zinssenkungen und eine noch ausgiebigere Geldmengenvermehrung.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



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