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Wie Deutschland zur Kasse gebeten werden soll

01.10.2017  |  Manfred Gburek
Deutschland bietet den anderen Euroländern eine - auch für Anleger gefährliche - offene Flanke. Die wird umso schlimmere Folgen nach sich ziehen, je länger die Koalitionsverhandlungen in Berlin andauern. Derweil kommen - von der Öffentlichkeit in Deutschland kaum beachtete - Frontalangriffe aus Brüssel und Paris. So plant die EU-Kommission schon wieder eine Reform der Einlagensicherung zulasten deutscher Banken und Sparkassen, außerdem eine gemeinsame fiskalische Absicherung für die einheitliche Bankenabwicklung, die Reduzierung notleidender Kredite und die Einführung von durch Staatsanleihen gesicherten gesicherten Wertpapieren.

Da will sich Frankreichs schneidiger Präsident Emmanuel Macron nicht lumpen lassen. Er nutzt die langwierigen, ständig von Blockaden bedrohten Koalitionsverhandlungen in Deutschland geschickt aus, um sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen, die vor allem dieses Ziel verfolgt: Deutschland in das Korsett namens Gemeinschaftshaftung zu zwingen. Zugegeben, solche Versuche gibt es von verschiedenen Seiten zigfach bereits seit Jahren.

Doch dieses Mal steckt etwas ganz Besonderes dahinter: Die 19 Euroländer verfügen immer noch nicht über eine gemeinsame politische Finanzautorität als Gegengewicht zur EZB. Macron stößt jetzt in dieses Vakuum - um schon bei der nächsten Eurokrise die Initiative an sich zu reißen. Die Folge: Deutschland, dann wohl weiterhin mit innenpolitischen Rangeleien beschäftigt, dürfte Macron nichts mehr rechtzeitig entgegenzusetzen haben. Die Folge: Deutsche Steuerzahler werden zur Kasse gebeten.

Da wirkt ein Spruch von Kanzlerin Angela Merkel wie blanker Hohn: "Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten." Und was ist mit Schwarz-Gelb-Grün, kurz Jamaikakoalition genannt, soll daraus etwa nur ein geklontes Schwarz-Rot werden? Entsprechende Absichten mögen ja die Runde machen, aber daraus wird nichts. Und wie vertragen sich die Gelben mit den Grünen? Nur ein Beispiel, das belegt, wie wenig bis gar nicht sie sich vertragen: Grün strebt für Euroland ein eigenes Budget und sogar eine gemeinsame Wirtschaftsregierung an, Gelb ist strikt dagegen. Dass bei solchen Gegensätzen - derer gibt es Dutzende - Neuwahlen immer wahrscheinlicher werden, liegt auf der Hand.

Noch einige Anmerkungen zu den Stimmen aus Anlass des Abschneidens der AfD - einfach entwaffnend: Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer behauptet, die AfD im Bundestag "schadet unserem Land". VW-Chef Matthias Müller meint sogar, das Abschneiden der AfD sei "schockierend", und er findet diese Begründung: "Für Deutschlands größtes Industrieunternehmen sage ich: In der globalisierten Wirtschaftswelt führen nationaler Egoismus und Protektionismus in die Sackgasse und am Ende zum Verlust von Arbeitsplätzen." Dagegen erscheint die Argumentation von Siemens-Chef Joe Kaeser geradezu realistisch, wenn er den AfD-Erfolg als "Niederlage der Eliten in Deutschland" interpretiert.

Tatsache ist, dass die AfD die meisten Stimmen aus der Mitte des relativ gut situierten Bürgertums und nicht von irgendwelchen Schreihälsen erhalten hat, nachzulesen in den Wahlanalysen der Meinungsforscher. Also ein Protest aus der Mitte der Gesellschaft gegen die Bevormundung durch selbstherrliche Politiker, gegen die sogenannte Elite der Konzerne und ihrer Verbände, die bei näherer Betrachtung vielfach einer Horde von geldgierigen Managern gleicht, sowie gegen die leider immer einseitiger berichtenden Medien.

Das Argument von VW-Chef Müller mit dem möglichen Verlust von Arbeitsplätzen ist besonders aufschlussreich, schwingt doch unterschwellig die Gleichung mit: AfD-Erfolg = Gefahr für die Globalisierung = weniger Arbeitsplätze in Deutschland. Womit der Sündenbock scheinbar gefunden ist: der AfD-Wähler. Solch ein konstruierter Zusammenhang ist nicht nur eine Beleidigung des Bürgertums, sondern auch eine Ablenkung von den eigenen Fehlern. Diese bestehen zum Beispiel darin, dass speziell die deutsche Autoindustrie den Trend zur Elektromobilität zu verschlafen droht und deshalb für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich ist.

Technologische Umbrüche deuten sich erst hier und da an, dann werden sie immer schneller, wirken exponentiell, lassen ganz neue Industrien entstehen - und verdrängen die alten. Deutschland befindet sich zweifellos am Beginn einer solchen Entwicklung. Wer das ignoriert, hat keine Ahnung von Wirtschaftsgeschichte. Man denke nur an das Zechensterben, an den Verlust der ehemals starken deutschen Kameraindustrie zugunsten japanischer Kopierkünstler, an überflüssig gewordene, von Computern verdrängte mechanische Schreibmaschinen oder an die Ablösung von Zeitungen durch das Internet.

Während sich derzeit deutsche Politiker darüber streiten, ob Verbrenner unter den Autos schon 2025 oder erst 2030 verboten werden sollen, sind ausländische Autokonzerne wie BYD aus China und Tesla aus den USA längst dabei, praxistaugliche Elektromobile zu relativ günstigen Preisen auf den Markt zu bringen. Immerhin mischen wenigstens ein paar deutsche Zulieferer bei den Stromern an vorderster Front mit. Man denke nur an die breit aufgestellten Konzerne Bosch und Continental, aber auch an Spezialisten wie den bereits börsennotierten Maschinenbauer Aumann oder den jetzt an die Börse strebenden Batterieentwickler Voltabox.

Zweifellos müssen entscheidende Impulse von der Politik kommen, wenn es darum geht, beim technologischen Umbruch in Richtung Elektromobilität ganz vorn mitzumischen. Doch da tut sich zu wenig. Die Koalitionsverhandlungen und die damit verbundenen Machtgelüste der Politiker werden in Berlin für viel wichtiger gehalten als die Neuordnung der Autoindustrie, die Gefahr läuft, von Chinesen und Amerikanern überrollt zu werden. Und je länger das Gerangel um die Koalition anhält, desto mehr verlieren deutsche Autobauer und ihre Zulieferer den Anschluss an die elektromobile Weltspitze.

Derweil vollzieht sich in deutschen Fabriken eine von den meisten Politikern leider nicht ernst genug genommene Entwicklung: Arbeiter werden zunehmend durch Roboter ersetzt. Das bedeutet: Die Industrie braucht immer weniger Beschäftigte. Und: Die müssen topp qualifiziert sein. Die entsprechende Ausbildung lässt sich allerdings nicht von heute auf morgen herbeizaubern. Und dann gibt es noch eine schlimme Begleiterscheinung: Die meisten nach Deutschland strömenden Flüchtlinge sind nicht qualifiziert, ihre Integration in den deutschen Arbeitsmarkt bleibt bis auf Weiteres mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Fazit: Angriffe auf die schwache deutsche Flanke aus Brüssel und Paris, eine angeschlagene Bundeskanzlerin, die nur schleppend vorankommende Jamaikakoalition oder alternativ Neuwahlen, AfD-Bashing, der von deutschen Konzernen zu zögerlich wahrgenommene technologische Umbruch hin zu mehr Elektromobilität und die Gefahren für den deutschen Arbeitsmarkt, das alles wird die nächste Bundesregierung erst mal vor unlösbare Aufgaben stellen. Danach ist mit Steuererhöhungen und weiter steigenden Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden zu rechnen.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu


Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

Neu bei gburek.eu: Elektroautos auf der Überholspur



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