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EZB-Chef Mario Draghi spielt mit dem Feuer

22.10.2017  |  Manfred Gburek
Die nächsten Tage werden entscheiden, wie beratungsresistent EZB-Präsident Mario Draghi wirklich ist. Am 26. Oktober muss er als Chef des EZB-Rats die Weichen für die kommende, nicht mehr ganz so lockere Geldpolitik wie bislang stellen. Wenigstens ein bisschen. Wie viel, das hängt nach den letzten Erfahrungen mit Super-Marios Aussagen nicht zuletzt von seiner psychischen Tagesform ab, wobei er sich gern als Meister der Kunst des Andeutens gebärdet.

Um ihm die Entscheidung zu erleichtern, hat ihm das Center for Financial Studies, eine Denkfabrik, ausgerechnet am 19. Oktober, dem Tag des 30-jährigen Crash-Jubiläums, diesen Rat gegeben: "Die Finanzbranche befürwortet mehrheitlich einen Beschluss zu einem raschen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik."

Prima, könnte man meinen, dann haben die Wissenschaftler den Praktikern des Geldes endlich mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Doch von wegen, die Vordenker mit der Empfehlung zum raschen Ausstieg sind offenbar über ihre eigenen Worte so erschrocken, dass sie umgehend einknicken: "Jedoch rechnet kaum jemand damit, dass es dazu kommen wird."

Bleibt also doch alles ähnlich, wie es ist, nur mit ein paar Abstrichen an den Anleihekäufen durch die EZB bzw. die nationalen Notenbanken des Euroraums und mit einer weiteren Warteschleife, bis die Euroland-Inflationsrate nachhaltig die Gegend um 2 Prozent erreicht? Tatsache ist: Wenn Draghi dementsprechend tickt und handelt, spielt er mit dem Feuer. Denn allein schon aus rechnerischen Erwägungen darf es einfach nicht sein, dass die EZB Anleihen kauft, die - wie deutsche Bundesanleihen - erst ab acht Jahren Restlaufzeit minimale positive Renditen aufweisen oder - wie das Gros der anderen Euroland-Anleihen - mehr oder weniger hohe Risiken bergen.

Doch was nicht sein darf, kann trotzdem sein, allein schon aus Rücksicht auf hoch verschuldete Länder wie Italien, Portugal oder Griechenland. Deshalb geht es Draghi noch nicht um eine nennenswerte Reduzierung des gesamten Anleihen-Kaufprogramms, sondern lediglich um eine leicht abgewandelte Kombination, bestehend aus etwas weniger an monatlichen Anleihekäufen und einer verlängerten Programm-Laufzeit - mit dem Ergebnis, dass sich unter dem Strich nur ganz wenig oder gar nichts verändert.

Die amerikanische Notenbank Fed hat ja längst vorgemacht, wie das funktioniert, und die Börsianer jubeln, als habe sich ein Perpetuum mobile in Bewegung gesetzt. Dabei werden Risiken einfach ausgeblendet.

Wohin führt das Ganze? Auf den Punkt gebracht: Zu einem massiven Streit zwischen den Gegnern und den Befürwortern der lockeren Geldpolitik im EZB-Rat. Einen solchen Streit gibt es zwar schon seit Jahren, aber dieses Mal droht er zu eskalieren. Warum? Weil es in der EZB gewaltig kracht.

Ein kleinerer Teil der EZB-Ratsmitglieder argumentiert: Schwache Euroländer sollten die gute Konjunktur in Verbindung mit sehr niedrigen Zinsen nutzen, um ihre Schulden zu senken, also hochverzinsliche Anleihen in solche mit niedrigen Zinsen zu tauschen, um so ihre Gesamtverschuldung zu reduzieren. Der größere Teil der EZB-Ratsmitglieder hält dagegen: Weil die Zinsen niedrig sind, sollten die Euroländer auf jeden Fall mit Krediten zugreifen; danach könne man die hochverzinslichen Altschulden ja immer noch abbauen.

Der Konflikt zwischen beiden Lagern spitzt sich gerade wieder mal unerbittlich zu. Dabei geht es nicht allein um Zinsen und Schulden, sondern auch um die Vergemeinschaftung der Finanzpolitik. Das heißt, vor allem Deutschland als reichstes Euroland soll sich den Franzosen, Italienern und den hoch verschuldeten sonstigen Euroländern beugen.

Doch allein schon der Fall Italien zeigt, dass dies in eine Sackgasse führen würde. Denn das Land hat so viele Staatsanleihen ausgegeben, dass kaum jemand sie haben will. Derzeit befinden sich über 20 Prozent von ihnen in den Bilanzen italienischer Banken. Daraus folgt: Spätestens bei der nächsten Finanzkrise werden die Kurse dieser Anleihen fallen und so hohe Abschreibungen in den Bankbilanzen nach sich ziehen, dass der italienische Staat nicht umhinkommen wird, andere Euroländer um Hilfe zu bitten, an vorderster Stelle Deutschland.

Zweifellos ist das ein bedrohliches Szenario. Aber warum reagieren die Börsen darauf nicht mit größeren Kursverlusten oder sogar mit einem Crash? Eine naheliegende Antwort: Weil Risiken überwiegend ignoriert werden. Wenn, wie eingangs beschrieben, eine Denkfabrik die EZB ermahnt, die expansive Geldpolitik rasch zu beenden, aber gleichzeitig selbst nicht daran glaubt, zeugt diese Argumentation ganz einfach von Risiko-Ignoranz. Woher diese kommt, ist leicht auszumachen: Die gute Konjunktur in Verbindung mit niedrigen Zinsen versetzt Unternehmen und Verbraucher in eine positive Stimmung, ja zum Teil in Euphorie.

Daraus kann über kurz oder lang allerdings die Gefahr erwachsen, dass Unternehmen sich zu Fehlinvestitionen verleiten lassen, dass Käufer von Häusern oder Wohnungen diese mit zu hohen Krediten finanzieren, dass Verbraucher viel zu teure Ratenkredite aufnehmen oder dass große Konzerne sich gegenseitig aufzukaufen versuchen. Wobei die Börsenentwicklung zusätzlich stimulierend wirkt und so manches Unternehmen dazu verführt, mangels lukrativer Sachinvestitionen eigene Aktien zurückzukaufen, von Fall zu Fall sogar mittels Kredit.

Wenn alles wie beschrieben brummt und boomt, warum ist die Inflationsrate dann nicht in der Lage, die von der EZB als Ziel vorgegebenen annähernd 2 Prozent zu erreichen? Darauf gibt es mehrere plausible Antworten, die sich zum Teil sogar bis zur Tiefenpsychologie erstrecken. Doch bleiben wir bei der nächstliegenden, ausgehend von der deutschen Inflationsrate in Höhe von zuletzt 1,8 Prozent. Warum so niedrig? Weil die Energiepreise (plus 2,7 Prozent) und die Preise für Nahrungsmittel (plus 3,6 Prozent) erst gar nicht in die Inflationsstatistik eingegangen sind.

Der Grund: Es handelt sich um Produkte mit starken zyklischen Preisschwankungen. Wenn also der Butterpreis explodiert, wie zuletzt geschehen, ignorieren ihn die Statistiker bei der Berechnung der Inflationsrate einfach. Mal sehen, wie sich die Inflation weiter entwickelt, sobald die Strompreise im Gefolge der Energiewende ihren Weg nach oben verstärkt fortsetzen, sobald die IG-Metaller Lohnerhöhungen durchsetzen oder sobald Streiks in Frankreich und anderswo die Wirtschaft erlahmen lassen.

Wie unsinnig das 2-Prozent-Inflationsziel ist, ergibt sich im Übrigen aus den folgenden Überlegungen: Grundsätzlich ist ein so starres Ziel unsinnig, weil es sich bei der Inflation um einen dynamischen Prozess handelt. Die in den vergangenen Jahren übliche Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer wirkt weiter nach.

Die Informationstechnologie einschließlich der Robotik verlagert und vernichtet einfache wie auch bislang anspruchsvolle Arbeitsplätze, sodass viele teure Arbeitnehmer keinen Spielraum mehr für ihre Gehaltsforderungen haben. Der Internethandel drückt auf die Preisspannen bei Konsumgütern. Und nicht zuletzt hat der durch das amerikanische Fracking hervorgerufene Rückgang des Ölpreises die Inflation gedämpft. Dennoch wird es beim Inflationsziel bleiben, weil nicht allein Draghi sich das in den Kopf gesetzt hat. Derweil dürfte die echte Inflation, also einschließlich der Energie und der Lebensmittel, tendenziell weiterhin über 2 Prozent steigen.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu


Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

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