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Tanz auf Messers Schneide

15.09.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Wenn die Zentralbanken eine neuerliche Kreditkrise verhindern wollen, heißt das: weiterhin niedrige Zinsen und Geldmengenvermehrung. Das Drohszenario ist dann nicht eine erneute Kreditkrise, sondern eine Währungskrise.

Die Symptome zeigten sich bereits Ende der 1970er Jahre, aber erst in den 1980er Jahren kam es zum offenen Ausbruch: zur Verschuldungskrise vieler lateinamerikanischer Staaten - insbesondere von Brasilien, Argentinien und Mexiko. Diese Länder hatten sich zuvor kräftig in Fremdwährung verschuldet und gerieten durch den zweiten Ölpreisschock in arge Probleme. Sie konnten ihre Zins- und Tilgungszahlungen nicht mehr leisten. Kredite fielen aus. Viele der betroffenen Volkswirtschaften versanken in Rezession und Chaos.

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Am Ende des ersten Quartals 2018 betrug die US-Dollar-Verschuldung außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika 11,5 Billionen USD. Von dieser gewaltigen Summe gingen 3,7 Billionen USD in die aufstrebenden Volkswirtschaften - Asien 1,4 Billionen USD, Latein Amerika 1 Billionen USD, Afrika 783 Mrd. USD, Osteuropa 474 Mrd. USD (davon Russland 189 und Türkei 198 Mrd. USD). Die Hälfte der US-Dollar-Kredite bestand in Form von Bankkrediten, die andere Hälfte in Form handelbarer Schuldpapieren.

Die "Türkei-Krise" scheint Vorbote einer neuerlichen Schuldenkrise zu sein. Die Investoren sind zögerlich geworden oder nicht mehr bereit, den Türken neue Kredite zu gewähren. Gleichzeitig läuft das Land Gefahr, nicht alle fälligen Fremdwährungskredite zurückzahlen zu können. Ein Zahlungsausfall der Türken hätte vermutlich "Ansteckungseffekte": Anleger ziehen nicht nur ihr Kapital aus der Türkei, sondern auch aus anderen hoch verschuldeten Ländern ab, und auch diese Schuldner geraten dann in Zahlungsschwierigkeiten.

Ein solcher "Credit Event" könnte mitunter sogar die entwickelten Volkswirtschaften in Mitleidenschaft ziehen. Das ist auch der Grund, warum der Internationale Währungsfonds (IWF) vermutlich längst Gewehr bei Fuß steht, um strauchelnde Schuldner zu stützen, beziehungsweise um die Kreditgeber, die den aufstrebenden Volkswirtschaften Geld geliehen haben, zu "retten", zumindest ihre Verluste zu begrenzen. Verwunderlich wäre das nicht; es wäre die Fortführung einer Jahrzehnte währenden Praxis.

Durch eine solche Hilfsaktion "Bail Out") werden Banken und Großinvestoren aus dem Obligo genommenund den Steuerzahlern der Weltgemeinschaft werden die Ausfallrisiken fragwürdiger Kreditforderungen aufgebürdet: Die Schulden werden auf eine supranationale Ebene, den IWF, verschoben. Gewinne werden privatisiert, Verluste vergemeinschaftet. Finanziert wird das Ganze, indem der IWF sich das Geld von den Teilnehmer-Zentralbanken beschafft.

Die nationalen Zentralbanken, die zur Kasse gebeten werden, stellen das benötigte Geld entweder aus ihren eigenen Währungsreserven bereit, oder sie drucken neues Geld, schaffen es "aus dem Nichts". Letztlich hängt allerdings der Erfolg einer solchen "Rettung" durch den IWF in entscheidendem Maße von den Entscheidungen der US-Zentralbank ab. Sie ist der Produktionsmonopolist für die Weltleitwährung, und sie bestimmt durch ihre Geldpolitik die internationale Verfügbarkeit des Greenback.

Solange die Investoren vertrauensselig darauf setzen, dass der IWF schon einspringen wird, dass im "Notfall" die Fed - im Verbund mit den übrigen großen Zentralbanken - die Zinsen senkt und die Kredit- und Geldmengen ausweitet, kann eine weltweite "Kreditkrise" - das heißt Zahlungsausfälle von Schuldnern - vermutlich abgewehrt werden. Doch wenn die Märkte beginnen den politischen Rettungswillen anzuzweifeln und zu testen, könnte es ungemütlich werden.

Der IWF kann den Finanzmärkten mit nur maximal 750 Mrd. USD beispringen. Wenn dieser Kreditrahmen ausgeschöpft ist, müssen die Zentralbanken in Aktion treten. Das wiederum kann leicht die Sorge der Anleger befeuern, eine Vermehrung der Geldmenge werde die Kaufkraft der Währungen ruinieren. Das Aufkeimen von Inflationssorgen wäre geradezu ein Fanal für die weltweite Schuldenwirtschaft, denn steigende Inflationserwartungen ließen sich nur eindämmen, indem die Zentralbanken die Zinsen erhöhen.

Steigende Kreditkosten würden jedoch der Weltwirtschaft den Teppich unter den Füßen wegziehen. Die Kreditlasten vieler Schwellenländer in US-Dollar haben folglich das Potential, die globale Wirtschaft ins Mark zu treffen. Eine großangelegte Anti-Krisenpolitik von IWF und Zentralbanken wäre allerdings angesichts der immensen Schuldenlasten ein "Tanz auf Messers Schneide": Sie wäre der heikle Versuch, Zahlungsausfälle zu verhindern, ohne Inflationssorgen zu befeuern.

Was bedeutet das für den Anleger? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Staatengemeinschaft, der IWF und die Zentralbanken alles daran setzen werden, eine neuerliche Kreditkrise zu verhindern. Selbst wenn dafür eine Inflationspolitik erforderlich ist. Denn sie ist, auch wenn sie hohe Kosten mit sich bringt, bekanntlich die Politik des vergleichsweise kleinsten Übels.


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