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Die Utopie der Sozialen Marktwirtschaft

03.10.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Der wohlklingende Begriff "Soziale Marktwirtschaft" ist viel problematischer, als Sie es vielleicht glauben möchten. Warum, das lesen Sie hier.

Wer hierzulande für die "Soziale Marktwirtschaft" eintritt, sie lobt und preist, kann auf breite, ja mehrheitliche Zustimmung rechnen. Doch wenn nahezu alle etwas bejubeln, ist man gut beraten, das eigene Denken nicht zu unterlassen und die Mehrheitsmeinung kritisch zu prüfen. Das gilt vor allem, wenn es sich um Ideen handelt, mit denen das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben von oben gestaltet und gelenkt werden soll.

Die Geschichte ist voll von solchen Entwürfen: Man denke an Kommunismus, Sozialismus, Faschismus oder Nationalsozialismus. Sie alle repräsentieren totalitäre Ideen, die die einen den anderen aufzwingen - nicht selten im Eifer, eine bessere Welt schaffen zu wollen. Der irische Schriftsteller George Bernhard Shaw (1856 - 1950) schrieb dazu einmal treffend: "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert."

Die totalitären Ideen sind zwar alle gescheitert. Ihr Andauern hatte jedoch einen furchtbaren Preis: Vielen Millionen Menschen haben sie Leid, Elend und auch den Tod gebracht. Und wenngleich heute kaum mehr jemand offen für die Errichtung eines totalitären Regimes eintritt, so heißt das nicht notwendigerweise auch, dass es nicht doch - zur Überraschung und entgegen den Wünschen der wohl meisten Menschen - errichtet wird.

Das Zusammenleben der Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand ist schließlich kein Selbstläufer. Es ruht vielmehr auf ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die es tragen und befördern. Diese ökonomischen Gesetzmäßigkeiten muss jede neue Generation für sich neu einsehen, verinnerlichen und, wo sie verletzt oder gar bekämpft werden, verteidigen, wenn Frieden, Freiheit und Wohlstand bewahrt werden sollen.

Dazu ist es unverzichtbar, kritische Fragen zu stellen, den Diskurs zu suchen und zu führen. Lassen Sie uns daher hier und heute einer kritischen Frage nachgehen. Sie lautet: Ist die "Soziale Marktwirtschaft" ein Weg, um Frieden, Freiheit und Wohlstand dauerhaft möglich zu machen? Oder ist sie nur eine Utopie - eine schön klingende, idealisierte, aber letztlich doch unausführbare Vision?

Bei "Sozialer Marktwirtschaft" denken vermutlich viele sofort an Ludwig Erhard (1897 - 1977) und das deutsche "Wirtschaftswunder": die Jahre von 1948 bis in die frühen 1960er Jahre hinein. Erinnern wir uns: Am Freitag, dem 18. Juni 1948, kündigen die Militärregierungen der drei Westzonen die Währungsreform an. Am darauffolgenden Montag löst die Deutsche Mark die Reichsmark ab. Da geschieht das Unerhörte: Ohne den Segen der Alliierten verkündet Ludwig Erhard, Direktor der Wirtschaftsbehörde der britisch-amerikanischen Zone, noch am Tag der Währungsreform eigenmächtig die Aufhebung der staatlichen Preiskontrollen.

Das ist der Startschuss für das Wirtschaftswunder. Jetzt, wo sich die Preise für die Güter frei am Markt bilden können, beginnen die Unternehmen zu produzieren, Arbeit wird nachgefragt, und die Ladenregale füllen sich. Den Deutschen wird es möglich, sich ihren wirtschaftlichen und moralischen Wiederaufstieg zu erarbeiten.

Doch auch wenn der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" meist mit Ludwig Erhard verbunden wird - Erhard hat ihn weder geprägt, noch hat er ihn geschätzt, noch für politische Zwecke verwendet. Der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" stammt vom deutschen Ökonomen Alfred Müller-Armack (1901 - 1978). Auf Seite 59 seines 1947 veröffentlichten Buches "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft" findet sich erstmalig der Begriff "Soziale Marktwirtschaft".

Müller-Armack macht sich in seinem Buch stark für ein Wirtschaftsmodell, das einen Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus beschreiten soll. (Ich komme auf genau diesen wichtigen Aspekt gleich noch zu sprechen). Mit der Überschrift "Soziale Marktwirtschaft" findet Müller-Armack, wonach er gesucht hat. Die Wortschöpfung "Soziale Marktwirtschaft" ist werbewirksam: Befürworter, aber auch Skeptiker und selbst Feinde der freien Marktwirtschaft lassen sich hinter ihr versammeln. Das Wörtchen "sozial" macht‘s möglich!

Doch Friedrich August von Hayek äußert Bedenken: Für ihn ist das Wort "sozial" "wahrscheinlich das verwirrendste Wort in unserem gesamten moralischen und politischen Wortschatz" - Hayek bezeichnet es als "Wieselwort". Was ist mit "Wieselwort" gemeint? Wie ein Wiesel imstande ist, ein Ei auszusaugen, ohne eine äußere Spur seiner Tat zu hinterlassen, kann ein Wieselwort jedem Wort, dem es vorangestellt wird, Inhalt und Sinn nehmen, ohne dass der Zuhörer es merkt.


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