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Jede Menge Sprengstoff

28.10.2018  |  Manfred Gburek
Bestimmte Ereignisse prägen sich oft erst mit Verzögerung ein. So zuletzt auch die Pressekonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi am vergangenen Donnerstag - scheinbar Routine, in Wahrheit Sprengstoff für den ganzen Euroraum. Denn erstens betonte Draghi im Zusammenhang mit dem Schuldenplan der italienischen Regierung gleich mehrfach, die Finanzierung von Staatsschulden gehöre nicht zu den Aufgaben der EZB.

Zweitens hob er hervor, die EZB werde im Schuldenstreit zwischen Italien und der EU nicht die Vermittlerrolle übernehmen. Drittens wich er fast jeder brisanten Frage mit dem Satz aus, dass der EZB-Rat über das betreffende Thema nicht gesprochen habe. Und viertens wurde er nicht einmal konkret, als er auf den zum Jahresende zwar geplanten, aber noch nicht endgültig entschiedenen Schluss mit den Anleihekäufen durch die EZB angesprochen wurde.

Das Ganze nur als Passivität oder Hinhaltetaktik zu bezeichnen, wird nicht den Tatsachen gerecht. Denn der Sprengstoff entsteht aus Fakten: Falls die Anleihekäufe wie geplant zum Jahresende auslaufen, würde die EZB auf Anleihen im Wert von 2,6 Billionen Euro sitzen bleiben. Sobald eine Anleihe ausläuft, wird sie durch eine andere ersetzt. Hier vom Ende des Kaufprogramms zu sprechen, ist also irreführend.

Draghi will die weitere Entwicklung der Konjunktur abwarten, bevor er zur Tat schreitet. Dabei hat die EU der Regierung Italiens bloß eine Frist von drei Wochen eingeräumt, um das Schuldenproblem zu lösen. Davon ist ein Teil schon abgelaufen. Und bereits am 13. Dezember wird der EZB-Rat zur letzten Sitzung des Jahres antreten. Das alles reimt sich nicht mit Draghis Schweigen einschließlich seiner wortreichen Ausweichmanöver.

Was nun? Zumindest so viel lässt sich vorhersagen: Am 13. Dezember muss Draghi Entschlossenheit demonstrieren. Das wird er umso lieber tun, als er vor seinem Abschied aus der EZB in einem Jahr noch etwas Großes erledigen will, was sein Image aufzupolieren verspricht. Bislang hat er ja vor allem durch seine Londoner Rede vom Juli 2012 die ganze Finanzwelt auf sich aufmerksam gemacht, als er versprach, den Euro um jeden Preis durch Dick und Dünn zu retten. Doch das ist lange her.

Es gehört nicht viel Phantasie zu der Prognose, dass die Finanzmärkte vor wie auch nach dem 13. Dezember äußerst sprunghaft reagieren werden. Das wird natürlich nicht allein den kommenden Entscheidungen der EZB zuzuschreiben sein, sondern auch anderen wichtigen Ereignissen, etwa der Zwischenwahl in den USA am 6. November, dem Brexit-Hickhack ohne genaues Datum und der Konjunktur, die in Europa und China - anders als in Amerika - zur Schwäche neigt. Nicht zu vergessen solche Folgen, die sich aus der Reaktion der Finanzmärkte ergeben und meistens zu erhöhter Volatilität führen, also den Sprengsatz noch verschärfen.

Da uns Italien in nächster Zeit besonders beschäftigen wird, sei noch kurz auf einen entscheidenden Schwachpunkte des Landes hingewiesen - und auf die Konsequenzen für die anderen Euroländer: Die Bilanzen der italienischen Geschäftsbanken enthalten Staatsanleihen, deren Anteil an den Bilanzsummen zuletzt auf rund 10 gestiegen ist. Damit sind der Kungelei zwischen dem Staat und den Banken keine Grenzen gesetzt. Das Gefährliche daran: Staatliche Risiken werden ausgeblendet; man tut so, als könne der Staat nicht pleite gehen. Die vermeintliche und gleichermaßen gefährliche Logik dahinter: Die EZB wird es schon richten. Oder die EU. Oder Deutschland. Oder alle Euroländer zusammen.

In was für einer Geldwelt leben wir eigentlich? Zweifellos in einer, die an Haupt und Gliedern repariert werden müsste. Nicht allein innerhalb der EU und in deren hartem Kern, der Eurozone, sondern wenigstens unter Einschluss von Amerika, China und Japan. Doch dazu bedürfte es letztlich einer von allen großen Wirtschaftsblöcken, von weltweit agierenden Organisationen und von den wichtigsten Zentralbanken einschließlich der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich getragenen durchgreifenden Reform - eine Illusion.

Was folgt daraus für Anleger? Gestatten Sie mir dazu einige eher unkonventionelle Anmerkungen. Zunächst ist es wichtig, die Oberhoheit über die eigenen Finanzen zu behalten. Das schließt die Unterstützung durch Experten in Sachen Geldanlage, Versicherungen und Steuern zwar nicht aus, aber die Kontrolle über sie sollte man nie aus der Hand geben.

Nebenbei bemerkt: Die Geldanlage ist unter den drei genannten Sparten noch am meisten zurückgeblieben - ein gravierendes Manko der deutschen Geldkultur. Es handelt sich um eine Kunst, die darin besteht, die passenden Anlagen auszusuchen, sie zwecks Risikoausgleich zu streuen und richtig zu timen. Dazu gehört obendrein, was bereits Börsen-Altmeister André Kostolany als G-Viererpack treffend so formuliert hat: Gedanken, Geld, Geduld und Glück.

Gehen wir davon aus, dass die Börsen international, also weit über die Folgen aus der italienischen Misere hinaus, demnächst noch kräftiger durcheinander gewirbelt werden als bisher ohnehin schon. Die Börse in Shanghai und zuletzt auch die deutsche Börse können da Vorreiter gewesen sein. Dann heißt es für Anleger, sich zwischen zwei Varianten zu entscheiden: die waagerechte mit leichter Neigung nach oben (festverzinsliche Anlagen aller Art) oder die senkrechte mit kräftigen Ausschlägen nach oben und unten (Aktien). Wobei ich voraussetze, dass Sie hinreichend Gold und Silber besitzen, die beide, sieht man von Minenaktien und Minenfonds ab, weniger in dieses Schema passen.

Die erste Alternative eignet sich eher für Anleger, denen Aktien noch nie geheuer erschienen sind, in Deutschland also für eine große Mehrheit. Bei der zweiten Alternative gilt es zu unterscheiden: Zwischen Anlegern, die bestrebt sind, mehrjährige Zyklen zu nutzen, und Börsenspielern, die von einfachen Charts bis zu komplexen Algorithmen alles einsetzen, um ihre Gier zu befriedigen. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass die Spieler, insbesondere die jungen unter ihnen, längst zahlreicher sind als die Zykliker.

Die lukrativste Variante besteht wahrscheinlich darin, so lange zur großen waagerecht orientierten Mehrheit zu gehören, bis es an den Börsen drunter und drüber geht, und zu den Zyklikern zu stoßen, sobald hohe Kursgewinne winken. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Doch zur richtigen Zeit daran denken, wäre schon nicht schlecht, erfordert allerdings die Beobachtung der Aktienkurse über eine längere Zeit. Es lohnt sich.


© Manfred Gburek
www.gburek.eu



Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.

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