Nicht alles Gute kommt von oben: Hubschraubergeld
12.10.2019 | Prof. Dr. Thorsten Polleit

Das Wort "Hubschraubergeld" stammt vom US-amerikanischen Ökonom Milton Friedman (1912-2006). Im Jahr 1969 wollte er damit erklären, dass der Staat, wenn er das Monopol über die Geldproduktion innehat, jederzeit für Inflation sorgen kann - wenn es sein muss durch das Drucken von neuen Banknoten, die man sodann aus dem fliegenden Hubschrauber heraus auf die Bevölkerung herabregnen lässt.
Die Menschen würden, so Friedman, die neuen Scheine aufsammeln und damit Güter und Dienste kaufen gehen. Dadurch stiege die Nachfrage, und das ließe die Preise steigen, sorge also für Inflation. Friedmans Hubschraubergeld ist seit Anfang des 21. Jahrhundert wieder en vogue. Japan hat man es bereits vor 20 Jahren empfohlen.

Mit der Amtsübernahme von Christine Lagarde wird Euro-Hubschraubergeld wahrscheinlich zur Realität. Die Europäische Zentralbank (EZB) will nämlich den Menschen im Euroraum höhere Inflation bescheren. Hubschrauber macht’s möglich. Die EZB muss dafür aber nicht wirklich Hubschrauber starten lassen. Sie kann zum Beispiel jedem der etwa 341 Millionen Menschen im Euroraum neues Euro-Geld direkt auf deren Konten überweisen.
Soll die Euro-Geldmenge um, sagen wir, fünf Prozent pro Jahr steigen, dann bekäme jeder etwa 1.800 Euro pro Jahr. Ein klitzekleines Grundeinkommen sozusagen. Immerhin. Per Mausklick geschaffen und schnell an alle verteilt. Alles was die Begünstigten des Geldregens brauchen, ist eine Bankverbindung.
Aber nach welchem Schlüssel soll das neue Geld verteilt werden? Gleicher Betrag für alle? Kinderreiche Familien werden sich freuen. Oder erhält jeder den gleichen prozentualen Zuwachs seines Kontostandes? Dann wächst der Abstand zwischen reich und arm. Oder soll das Gesamtvermögen als Rechenbasis dienen? Fragt sich, was zum Vermögen zählt, und wer nachprüft, ob die gemachten Angaben stimmen. Oder sollen nur die Steuerzahler neues Geld bekommen? Was aber ist dann mit den Arbeitslosen?
Oder sollen nur Staat und politisch gewünschte Industrien neues Geld bekommen? Die politischen Willkürlichkeiten und Umverteilungswirkungen, die Hubschraubergeld mit sich bringt, sind gewaltig.
Für die Geschäftsbanken ist die Ausgabe von Hubschraubergeld auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht: Es wird ja die Nachfrage nach Krediten senken, mit denen die Banken bislang ihre Gewinne machen. Doch die gute Nachricht ist: Auch finanziell angeschlagene Schuldner würden Hubschraubergeld bekommen, mit dem sie dann ihre Kreditschulden bedienen können. Notleidende Kredite haben so Aussicht, umgeschuldet werden zu können. Sie erhalten längere Laufzeiten, und das verringert dann auch die gefürchteten Kreditausfälle in den Bankbilanzen. Die Überlebenschancen der Banken steigen.
Das ist ein wichtiger Gedanke: Die Regierungen wollen nämlich nicht nur die eigene, sondern auch die Zahlungsunfähigkeit der Euro-Banken abwenden, damit die Euro-Einheitswährung sich nicht vor allen Augen in ihre Einzelteile zerlegt. Hubschraubergeld kommt ihnen da zupass.
Und mit Frau Lagarde steht der EZB bald jemand vor, der die Wünsche der Regierenden und der Privilegien erheischenden Sonderinteressengruppen genau kennt und sicherlich auch dienstbeflissen bedienen wird. Hubschraubergeld ist ja auch zu verlockend: Man bekommt von der Zentralbank neues Geld geschenkt und ist damit nicht mehr von den Launen der Banken und Investoren abhängig. Und erst die Inflationsfreunde werden jubeln: Schließlich baut das Hubschraubergeld auf der inflationistischen Idee auf, dass die Geldmenge steigen muss, damit Wachstum und Beschäftigung möglich sind.
Ein geradezu fataler und leider sehr hartnäckiger Irrglaube. Denn eine Volkswirtschaft funktioniert selbstverständlich auch mit einer konstanten oder schrumpfenden Geldmenge. Die Forderung, die Geldmenge müsse im Zeitablauf steigen, dient allein politischen Macht- und Umverteilungsinteressen: Bei einer Geldmengenvermehrung profitieren einige - allen voran der Staat und die Banken - auf Kosten vieler.
Das allein die der Grund, warum Regierungen und machtvolle Sonderinteressen, die vom Staat in besonderer Weise profitieren, sich für die Idee stark machen, die Geldmenge müsse immer weiter anwachsen; dass eine konstante oder abnehmende Geldmenge die Wirtschaft in den Abgrund sto-ßen würde.

Karl Marx (1818 - 1883)
Die Ausgabe von Hubschraubergeld ist eine Radikalisierung der staatlichen Monopolisierung des Geldes, weil es auch noch die letzten verbliebenen privatwirtschaftlichen Elemente aus der Geldproduktion verdrängt. Mit Hubschraubergeld werden quasi alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, die der völligen politischen Willkür bei der Geldmengenschaffung und -verteilung noch im Wege stehen.
Nach Null- und Minuszinsen nun also auch noch Hubschraubergeld? Das wäre alles andere als überraschend, vielmehr hätte es System. Die EZB-Geldpolitik ist schließlich - und das tritt immer offenkundiger zutage - ein Frontalangriff auf das kapitalistische Wirtschaften im Euroraum beziehungsweise auf das, was davon noch übrig ist. Die Null- und Minuszinsen entziehen Sparen und Investieren den Boden, sie zerstören über kurz oder lang das arbeitsteilige Wirtschaften.
Und mit der vollständigen Kontrolle über die Geldmenge und ihre Zuteilung per Hubschraubergeld steigt die EZB in das Geschäft der direkten Wirtschaftslenkung ein. Sie führt einen Umsturz, eine Umwälzung der Wirtschaft und Gesellschaft herbei. Und nur wenige scheinen es zu bemerken. Vielleicht aber hat auch das System. Karl Marx schrieb noch: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen." Das scheint heute nicht mehr zu gelten.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH