Altersvorsorge auf den Kopf gestellt
15.11.2020 | Manfred Gburek

Was steckt dahinter? Im Prinzip die Idee, "unser Steuersystem von der Ertragsbesteuerung ganz und gar auf Konsumentenbesteuerung umzustellen". Dieses Zitat entstammt dem Buch "Sonst knallt's" von Götz W. Werner, Matthias Weik und Marc Friedrich. Die Autoren (der Gründer der Drogeriekette "dm" und die Verfasser des bislang erfolgreichsten Crash-Buchs in deutscher Sprache) machen kein Hehl aus ihrer Sympathie für das Grundeinkommen. Zu Recht? Darüber sind Wissenschaftler zerstritten.
Des Pudels Kern besteht allerdings nicht so sehr im Pro oder Kontra zu einer Konsumentensteuer, sondern darin, dass wir es in Deutschland bei der Altersvorsorge mit einem ineffizienten Flickenteppich zu tun haben, im Kern basierend auf dem Paternalismus: Der Staat wird’s schon irgendwie richten. Dieser Paternalismus begleitet uns seit über einem halben Jahrhundert in Gestalt der gesetzlichen Rentenversicherung, eingebettet in ein international einmaliges Umlageverfahren: Das heißt, die Arbeitnehmer von heute kommen für das finanzielle Wohl der Rentner von heute auf.
Dass diese Rechnung im Gefolge von immer weniger Arbeitnehmern und immer mehr Rentnern in die Irre führt, liegt auf der Hand. Doch kaum ein Politiker wagt auszusprechen, die Altersvorsorge müsste zulasten der einen oder anderen Bevölkerungsgruppe von Grund auf reformiert werden - ein Shitstorm wäre die Folge.
So ist es gekommen, wie es kommen musste: Versicherer unter Führung von Allianz Leben, Geschäftsbanken, Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken haben die private Altersvorsorge als Gewinnbringer schon früh für sich entdeckt und entsprechende provisionsträchtige Finanzprodukte in den Markt lanciert: Kapital- und fondsgebundene Lebensversicherungen, Aktienfondssparpläne, zuletzt auch ETF-Sparpläne, Pensionsfonds und Riester-Renten - Letztere mit derart fragwürdigen Ergebnissen, dass an ihrer Reform kein Weg mehr vorbeiführt. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass dazu im Bundesfinanzministerium bereits ein Referentenentwurf kursiert.
Derweil hat Branchenprimus Allianz Leben mit dem Plan für wahrlich originelle Varianten zur Kapitallebensversicherung aufgetrumpft: solche mit 90, mit 80 und mit 60 Prozent Beitragsgarantie. Das bedeutet: Kunden, die auf diese Angebote eingehen, bekommen vom nächsten Jahr an Verluste garantiert. Das Ganze ist zweifellos dem extrem niedrigen Zinsniveau geschuldet. Aber hat es überhaupt noch etwas mit der Vorsorge fürs Alter zu tun? Immerhin: Je niedriger die Garantie, desto mehr basieren die Angebote auf Aktien, Infrastruktur-Investitionen, Unternehmensanleihen und sonstigen renditeträchtigen, allerdings mit höheren Risiken behafteten Anlagen.
Damit sind wir an einem entscheidenden Knackpunkt angelangt. Denn warum soll jemand Aktien oder sonstige lukrative Anlagen auf dem Umweg über einen darüber gestülpten, Geld kostenden Versicherungsmantel kaufen, wenn der direkte Kauf wegen niedrigerer Kosten und größerer Transparenz günstiger ist? Die Antwort, die jeder Versicherer daraufhin wie aus der Pistole geschossen geben dürfte: Weil bei Aktien und sonstigen Renditebringern Profis am Werk sind, die mit ihren Anlageentscheidungen den Aktienlaien überlegen seien.
Doch diese Antwort kann mindestens aus den folgenden Gründen nicht ganz überzeugen: Es gibt neben guten Aktienfondsmanagern auch schlechte; alle kosten zulasten der Versicherten mehr oder weniger viel Geld. Sie können im Gegensatz zu privaten Anlegern nicht flexibel genug agieren oder reagieren, zum Beispiel, wenn - wie in diesem Jahr geschehen - die Covid-19-Pandemie die Aktienkurse durcheinander wirbelt. Und nicht zu vergessen: Inzwischen ist das Angebot an Informationen zu Aktien im Gefolge der Digitalisierung auch hierzulande so umfangreich geworden, dass vermeintliche Aktienlaien die freie Wahl haben, um mit den Profis gleichzuziehen.
Kommen wir nochmals auf den Paternalismus zurück: Er zieht sich hierzulande - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern - wie ein roter Faden durch so unterschiedliche Vorsorgesysteme wie die gesetzliche Rente, Versicherungs- und Bankangebote, die Riester-Rente und letztlich auch das bedingungslose Grundeinkommen. Warum brauchen die meisten Deutschen für ihre Geldanlagen eine Art väterliche Unterstützung, die im Prinzip überflüssig ist?
Diese Frage lässt sich zwar unterschiedlich beantworten, aber die folgende Antwort dürfte dominieren: Weil ihnen Sicherheit offenbar über alles geht - leider auch falsch verstandene Sicherheit, wie sie aus den billionenfachen zinslosen Spareinlagen der Deutschen hervorgeht.
Immerhin haben viele Sparer unter dem Sicherheitsaspekt auch Immobilien entdeckt - hoffentlich rechtzeitig schon vor Jahren, denn mittlerweile sind die Preise recht hoch, vor allem in deutschen Metropolen und Universitätsstädten. Wobei abzuwarten bleibt, wie sich Covid-19 in den nächsten Jahren auf die Immobilienpreise auswirken wird.
Wenn es um die Sicherheit des Geldes geht, dann darf eine Anlage nicht fehlen: Gold, ergänzt um Silber. Die in letzter Zeit zu beobachtenden Preissprünge beider Edelmetalle sind zwar nichts für schwache Nerven. Aber mit dem Wissen im Hinterkopf, dass alles Papiergeld dieser Welt irgendwann den "Wert" Null erreicht, ist mindestens eine Basisposition an Gold und Silber nicht zu verachten. Und wer flexibel ist, kann nach der jüngsten Kursentwicklung der Minenaktien hier auch sein Glück versuchen.
Schließlich noch ein geldwerter Schwenker zur gestaffelten Beitragsgarantie der Allianz und demnächst auch ihrer Konkurrenten. Dazu dient diese Überlegung: Falls das Geld der Anleger in größerem Umfang den 80er- und vor allem den 60er-Beitragsgarantie-Varianten zugute kommen sollte, dürfte in den nächsten Jahren mit einem weiteren Kursschub für überwiegend deutsche Aktien zu rechnen sein.
© Manfred Gburek
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Manfred Gburek ist neben seiner Funktion als Kolumnist privater Investor und Buchautor.
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