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Im Fokus: Rohöl und Erdgas aktuell

20.10.2004  |  Peter Boehringer
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Die Gesamtreservensituation abzuschätzen ist zwar wichtig und nützlich. Entscheidend sind kurz- bis mittelfristig jedoch nicht die ultimate oil reserve / gesamten förderbaren Reserven, sondern die zu noch erträglichen Preisen maximal möglichen Fördermengen. Mittelfristig kann man sogar davon ausgehen, dass die Förderrate ihren historischen und unumkehrbaren Hochpunkt unabhängig vom Preisniveau (!!) erreichen wird.
Aussagen in der Presse wie "Öl wird erst in 30-70 Jahren ausgehen" sind daher zwar nicht falsch.[7] Sie sind für sich genommen auch bereits dramatisch genug, da viele unserer Leser und definitiv alle Kinder der Leser das Ende nennenswerter Welt-Ölförderung erleben werden.

Ökonomisch ganz entscheidend ist jedoch bereits der in der Ölbranche "peak oil" genannte Zeitpunkt der maximalen Förderung! An diesem Punkt wird die derzeit recht preisunelastische Nachfragekurve zwangsläufig elastisch. Das heißt, falls an diesem Punkt nicht schnell alternative Energieträger das Öl substituieren können, müssen einige Nachfrager mangels zusätzlicher Ölförderung ihre Nachfrage reduzieren oder einstellen. Dies wird zwangsläufig schrumpfende Volkswirtschaften und Verteilungskämpfe zur Folge haben, weil viele heute ölbasierten Aktivitäten (Transporte, ölbasierte Herstellung sehr vieler wichtiger Produkte, moderne Landwirtschaft, …) um- oder eingestellt werden müssen! Wir können hier nur bedingt auf die möglichen Konsequenzen eingehen, die weit über die Finanzwelt hinausgehen werden. Sicher ist jedoch, dass bereits vor dem Erreichen des Hochpunkts die Nachfrage über ganz massive Preissteigerungen gedrosselt werden wird. Erfahrungen aus den Siebzigern zeigen, dass dies Rezessionen auslösen kann. Da die heutigen günstigen benzinbasierten Transportmöglichkeiten kaum ersetzbar sind, muss zudem mit einem beginnenden Prozess der De-Globalisierung gerechnet werden!


zu 3.)  Kann auf Basis der tatsächlichen Reserven die jährliche Ölförderung noch gesteigert werden?

Vor diesem Hintergrund ist eine Abschätzung des Peak-Oil-Zeitpunktes ganz entscheidend für die Entwicklung am Ölmarkt.

Der heutige Ölbedarf wird zu über drei Vierteln aus Ölfeldern gedeckt, die vor 1973 entdeckt wurden. Der weltweite Höhepunkt der Neuentdeckung von Ölfeldern war bereits 1965.

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Quelle: Exxon-Studie; www.peakoil.net


Es ist angesichts der bereits getätigten riesigen Investitionen in Explorations- und Fördertechnologie äußerst unwahrscheinlich, dass er jemals noch überschritten werden kann. Seit etwa 1980 wird mehr Öl verbraucht als neu entdeckt wird. Heute werden für jedes neu entdeckte Barrel Rohöl drei bis vier Barrel verbraucht.

Seit 1990 gab es außer in der Region um das Kaspische Meer (über 10% der Weltreserven werden dort vermutet) praktisch keine wirklich bedeutenden Ölfeldentdeckungen mehr. Für die Wertentwicklung von Ölförderfirmen ist die "reserve replacement ratio" (RRR) sehr entscheidend. Diese wichtige Substanzwertkennzahl gibt an, welcher Teil der Ölproduktion (=Förderung) eines Jahres im selben Jahr durch neue Funde oder Zukäufe "ersetzt" wird. Sinkt die RRR bei Einzelfirmen unter 100%, sind Analysten sofort beunruhigt, weil offensichtlich ein Substanzverlust eingetreten ist, der bei Fortsetzung mittelfristig zur Wertlosigkeit des Unternehmens führen würde.
Die RRR der Welt liegt wie oben beschrieben bei 1:4 bzw. 25%! Der Substanzverzehr ist schon heute offensichtlich.

Eine Steigerung der Ölförderung ist bei steigenden Preisen möglicherweise noch einige Jahre lang möglich; die RRR würde dadurch jedoch nur noch weiter sinken bzw. der Substanzverlust würde sich beschleunigen. Dies zeigt sich bereits heute bei vielen alten Ölfeldern: Kostenintensive Technologien zur Steigerung des Outputs bestehender Felder führen zwar einige Jahre zu erhöhter Förderung; nach dem dann zwangsläufig schneller erreichten Hochpunkt des einzelnen Feldes fällt jedoch danach die Förderung umso schneller ab. Bei den meisten Ölfeldern in der Nordsee ist z.B. der Peak-Oil-Punkt bereits erreicht; im Nordseegebiet insgesamt war dies 1998 nach nur gut 20 Jahren Förderung der Fall. Die folgende Grafik zeigt die erwartete Förderungsentwicklung des Gebiets. Großbritannien und Norwegen werden in etwa 10 Jahren das letzte Barrel Öl in der Nordsee fördern; bereits heute sinkt die Produktion dort jährlich um etwa 7% (!).

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Quelle: ASPO. Die Säulen stellen die jeweils neu entdeckten Ölquellen und die Linie die Produktion dar.


Für die USA ergibt sich ein noch dramatischeres Bild: Bereits 1970 war der Förderhöhepunkt erreicht. Bis heute ist die inländische US-Produktion trotz Förderung in Alaska und in der Tiefsee vom Peak bereits um 40% gefallen. Seit 1995 sind die USA Netto-Ölimporteur.

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Quelle: Cosa, www.markt-daten.de


Eine entsprechende Abschätzung der weltweiten Förderungsentwicklung muss zwar unter den o.g. Vorbehalten stehen; wir wollen eine verbreitete Grafik jedoch zeigen:

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Quelle: Oil Depletion Analysis Centre / www.markt-daten.de


Je nach Lesart ist ersichtlich, dass der weltweite Peak der Förderung sogenannten "konventionellen" Öls zwischen 2005 und 2010 mit dann etwa 28 Mrd. Barrel p.a. erreicht wird, wenn man auch die Ölsande, Ölschiefer und Schwerölvorkommen (in der Legende als "Heavy" bezeichnet) sowie die Tiefseeförderung ("Deepwater") mit einbezieht. Polarförderung und sogenannte Natural Gas Liquids (flüssiges Erdgas) sind statistisch sogenannte "unkonventionelle" Ölvorkommen und nur unter Schwierigkeiten bzw. sehr hohen Investitionen und Kosten zu fördern.

Weitere Erkenntnisse aus dieser Grafik:
  • Der Nahe Osten ist als einziges Gebiet noch einige Jahrzehnte in der Lage, den Ölausstoß zumindest auf dem heutigen Niveau zu halten…
  • … weitere signifikante Produktionssteigerungen sind jedoch selbst dort nicht mehr zu erwarten bzw. geologisch-technisch nicht mehr möglich.
  • Noch genauer gesagt, sind es innerhalb des Gebiets "Naher Osten" nur vier bis fünf Länder, die einen Großteil der Welt-Reserven besitzen und über 60% der OPEC-Förderung bestreiten: Saudi-Arabien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Kuwait. Man müsste in dieser Aufzählung als zweitgrößtes Reserveland noch den Irak nennen, der zwar derzeit kriegsbedingt nur sehr wenig zur Weltproduktion beiträgt - potenziell jedoch fast als einziges Land in der Lage wäre, einige Jahre lang die steigende Nachfrage durch noch dazu kostengünstige Mehrförderung zu decken.
  • Dies sind genau diejenigen Länder, die heute noch immer Förderkosten von zum Teil unter 5 Dollar / Barrel haben; Öl aus anderen Ländern ist nur zu wesentlich höheren Preisen zu haben. Nicht zufällig sind die Regierungen von vier der fünf Länder latent Umsturzgefährdet und vom militärischen und politischen Schutz der USA abhängig. Dass der Iran 1979 diesem "Schutz" entglitten ist, war aus US-Sicht ein historischer und durchaus dramatischer "Unfall".
  • Man beachte, dass Khomeini 1979 zwar die Ölwaffe gegen die israelische und amerikanische Politik eingesetzt hat, dass de facto dem Markt jedoch nur etwa 5% der Weltfördermenge entzogen wurden. Diese kleine Veränderung hat genügt, um bis 1980 den Ölpreis zu verdoppeln! Allerdings hatten die amerikanisch beeinflussten "swing producer" (Ausgleichlieferanten; v.a. Kuweit, Saudi Arabien, sowie Venezuela) damals noch genügend freie Förderkapazitäten, um die verringerte iranische Förderung ab 1980 zu ersetzen.
  • Unter "Other" sind in der Graphik vor allem die nicht-arabischen OPEC-Mitglieder Venezuela und Nigeria relevant.
  • Die einzigen Nicht-OPEC-Länder, die 2003 ihre Ölförderung noch einmal signifikant gesteigert haben, sind Russland, Kanada (teuere Ölsande), Mexiko und China. Bei den beiden letztgenannten ist jedoch recht sicher, dass damit nun der Peak erreicht ist.
  • Zugespitzt ausgedrückt werden in den kommenden Jahren nur Saudi-Arabien, der Irak, die VAE und Russland die konventionelle (=günstige) Ölförderung noch ein wenig steigern können.


  • Realistisches Fazit: Selbst im Falle hoher Explorationsinvestitionen der Ölindustrie und friedlich verlaufender Förderung im Nahen Osten inklusive Irak wird nach unserer Einschätzung die maximal erreichbare Ölförderung der Welt mit etwa 30-35 Mrd. Barrel p.a. (bzw. 82-95 Millionen Barrel pro Tag) bis spätestens 2010 erreicht! Dem steht bereits heute (2004) eine jährliche Nachfrage von etwa 30 Mrd. Barrel gegenüber!


    zu 4.)  Wie stellt sich die voraussichtliche Nachfragentwicklung in den kommenden Jahren dar?

    Aufgrund der einmaligen Eigenschaften von Rohöl gegenüber alternativen Energieformen hat sich die Nachfrage seit über 100 Jahren relativ stetig und von wenigen Rezessionsjahren abgesehen auf die genannten etwa 28-30 Mrd. Barrel p.a. unaufhaltsam erhöht. Heute wird Öl wie folgt verwendet:

  • Güter- und Personentransport: ca. 70%
  • Industriegüter: ca. 22% (Chemikalien, Plastik, Farben, Verpackungen (!), Folien, Plastiktüten, Kunstfasern, Körperpflegeprodukte, Kosmetika, Medikamente, Dünger und Pestizide (!), Straßenbaumaterialien)
  • Wohnen (Heizöl): ca. 6%
  • Verstromung ca. 2%


  • Diese Verwendung erklärt, warum die Ölnachfrage selbst nach Preisschocks wie in den Siebzigern oder seit 1999 nicht gefallen ist: Mobilität, Heizen, Strom und sehr viele ölbasierte Industrieprodukte sind aus dem heutigen Leben nicht wegzudenken. Die Nachfrage ist extrem preisunelastisch, weil Öl zentrale Grundbedürfnisse der (modernen) Welt befriedigt.

    Die "alten" Industrieländer mit relativ geringem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum (Westeuropa, Japan; nicht die USA) haben u.a. durch den allmählichen Einsatz anderer Energieformen/-träger (Kernenergie, Kohle, Wind, Wasser, Solar, Wasserstoff) sowie durch technische Fortschritte und effizientere Energieausnutzung seit einigen Jahren ihren absoluten Ölbedarf fast konstant gehalten.

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    Quelle: Oil Market Intelligence / Yardeni


    Ganz anders dagegen die Schwellenländer. Insbesondere China und Indien weisen riesige Wachstumsraten in ihrer Ölnachfrage auf. Da ein durchschnittlicher Chinese mit knapp 2 Barrel pro Kopf und Jahr im Vergleich zu einem Amerikaner heute statistisch lediglich 1/15 (!) an Öl verbraucht, ist das Nachholpotenzial auch angesichts der riesigen Bevölkerungszahl von 2 Milliarden (nur China und Indien) noch gewaltig! Zum Vergleich: Im Zuge der Industrialisierung Südkoreas zwischen 1965 und 1990 hat sich der Pro-Kopf-Ölkonsum von 1 Barrel auf 17 Barrel erhöht!

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    Quelle: Oil Market Intelligence / Yardeni


    Obwohl die Basis z.B. von China mit einer Nachfrage von 2004 etwa 6,3 Millionen Barrel pro Tag bzw. 2,3 Mrd. Barrel p.a. (knapp 8% der Weltnachfrage) noch relativ gering ist, wird China beim aktuellen Wachstum bereits 2015 zwischen 14 und 19 Mrd. Barrel verbrauchen und auch weitgehend importieren müssen! Die Weltölproduktion müsste somit alleine wegen China in nur 10 Jahren um über 50% (von knapp 30 auf dann 45 Mrd. Barrel) steigen. Indien und die anderen asiatischen Schwellenländer sind hier noch nicht berücksichtigt! Ganz grob abgeschätzt werden 2015 weltweit mit Sicherheit mehr als 50 Mrd. Barrel p.a. (bzw. 137 Millionen Barrel pro Tag) nachgefragt werden. Angesichts des oben beschriebenen Angebots-Peaks, das ebenfalls in diesem Zeitraum erreicht werden wird, ist dies u.E. völlig unmöglich! Die Weltnachfrage wird schon ab ca. 2008 auf dem heutigen Preisniveau nicht mehr zu decken sein.




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