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Die EZB-Räte wollen den Euro noch stärker als bisher inflationieren

16.07.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Die Einkommen- und Vermögensschere in der Gesellschaft läuft auseinander - und zwar nicht deshalb, weil die "Erfolgreichen" sich ihr Vermögen durch den "Dienst am Kunden" erworben hätten, sondern weil sie auf der Siegerseite der Inflationspolitik stehen, weil die Geldpolitik die Preise ihrer Vermögensgüter inflationiert. Es ist absehbar, dass der negative Realzins und die Güterpreisinflation das gesellschaftliche Miteinander der Menschen vergiftet. Neid und Missgunst greifen um sich. Die "Zukurzgekommenen" werden sich wehren, werden Politiker wählen, die vollmundig versprechen, gegen die Ungerechtigkeiten anzugehen - und zwar mit Steuern, Regulierungen, Ge- und Verboten.

Dass man das Übel bei der Wurzel packt - also die Inflationspolitik der Zentralbank beendet - ist dabei leider sehr unwahrscheinlich. Zum einen ist es für die breite Bevölkerung in der Regel nur schwer zu verstehen, dass das Phänomen im Zeitablauf steigender Güterpreise das direkte Ergebnis der Zentralbankpolitik ist. Man protestiert bei steigenden Mieten lautstark gegen die Vermieter, gegen die Wohnungseigentümer; und bei steigenden Energiepreisen werden zum Beispiel die Ölscheichs bezichtigt, die Preise übergebührlich anzuziehen. Alle möglichen Inflationstreiber werden angeklagt, nur die Zentralbank bleibt außen vor.

Zum anderen ist mittlerweile die Abkehr von der Inflationspolitik äußerst schwierig geworden. Die gesamte volkswirtschaftlichen Produktions- und Beschäftigungsstruktur steht und fällt nämlich mit der Fortführung des negativen Realzinses beziehungsweise der Beschleunigung der Güterpreisinflation. Vor die Wahl gestellt, die Preisinflation zu stoppen und eine Rezession-Depression größten Ausmaßes hinzunehmen, oder aber die Preisinflation fortzuführen beziehungsweise zu beschleunigen in der Hoffnung, die Konjunktur am Laufen halten zu können, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Regierende und Regierte für das Zweitere und gegen das Erstere entscheiden werden.

Friedrich August von Hayek (1899-1992) erklärte diese Neigung wie folgt:

“Die Art der Wirkung der Inflation erklärt, warum es so schwer ist, ihr zu widerstehen, wenn die Politik sich hauptsächlich mit besonderen Situationen und nicht mit allgemeinen Bedingungen, mit kurzfristigen und nicht mit langfristigen Problemen befaßt. Sie ist gewöhnlich sowohl für die Regierung als auch für die private Geschäftswelt der leichte Ausweg aus momentanen Schwierigkeiten - der Weg des geringsten Widerstandes und manchmal auch der einfachste Weg, der Wirtschaft über die Hindernisse hinwegzuhelfen, die ihr die Regierungspolitik in den Weg gelegt hat.

Sie ist das unausbleibliche Ergebnis einer Politik, die alle anderen Entscheidungen als Gegebenheiten ansieht, an die das Geldangebot so angepaßt werden muß, daß der durch anderen Maßnahmen angerichtete Schaden so wenig wie möglich bemerkt wird."
(1)


Was Inflation sein soll

Abb. 2 zeigt die Entwicklung der Euro-Kaufkraft seit Anfang 1999. Legt man die Konsumgüterpreise zugrunde, ist die Kaufkraft des Euro in dieser Zeit um etwa 31 Prozent gefallen. Damit ist sie weniger stark zurückgegangen, als es die EZB ursprünglich in Aussicht gestellt hat. Seit etwa 2014 lag der Anstieg der Konsumgüterpreise im Durchschnitt bei weniger als 2 Prozent pro Jahr.

Das erklärt, warum zwischen der tatsächlichen Euro-Kaufkraft und der geplanten eine "Lücke" von etwa 8 Prozent besteht. Schuldner, die seit 2014 mit einer Preisinflation von 2 Prozent pro Jahr gerechnet hatten, sahen ihre Pläne durchkreuzt: Ihre reale Schulden, ihr realer Schuldendienst, sind gestiegen, während Gläubiger sich über höher als ursprünglich erwartete Realzinsen freuen konnten.

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Quelle: Refinitiv; Graphik Degussa. *Geplant: 2 Prozent Anstieg pro Jahr des Konsumgüterpreisindexes; 1 dividiert durch Preisindex.


Das neue Inflationsziel der EZB bedeutet nun allerdings, dass eine Phase, in der eine "zu geringe" Preisinflation der Konsumgüter vorherrschte, von einer Phase gefolgt wird, in der die Preisinflation "zu hoch" ausfallen wird. Wie bereits gesagt, derzeit liegt die tatsächliche Euro-Kaufkraft um etwa 8 Prozent über der geplanten Euro-Kaufkraft. Der Grund: Die Preisinflation ist seit 2014 durchschnittlich unter der 2-Prozentmarke geblieben. Um folglich wieder auf dem geplanten Pfad der Euro-Entwertung zurückzukehren, müsste die EZB die Konsumgüterpreise eigentlich künftig um etwa 8 Prozent in die Höhe treiben.

Es ist zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht klar, ob die EZB-Räte tatsächlich vorhaben, die bereits aufgelaufene "Lücke" (wie in Abb. 2 zu erkennen) zu schließen, oder ob man die vergangene Abweichung auf sich beruhen lässt und sich darauf beschränkt, das neue Inflationsziel lediglich auf die zukünftige Entwicklung anzuwenden. Der EZB-Rat hat folglich einen ganz erheblichen Ermessensspielraum, wie er auf vergangene Abweichungen vom Inflationsziel reagiert. Für den Geldhalter bedeutet das verstärkte Unsicherheit und - wie einleitend angemerkt - die Gefahr, dass die Preisinflation höher als bisher ausfallen wird.


Was Inflation wirklich ist

Die EZB hält trotz ihres neuen Inflationsziels an einem "alten Inflationsverständnis" fest: Sie versteht Inflation als das Ansteigen der Konsumgüterpreise (künftig auch unter Einbeziehung von Mietzahlungen). Doch die Inflation der Konsumgüterpreise spiegelt bei weitem nicht das tatsächliche Ausmaß der Kaufkraftentwertung des Geldes wider. Das soll Abb. 3 illustrieren. Die Kaufkraft des Euro - bemessen anhand der Konsumgüterpreise - ist seit Anfang 1999 um 31 Prozent gefallen.


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