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"Das Inflationsproblem ist viel größer als die meisten glauben"

23.10.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Jörn Gleisner, Managing Director für Investor Communication der financial relations, sprach mit Dr. Thorsten Polleit (TP), Chefvolkswirt der Degussa. Das Gespräch wurde per E-mail am 18. Oktober 2021 geführt.


Jörn Gleisner: Viele Unternehmen klagen unter Material- und Lieferengpässen, die Produktion stockt und wird teurer. Vor allem steigen auch die Preise für Öl, Gas, Kohle, Nahrungsmittel rasant in die Höhe. Die Fragen sind jetzt: Ist sie gekommen, um zu bleiben, und wie schlimm wird sie?

Thorsten Polleit: Inflation ist keine Naturkatastrophe, sie ist menschengemacht. Genauer: Inflation ist ein monetäres Phänomen. Die Inflation - man sollte besser von "Güterpreisinflation" sprechen - ist die Folge einer übersteigerten Geldmengenausweitung: Die Güterpreisinflation ist so gesehen das Symptom, und seine Ursache ist die Geldmengeninflation. In den vergangenen 1 ½ Jahren haben die Zentralbanken für eine besonders exzessive Geldmengenflut gesorgt, und jetzt kommt die Rechnung in Form steigender Preisinflation ans Licht, die Kaufkraft des Geldes schwindet immer schneller.

Die Europäische Zentralbank hat die Geldmenge M3 seit Anfang 2020 um fast 16 Prozent ausgeweitet, um die Folgen des politisch diktierten Lockdowns zu bewältigen. Die US-Zentralbank hat die Geldmenge um 34 Prozent ausgeweitet. Und dieser "Geldmengenüberhang" schwillt weiter an, weil die Zentralbanken damit fortfahren, die Geldmengen mit hohen Raten auszuweiten. In den USA wächst die Geldmenge derzeit um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im Euroraum um knapp 8 Prozent. Ähnlich sieht es in vielen anderen Ländern aus. Der gewaltige Geldmengenüberhang übersetzt sich nun in steigenden Güterpreisen, steigende Konsumgüterpreise und steigende Preise von Aktien, Häusern, Grundstücken.


Jörn Gleisner: Die Auffassung, die Inflation sei immer und überall eine Folge der übermäßigen Geldmengenausweitung, ist aber doch nicht unangefochten. Es gibt auch andere Erklärungen, oder?

Thorsten Polleit: Richtig. Neben der monetären Erklärung der Preisinflation gibt es auch eine "Kosten-Schub-Erklärung". Ihr zufolge steigen die Güterpreise, wenn die Unternehmen erhöhte Produktionskosten auf die Absatzpreise weiterwälzen. Und es gibt auch eine "Nachfragesog-Erklärung" der Inflation: Übersteigt die Nachfrage das Angebot, ziehen die Güterpreise an. Diese beiden nichtmonetären Inflationserklärungen stehen jedoch der Auffassung, Preisinflation sei letztlich ein monetäres Phänomen, nicht unvereinbar gegenüber.

Zwar ist eine anhaltende Güterpreisinflation ohne Geldmengeninflation, die sie begleitet, nur schwerlich denkbar. Allerdings können Kostendruck und Nachfrageüberhang in den Gütermärkten sehr wohl eine Güterpreisinflation auslösen, wenn die Zentralbank das Geldangebot übermäßig ausweitet beziehungsweise ausgeweitet hat. Genau das ist aktuell der Fall. Die Knappheit, die aus der Beschädigung der internationalen Lieferketten erwächst, ist der Nährboden, auf dem sich der Geldmengenüberhang in steigender Güterpreisinflation entlädt.


Jörn Gleisner: 2020 war in der Tat außergewöhnlich, und 2021 markiert eine wirtschaftliche Erholung. Für die andauernde Materialverknappung und die vorherrschenden Produktionsengpässe, die nun für Preisinflation sorgen, können die Zentralbanken doch nichts …

Thorsten Polleit: Es ist ein bekanntes Spiel: Die Zentralbankräte, Regierende und die ihnen zugeneigten Hauptstrom-Ökonomen wollen davon ablenken, dass die Geldpolitik als Verursacher der Preisinflation dasteht. Sie suchen daher nach Sündenböcken, zeigen mit dem Finger auf andere und sagen zum Beispiel "Der steigende Ölpreis ist der Grund für steigende Preisinflation" oder "Maßlose Gewerkschaften treiben mit hohen Lohnforderungen die Preisinflation in die Höhe" oder jüngst "Das Coronavirus ist schuld an der zunehmenden Preisinflation".

Die Öffentlichkeit soll darüber getäuscht werden, dass es die Zentralbanken sind, die mit ihrer Geldmengenflut für steigende Güterpreise sorgen. Vor allem will man auch verhindern, dass die Arbeitnehmer aufwachen und höhere Löhne fordern. Denn das würde den Aufwärtsdruck auf die Güterpreise weiter erhöhen, eine Lohn-Preis-Spirale würde in Gang kommen. Deshalb betonen Zentralbanken und Hauptstrom-Ökonomen, dass die Preisinflation nur vorübergehend sei.


Jörn Gleisner: Da fragt man sich natürlich, warum es die Zentralbanken denn so weit haben kommen lassen, und warum sie nicht längst schon ihren Kurs geändert haben und gegensteuern?

Thorsten Polleit: Aus meiner Sicht sind es drei Gründe. Erstens: Nach Jahrzehnten relativ niedriger Konsumgüterinflation wissen viele Menschen nicht mehr, wie schädlich Inflation für die Volkswirtschaften ist. Das Problem: Inflation wird unterschätzt. Die Zentralbanken sind fahrlässig bei der Geldmengenvermehrung und die breite Bevölkerung unachtsam gegenüber der Geldpolitik geworden. Zweitens: In der Ausgabe von immer mehr Geld zu extrem niedrigen Zinsen wird die Politik des kleinsten Übels erblickt; und zwar nicht nur von Regierenden, sondern auch von vielen Regierten.

Nach dem Motto: Lieber die Geldmenge erhöhen als Rezession und Arbeitslosigkeit erleiden. Die Folgen, die das hat - vor allem die Geldentwertung -, werden kleingeredet. Anfänglich zumindest. Man hofft, dass die Preisinflation nur vorübergehend ist. Und drittens: Das weltweite Fiat-Geldsystem lässt sich vermutlich nur noch vor dem Zusammenbruch bewahren, indem zu Null- und Negativzinsen die Geldmengen immer weiter ausgeweitet werden.


Jörn Gleisner: Das klingt in der Tat wenig erfreulich. Vor allem der dritte Grund, den Sie nennen, erscheint mir alles andere als ermunternd zu sein. Vielleicht können Sie das Problem des ungedeckten Papiergeldsystems etwas näher erläutern?

Thorsten Polleit: Ob US-Dollar, Euro, japanischer Yen, chinesischer Renminbi oder Schweizer Franken, sie sind alle Fiat-Geld. Produziert werden sie von staatlichen Zentralbanken, die, in enger Kooperation mit eigens dazu staatlich lizensierten Geschäftsbanken, die Geldmenge per Kredit ausweiten. Es handelt sich sprichwörtlich um Geldschaffen "aus dem Nichts". Das ist beileibe kein Kavaliersdelikt. Das Fiat-Geld leidet unter einer Reihe von ökonomischen und ethischen Defekten. Es ist inflationär, verliert also seine Kaufkraft im Zeitablauf. Es ist sozial ungerecht, sorgt für eine nicht marktkonforme Umverteilung von Einkommen und Vermögen.

Es verursacht Finanz- und Wirtschaftskrisen, lässt den Staat immer größer und mächtiger werden, und es führt die Volkswirtschaften in die Überschuldung. Das International Institute of Finance (IIF) schätzt, dass die globalen Schulden im zweiten Quartal 2021 auf 296 Billionen US-Dollar gestiegen sind. Das entsprach einer Verschuldung von 353 Prozent des Welt-Bruttoinlandsproduktes. Und um das zu verhindern, dass diese Schuldenpyramide zusammenstürzt, drücken die Zentralbanken die Zinsen künstlich herunter, versprechen hinter vorgehaltener Hand den Finanzmarktinvestoren die Finanzmärkte und Konjunkturen zu stützen, und weiten die Geldmengen rasant aus.



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