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Es ist wie in Harry Potter: Die Wirkungen des Euro, die niemand auszusprechen wagt …

03.12.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Wenn die Zentralbank stützen muss

Bevor an die Beantwortung der Frage herangegangen wird, sollen noch drei Phasen kurz hervorgehoben werden, die sich in Abb. 2 erkennen lassen, und die eine wichtige Entwicklungstendenz verdeutlichen.

• Phase 1: Von 1999 bis Herbst 2008 - dem Anfang der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise - war es vor allem der Euro-Geschäftsbankensektor, dessen Bilanzsumme durch Kredit- und Geldmengenschaffung kräftig wuchs, während die Zunahme der EZB-Bilanz noch relativ gemäßigt verlief.

• Phase 2: Ab Herbst 2008 flachte der Zuwachs der Geschäftsbankbilanzen ab. Im Gegenzug begann die EZB, ihre Bilanzsumme merklich auszuweiten, indem sie strauchelnden Euro-Geschäftsbanken Notfallkredite gewährte. Ab 2010 entwickelte sich aus der Bankenkrise eine Euro-Staatsschuldenkrise. Die EZB kaufte daraufhin Staatsanleihen, und das ließ ihre Bilanz noch weiter anschwellen.

• Phase 3: Ab Sommer 2014 begann die EZB, verstärkt Kredite an Banken zu vergeben (es handelt sich um sogenannte "LTROs"). Zudem weitete sie ihre Staatsanleihekäufe im Zuge mehrerer Ankaufprogramme aus. Gegen Ende 2018 stiegen auch die Bilanzen der Euro-Geschäftsbanken wieder an, weil ihr Kreditgeschäft sich belebte, insbesondere aber weil die EZB neues Zentralbankgeld in den Geschäftsbankensektor pumpte.

Eines ist in Abb. 2 b besonders gut zu erkennen: Seit dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 bis etwa zum Sommer 2018 stagnierte beziehungsweise schrumpfte die Bilanzsumme der Euro-Geschäftsbanken (durch Abbau von Bilanzpositionen). Allerdings hat die Ausweitung der EZB-Bilanzsumme den "Schrumpfungseffekt" mehr als wettgemacht: Die EZB im Verbund mit den nationalen Euro-Zentralbanken sorgte für eine Ausweitung des Kreditangebots, vor allem durch Käufe von Staatsanleihen. Insgesamt ist dadurch die Bilanzsumme des gesamten Euro-Bankenapparates merklich angestiegen. Warum ist das geschehen?

Nun, seit der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise funktioniert offensichtlich das Teilreservesystem nicht mehr ohne die aktive und fortgesetzte Unterstützung der EZB. Teilreserve heißt: Die Euro-Geschäftsbanken halten nur einen sehr geringen Betrag an Zentralbankgeld in der Kasse im Verhältnis zu ihren jederzeit fälligen Kundenverbindlichkeiten. Um die "Verunsicherung" der Finanzmarktakteure über mögliche Zahlungsausfälle bei Geschäftsbanken schon im Keim zu ersticken, hat die EZB eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Zum einen gewährt sie den Euro-Banken Direktkredite zu Konditionen, die die Banken im Kapitalmarkt nicht erzielen könnten.

Zum anderen hat die EZB den Finanzmarktakteuren quasi das Versprechen gegeben, dass sie "im Notfall" strauchelnden Banken und Staaten zur Seite springen und sie mit neuen Krediten und neuem Geld über Wasser halten wird. Kurzum: Mehr denn je ist die Funktionsweise des ungedeckten Euro-Geldsystems, das mit einer Teilreserve operiert, auf die Unterstützung durch die Zentralbank angewiesen. Die EZB hat damit de facto ein Sicherheitsnetz unter die Euro-Geschäftsbanken gespannt, dem die Finanzmarktakteure vertrauen; ansonsten wären die Euro-Finanzmärkte nicht derart beruhigt und ruhig gestellt, wie sie es derzeit sind.


Wenn die Banken zu groß geworden sind

Der überdimensionierte Euro-Bankenapparat, der zudem auch noch immer weiter anschwillt, lässt sich nicht so ohne weiteres "zurückbauen". Der Grund dafür ist in der Struktur des ungedeckten Geldsystems zu finden. Die Kreditvergabe der Banken führt hier bekanntlich zu einer Ausweitung der Geldmenge, schlägt sich in einem Anwachsen der Bilanzaktiva und -passiva der Banken nieder.

Und steigt die Geldmenge, steigen auch die Güterpreise (beziehungsweise sie fallen höher aus im Vergleich zu einer Situation, in der die Geldmenge nicht erhöht worden wäre). Werden hingegen Bankkredite zurückgezahlt, schrumpfen die Bankbilanzen: Auf der Aktivseite verringern sich die Kreditforderungen, auf der Passivseite nehmen die Giroguthaben ab. Eine Verringerung der Geldmenge würde tendenziell zu einem Abwärtsdruck auf die Güterpreise führen.

Was aber passiert, wenn es plötzlich zu einem Rückgang der Güterpreise auf breiter Front käme? In einem ungedeckten Geldsystem, in dem bisher die Kredit- und Geldmengen stark ausgeweitet wurden, wäre das durchaus problematisch: Aus Güterpreisinflation würde Güterpreisdeflation. Ein Absinken der Güterpreise würde die Gewinne der Unternehmen reduzieren und es ihnen erschweren, ihren Schuldendienst zu leisten.

Sinkende Löhne würden Immobilienbesitzer, die mit Krediten finanziert haben, unter Druck setzen. Banken würden notleidende Kredite und Kreditausfälle verbuchen, die sie vorsichtig(er) bei der Neukreditvergabe werden lassen. Und versiegt der Zufluss von neuen Bankkrediten und neuem Geld, ist die "große Krise" da: Viele große Schuldner - allen voran Staaten und Banken - müssten die Hand heben, Bankrott anmelden.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Volkswirtschaften einem solchen Szenario zu entkommen suchen, mit allen Mitteln, und so lange es eben geht. Das jedoch erfordert, dass der Kredit- und Geldmengenzufluss in Gang bleibt, nicht ins Stocken gerät, dass keinesfalls die Kredit- und Geldmengen abnehmen.


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