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Über das Bestreben, Bargeld abzuschaffen und digitales Zentralbankgeld einzuführen

13.08.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Der zweite Weg: Die Zentralbank gibt zusätzliches digitales Zentralbankgeld aus. Beispielsweise verschuldet sich der Staat bei der Zentralbank und erhält digitales Zentralbankgeld, das er dann auf die Konten beziehungsweise in die Wallets der Geldverwender überweist.

Digitales Zentralbankgeld erleichtert den Notenbanken die Ausgabe von "Helikoptergeld". Helikoptergeld steht für die Idee, dass die Zentralbank die Geldmenge in der Volkswirtschaft direkt ausweitet - sprichwörtlich durch den Abwurf von Banknoten aus Hubschraubern.

Nehmen wir an, die Menschen halten Konten bei der Zentralbank. Die Zentralbank kann dann quasi per Knopfdruck, nach dem Helikopterprinzip, die Konten mit digitalem Zentralbankgeld befüllen. Auf diese Weise lassen sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Gesellschaft geradezu auf den Kopf stellen.

Warum? Nun, die Ausgabe von digitalem Zentralbank-"Helikoptergeld" erfordert die Entscheidung, wer wann wieviel neues Geld auf sein Konto überwiesen bekommt. Im heute vorherrschenden Geldsystem gibt es (immer noch) einen Bezug zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers und Geldmengenausweitung: Nur wer ein rentables Investitionsobjekt hat, oder wer Vermögen hat, bekommt Kredit und damit neues Geld. Ein solcher Bezug wird bei der Ausgabe von digitalem Zentralbank-"Helikoptergeld" aufgehoben. Vielmehr sind es hier (rein) politische, willkürlich bestimmte Kriterien, die die Zuteilung der neu erschaffenen Geldmenge leiten.

Beispiel: Die Zentralbank sieht die Notwendigkeit, die Geldmenge um, sagen wir, 10 Prozent auszuweiten. Soll jeder Kontoinhaber 10 Prozent mehr Geld erhalten? Oder sollen die Einkommensschwachen mehr als 10 Prozent bekommen und entsprechend weniger diejenigen mit höherem Einkommen? Oder soll es vielleicht pro Kopf den gleichen absoluten Geldbetrag geben?

Man steht hier vor dem zentralen Problem des Sozialismus: Wer bekommt was wann und wieviel? Man kann sich das politische Gerangel vorstellen, das entsteht, wenn digitales Zentralbankgeld nach der Helikopter-Methode ausgegeben wird. Doch jede Regel ist hier willkürlich, einen "neutralen Verteilungsschlüssel" gibt es nicht.

Mit der Ausgabe von Helikoptergeld begibt sich die Volkswirtschaft in den monetären Zuteilungsstaat, der die Einkommens- und Vermögensverteilung maßgeblich (mit-)bestimmt. Das ist anfänglich so etwas wie ein Semi-Sozialismus, aber die Volkswirtschaft wird unter diesen Bedingungen unaufhaltsam nach und nach in ein voll-sozialistisches System verwandelt.

Vielleicht sagen sie: "Na, soweit wird es wohl nicht kommen". Und selbst wenn sie damit Recht haben, bleibt in jedem Fall jedoch zu befürchten, dass der direkte Zugriff der Zentralbank auf die Geldmenge, den das digitale Zentralbankgeld eröffnet, die Fehler- und Missbrauchsmöglichkeiten der Geldpolitik gewaltig erhöht.

Beispielsweise könnten die Zentralbankräte in Krisenzeiten kopflos überreagieren und die digitale Zentralbankgeldmenge in kürzester Zeit gewaltig ausdehnen und damit ein großes Inflationsproblem erzeugen. Oder: Der Zentralbankrat nutzt den direkten Zugang zu den Konten der Bürger und Firmen und weitet die Geldmenge stark aus, um ganz gezielt eine Inflationspolitik in Gang zu setzen, die die Staatsschulden entwerten soll.

Ich persönlich sehe keine Möglichkeit, wirksame institutionelle Barrieren gegen derartig gesteigerte Fehler- und Missbrauchsmöglichkeiten zu errichten, die mit dem digitalen Zentralbankgeld geschaffen werden.


VI.

Führt man sich vor Augen, wie das weltweit vorzufindende Fiat-Geldsystem funktioniert, wird deutlich, dass die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld weitere, sehr weitreichende Folgen haben wird.

Das heutige Fiat-Geldsystem ist ein einstufiges Misch-Fiatgeldsystem. Die staatliche Zentralbank hat das Monopol für das Zentralbankgeld: Nur sie kann es (in Form von Banknoten und Zentralbankgeldguthaben) produzieren. Eine Zentralbank kann folglich nicht zahlungsunfähig werden: Sie kann das Geld, mit dem sie ihre Rechnungen (Zahlungen für Löhne, Pensionen, Immobilienerwerb, Mieten etc.) bezahlt, jederzeit selbst erzeugen.

Verfügen die Geschäftsbanken über Zentralbankgeld (sie brauchen es, um Zahlungen im Interbankenmarkt abzuwickeln und Mindestreserve-Vorschriften zu erfüllen), können sie (weil sie staatlich dazu lizensiert sind) per Kreditvergabe ihr eigenes Geld, das Geschäftsbankengeld, erzeugen.

Das einstufige Misch-Fiatgeldsystem ist störanfällig. Hat beispielsweise eine Geschäftsbank nicht genügend Zentralbankgeld (und das ist in einem Teilreservesystem die Norm), kann sie zahlungsunfähig werden, wenn die Kunden ihre Giroguthaben an eine andere Bank überweisen oder wenn sie ihre Guthaben in Bargeld ausgezahlt haben wollen. Die Bankkunden sind also einem Zahlungsausfallrisiko ausgesetzt.

Mit digitalem Zentralbankgeld ändert sich das. Niemand muss dann mehr befürchten, dass sein Geschäftsbankguthaben verloren gehen könnte: Wenn Banken wanken, dann kann man sein Guthaben per Mausklick in digitales Zentralbankgeld umbuchen.

Zwar können Bankkunden sich schon heute ihre Guthaben in Bargeld auszahlen lassen, wenn sie einer Geschäftsbank nicht mehr trauen. Doch das ist beschwerlich und mit Kosten verbunden (man denke an den Besuch der Bankfiliale, Wartezeiten, Aufwand für Transport, Lagerung und Versicherung größerer Bargeldbeträge). Die "Fluchtmöglichkeit" in digitales Zentralbankgeld ist für die Bankkunden recht einfach - und das Bargeld bekommt Konkurrenz, wird auch als Vorsichtskassenmedium weniger attraktiv.

Digitales Zentralbankgeld konkurriert auch deswegen mit Bargeld, weil es ebenso ausfallsicher ist wie Münzen und Banknoten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es bei nichtsahnenden Bürgern und Firmen breite Akzeptanz findet und das Bargeld verdrängt - im Zahlungsverkehr ebenso wie bei der Haltung von Vorsichtskasse.

Um es an dieser Stelle noch einmal zu wiederholen: Wird das Bargeld verdrängt, aus dem Verkehr gezogen, ist das Geld der Menschen in den Bankbilanzen gefangen und der finanziellen Repression durch Negativzinsen schutzlos ausgeliefert.

Der Einzelne kann sich zwar von seiner Sichteinlage trennen, indem er beispielsweise damit Aktien kauft. Dann aber hat jemand anderes das Sichtguthaben, und dieser wird durch den Negativzins enteignet.


VII.

Weil digitales Zentralbankgeld ausfallsicher ist und Zahlungen via Smartphone oder PC bequem sind, kann die Zentralbank den Geschäftsbanken Marktanteile im Einlagen- und Zahlungsverkehr abnehmen.

Auch im Kreditgeschäft könnte sie den Geschäftsbanken Konkurrenz machen, indem sie Konsumenten und Unternehmen Darlehen (Überziehungskredite) in digitalem Zentralbankgeld anbietet. Das macht digitales Zentralbankgeld für die Bankkunden natürlich attraktiv. Die Zentralbank zieht immer mehr Zahlungs- und Kredittransaktionen an sich, und das Geschäftsmodell der privaten Banken erodiert.


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