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Finanzmärkte nervös - Japan und Bulgarien scheren aus - BDA mit 6-Punkte Plan - EZB

31.08.2022  |  Folker Hellmeyer
Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1.0026 (05:39 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Stunden bei 0,9983 im europäischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 138,56. In der Folge notiert EUR-JPY bei 138,92. EUR-CHF oszilliert bei 0,9758.

Die Finanzmärkte bleiben angespannt und nervös. Das ist verständlich hinsichtlich der ausgeprägten Risiken in der Geopolitik. Die Lage in der Ukraine und um Taiwan herum ist weiter von Eskalation geprägt.

Es wird noch verständlicher unter Berücksichtigung der selbst verschuldeten Konjunkturrisiken (seitens Europas Sanktionen als Reflex ohne vorheriger Risikobewertung, nicht seitens der USA!), die durch die zu erwartende Zinspolitik westlicher Zentralbanken unter Kostengesichtspunkten (Zins) noch einmal verstärkt werden. Die gesellschaftspolitischen Risiken, die sich abzeichnen, sind meines Erachtens noch nicht diskontiert.

Nachdem seit Anfang des Jahrtausends Zentralbanken unter der Führung der US-Notenbank (gestartet unter dem "Magier" Alan Greenspan, "Meister" der neuen Paradigmen, die es nie gab!) der Wirtschaft, aber vor allen Dingen den Aktienmärkten durch historisch einmalige Interventionen Subventionen, die zunächst als "Greenspan-Put" tituliert wurden, zukommen ließ, sind Realwirtschaft und Finanzmärkte nun mit einer Kehrtwende konfrontiert.

Der gut 20-jährige Ausflug in die Sphäre kreativer Zentralbankpolitik scheint zumindest in Teilen ein Ende zu finden. Ultimativ sagt das übrigens aus, dass der wertkonservative Ansatz der Bundesbank nie seinen Glanz verloren hat. Die Kräfte des US-Zeitgeists, der wegen des US-Führungsanspruchs der westlichen Welt vorgegeben wurde, haben diesem Ansatz lediglich keine Chance gegeben.

Werte sind unverrückbar, der Zeitgeist definiert sich immer auch durch Charaktermerkmale des Opportunismus (Stichwort "heiße Naht") und Opportunismus ist ultimativ grundsätzlich ein teures "Vergnügen".

Der Stabilisierungsversuch der Aktienmärkte verlor nach fulminanten Start seine Dynamik. Steht heute ein neuer Versuch an? Die Kapitalmärkte konsolidierten die jüngsten Renditegewinne. Die Bundesanleihe rentiert heute früh bei 1,50%, die US-Staatsanleihe bringt es auf 3,11%. Der USD neigte zu marginaler Schwäche gegenüber dem Euro. Gold und Silber verloren an Boden. Gleiches gilt für den Ölpreis, nur in markanter Form.


Bulgarien und Japan scheren bei Sanktionen aus

Die geschäftsführende Regierung Bulgariens bemüht sich um Gaslieferungen von Gazprom, nachdem die Vorgängerregierung den bis Ende 2022 laufenden Vertrag durch Ablehnung von Rubelzahlungen zum Erliegen brachte.

Japans größter Gasversorger Tokyo Gas Co. Limted unterzeichnete langfristige LNG-Verträge (Sakhalin-2) mit Russland (zuvor schon Jera mit langfristigen LNG-Verträgen).

Kommentar: Die Phalanx der Sanktionswilligen bröckelt. Es war nie eine globale Phalanx, da sich außerhalb des Westens kaum ein Land zu dieser sich selbst gefährdenden Politik an der Seite der USA verpflichten lassen wollte. Nun bröckelt also auch die westliche Phalanx erkennbar. Das erstaunt nicht. Zu Anfang der Sanktionspolitik habe ich öffentlich immer wieder betont, dass Russland in der globalen Versorgung nicht zu ersetzen ist.

Die Sanktionspolitik in der Form, wie sie durchgeführt wurde, stellte und stellt weiterhin eine Ignoranz gegenüber der "normativen Kraft des Faktischen" dar. Diese Ignoranz, die nahezu ideologische Charaktermerkmale aufweist (Ideologie muss nicht nur "rot" oder "braun" sein), ist die Grundlage für den Preis, den europäische Unternehmen und Bürger zu zahlen haben. Bulgarien und Japan scheinen sich Realitäten stellen zu wollen. Sie scheinen zu erkennen, dass sie ein Mandat für und nicht gegen ihre Unternehmen und Bürger haben.



BDA mit 6-Punkte Plan

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) fordert in einem 6-Punkte-Plan einen Pakt für deutsche Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Plan umfasst unter anderem folgende Punkte:
  • Es müsse zu einer Rückgabe der Inflationsgewinne des Staates an Bürger und Unternehmen kommen.
  • Die Energiemärkte bräuchten ein neues Marktdesign nicht erst im nächsten Jahr.
  • Der BDA forderte einen Stopp aller zusätzlichen Belastungen und Bürokratisierung für Unternehmen.
  • Der BDA ruft auf, der kalten Progression, die aktuell durch Inflation brachial zuschlägt, markant entgegen zu wirken.

Kommentar: Ich stelle mich voll und ganz hinter den Forderungskatalog des BDA. Die Inflationsgewinne des Staates sind massiv (auch Entwertung der gesamten Staatschuld). Die Inflation führt zu einem Verarmungsprozess. Habeck & Co. sind brachiale Nutznießer der kalten Progression, die gleichzeitig unter Kaufkraftgesichtspunkten Verarmung der Gesellschaft bedingt. Wir reden hier faktisch von einer "Übergewinnsteuer" des Staates.

Die Asymmetrie mit der Habeck & Co. lustvoll Übergewinnsteuern von Unternehmen zu Gunsten des Staates erörtern, lässt jede staatliche Selbstreflexion vermissen. Es ist übrigens grotesk, gut geführte Unternehmen, die fraglos von Umlagen profitieren, als Trittbrettfahrer zu verunglimpfen. Der Staat gibt Regeln vor. Wenn diese Regeln nicht durchdacht sind, liegt der Fehler wo? Bei den Unternehmen oder den Regelsetzern? Auf welchem intellektuellen Niveau sind wir gelandet?



EZB: Die "Falken" schlagen mit Flügeln

Der niederländischen Notenbankchefs Knot will zur Bekämpfung der Inflation die Zinsen über das Niveau hinaus anheben, bei dem die Konjunktur weder angeschoben noch gebremst wird. Knot neigt einer Erhöhung des Leitzinses um 0,75% am 8. September zu.

Kommentar: Die Zahl der "Falken" nimmt zu, sie schlagen mit den Flügeln. 0,75% sind als nächster Zinsschritt realistisch.


Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden:

China: NBS (staatlich) Einkaufsmanagerindices per August
  • NBS Verarbeitendes Gewerbe: 49,4 nach 49,0 Punkten
  • NBS Dienstleistungssektor: 52,6 nach zuvor 53,8 Punkten
  • NBS Composite Index: 51,7 nach zuvor 52,5 Punkten

Eurozone: Economic Sentiment schwächer als erwartet

Der Economic Sentiment Index sank per Berichtsmonat August von zuvor 98,9 (revidiert von 99,0) auf 97,6 Punkte (Prognose 98,0) und markierte den tiefsten Indexwert seit Februar 2021.

Deutschland: Die Verbraucherpreise legten laut vorläufigen Berechnungen per August im Monatsvergleich um 0,3% (Prognose 0,3%, Vormonat 0,9%) zu. Im Jahresvergleich ergab sich eine Zunahme um 7,9% (Prognose 7,8%, Vormonat 7,5%).

Italien: Der Absatz der Industrie sank per Juni im Monatsvergleich um 0,2% nach zuvor +1,2% (revidiert von 1,4%). Im Jahresvergleich ergab sich ein Plus in Höhe von 18,0% nach zuvor 23,6%.

Spanien: Die Verbraucherpreise legten per August laut Erstschätzung im Monatsvergleich um 0,1% (Prognose 0,3%, Vormonat -0,6%) zu. Im Jahresvergleich stellte sich ein Anstieg um 10,3% (Prognose 10,3%) nach zuvor 10,7% ein.


Schweiz: Frühindikator bricht weg

Der KOF Frühindikator sank per Berichtsmonat August von zuvor 90,1 auf 86,5 Zähler (Prognose 89,0) und markierte den tiefsten Stand seit Juli 2020.


Ungarn: Zentralbank erhöht Leitzins auf 11,75%

Die Zentralbank erhöhte den Leitzins von zuvor 10,75% auf 11,75% (Prognose 11,75%).


USA: Daten des Conference Board wenig nachvollziehbar

Der Index des Verbrauchervertrauens nach Lesart des Conference Board schoss per August von zuvor 95,3 auf 103, 2 (Prognose 97,7) in die Höhe. Diese Datenreihe ist für hohe Volatilität bekannt. Dieser Anstieg wirft vor dem Hintergrund verfügbarer Daten Qualitätsfragen auf. Der Case/Shiller Hauspreisindex im 20 Städtevergleich lieferte per Juni einen Anstieg im Monatsvergleich um 0,4% (Prognose 1,0%, Vormonat 1,2%). Im Jahresvergleich kam es zu einer Zunahme um 18,6% (Prognose 19,5%) nach zuvor 20,5%.


Japan: Daten sind bekömmlich

Die Einzelhandelsumsätze legten per Juli im Jahresvergleich um 2,4% nach zuvor 1,5% zu. Die Industrieproduktion sank per Juli im Jahresvergleich um 1,0% nach zuvor -2,8%. Der Index des Verbrauchervertrauens stieg per August von 30,2 auf 32,5 Zähler.

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den USD gegenüber dem EUR favorisiert. EinÜberschreiten des Widerstandsniveaus bei 1.0300 - 1.0330 neutralisiert den positiven Bias des USD.

Viel Erfolg!


© Folker Hellmeyer
Chefvolkswirt der Netfonds Gruppe



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