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Die vielen Gefahren des Stockholm-Syndroms in der Politik

24.09.2022  |  Claudio Grass
Es waren turbulente Monate in der Politik Großbritanniens. Nach einer unruhigen Amtszeit, welche von Skandalen, parteiinternen Reibereien und vielen öffentlichen Blamagen geprägt war, verließ Boris Johnson die Bühne und hinterließ seiner Nachfolgerin ein großes Durcheinander, das es aufzuräumen gilt. Eine Wirtschaft in Trümmern, Inflation auf Rekordniveau und eine Energiekrise, wie sie diese Generation noch nicht erlebt hat.

Es erscheint wie ein Wunder, dass überhaupt jemand gefunden wurde, der bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, diese besondere Titanic wieder in Sicherheit zu bringen, nachdem sie den Eisberg ganz offensichtlich bereits gerammt hat. Oder zumindest würde das jeder vernünftige Mensch denken, jeder von uns, der nicht von dem Narzissmus befallen ist, der nötig ist, um überhaupt eine politische Laufbahn anzustreben. Wie sich herausstellte, gab es mehr als genug Kandidaten, die zur Auswahl standen, was zu einem erbitterten Wettstreit um die Führungsrolle führte, der zuweilen so charakterlos war, dass er an US-Wahlkämpfe erinnerte.

Während dieser Schlammschlacht, über die ausführlich berichtet wurde, wurden absurde Versprechungen gemacht, Angriffe gestartet und jede Menge unverhohlener Schwindel betrieben. Unkritisch wie immer konzentrierten sich die Medien auf die oberflächlichsten und aufsehenerregendsten Teile aller Debatten und Wahlkampfmanifeste, wobei sie sich hauptsächlich damit beschäftigten, wer was über wen gesagt hat und wer besser darin war, jemanden zu beleidigen.

Kein einziger "Journalist" nahm sich die Zeit, offen zu fragen, wie genau die Inflation durch noch mehr Helikoptergeld oder ein Entgegenkommen gegenüber der Gewerkschaften und das Unterschreiben weiterer Mindestlohnerhöhungen bekämpft werden soll.

Wie dem auch sei, nachdem alles gesagt und getan war und Liz Truss als Siegerin hervorging, blieb der Fokus immer noch auf dem Oberflächlichen. Die globalen Mainstream-Medien stürzten sich auf jeden Tweet und jedes Instagram-Foto von Liz Truss, als wäre sie die Gewinnerin der neuesten Reality-Show und nicht die neue Premierministerin einer der fortschrittlichsten und einflussreichsten Nationen der Welt.

"Experten" wurden einberufen, um die unbedeutendsten Details des Profils der neuen Regierungschefin zu sezieren und zu analysieren, wobei das Wesentliche ihrer Politik oder ihre bisherige Laufbahn weitgehend ignoriert wurden. Und der parteifanatische Teil der Öffentlichkeit, so klein er auch sein mag, frohlockte und nutzte die Tatsache, dass sie eine Frau ist, als weiteren Beweis dafür, dass die konservative Partei aufgeklärter und moralischer ist als alle anderen der Nation - schließlich hat sie nicht eine, nicht zwei, sondern drei weibliche Premiers hervorgebracht.

Und dann, gerade als wir dachten, die ganze Aufregung würde sich legen und der Zirkus sei endlich vorbei, geschah das Undenkbare. Die Queen starb. "Undenkbar" und "erschütternd" - das waren zumindest die Worte, die immer wieder verwendet wurden, nachdem der Buckingham-Palast das Ableben der 96-jährigen Monarchin offiziell bekannt gegeben hatte. Es ist zwar schwer zu verstehen, was an dieser Entwicklung so unfassbar war, aber der Tod ist immer tragisch und Menschen trauern auf ihre eigene Weise. Natürlich könnte man sagen, dass eine der würdevollsten Arten, dies zu tun, die private ist.

Nachdem der erste "Schock" überwunden war, trat die ganze Tragweite der Pläne zutage, die zur Unterstützung der Nation bei ihrer Trauer aufgestellt worden waren. Für die "letzte Reise" der Queen von Schottland nach London wurde eine unglaublich detaillierte, langwierige und unermesslich kostspielige Prozedur in Gang gesetzt, während viele Geschäfte geschlossen blieben und Tausende in der Hauptstadt zur Beerdigung erwartet wurden.

Was die Ergriffenheit der Bürger angeht, die wir bereits in den jüngsten Berichterstattungen gesehen haben, so könnte man sie, wenn man sie ohne Ton sehen würde, durchaus mit den Bildern nach einer Naturkatastrophe verwechseln, die Hunderte von Menschenleben gekostet hat.

Diese Ausführungen sind nicht als Kritik an der britischen Königin selbst zu verstehen, auch wenn über das Für und Wider ihrer Regentschaft oder der Monarchie an sich endlos debattiert werden könnte. Ebenso wenig sollte der Leser diesen Kommentar als einen Mangel an Empathie für ihren Tod verstehen. Jedes Leben ist kostbar, und wir alle sollten Mitgefühl mit jedem haben, der einen geliebten Menschen verloren hat. Worüber wir hier jedoch sprechen, ist etwas ganz anderes.

Es ist genau diese Art von überwiegend fehlgeleiteter Emotion, die wir in der breiten Öffentlichkeit sehen, die nicht nur in diesem Fall zu beobachten ist, sondern auch bei jeder Wahl, in jedem Krieg, bei jedem Sieg eines Stammes über den anderen. Das passiert, wenn Symbole zum Leben erweckt werden und die Menschen beginnen, ihre eigene Identität mit der von jemandem zu verwechseln, der "besonders" oder "besser" ist als sie. Dies ist der heimtückischste Teil der modernen Politik, auch wenn es sich um ein Phänomen handelt, das so alt ist wie die Zeit selbst, und das von politischen Kampagnen, von alten und neuen Massenmedien und von jedem aufstrebenden Zentralplaner aktiv genutzt wird.

Im folgenden zweiten Teil konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes, auf den Durchschnittsbürger und auf den verantwortungsbewussten Investor, der alles, wofür er gearbeitet hat, für die nächste Generation bewahren möchte.



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