Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Eine kurze Anatomie der Geldwertzerrüttung

26.11.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 2 -
III.

Die modernen Volkswirtschaften, ihre hoch komplexen Produktionsstrukturen, der erzielte Grad der materiellen Güterversorgung für die breite Bevölkerung wäre ohne die Verwendung von Geld nicht möglich. Dabei ist natürlich wichtig hervorzuheben, dass das verwendete Geld "gutes" Geld sein muss. Und das heißt insbesondere, dass es kein inflationäres Geld sein darf. Inflationäres Geld - also Geld, das seine Kaufkraft im Zeitablauf verliert - bringt nämlich große Probleme mit sich; und diese Probleme nehmen mit ansteigender Inflation zu.

Heutzutage wird Inflation meist als ein fortgesetztes Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front verstanden. Ökonomisch gesehen, ist jedoch eine andere Interpretation überzeugend, und zwar eine, die auf der Unterscheidung zwischen "Güterpreisinflation" und "Geldmengeninflation" aufbaut. Danach führt Geldmengeninflation zu Güterpreisinflation. Die Geldmengeninflation ist die Ursache, die Güterpreisinflation ist die Folge, das Symptom der Geldmengeninflation. Und dass in den letzten Jahrzehnten steigende Güterpreise in der Tat einhergegangen sind mit steigenden Geldmengen, lässt weltweit beobachten.

Das heute vorzufindende Geldsystem - ein ungedecktes Geldsystem, ein Fiatgeldsystem - ist inflationär (entsprechend der voranstehenden Definition). Die Geldmengeninflation, für die es sorgt, hat in den letzten Jahrzehnten für beträchtliche Güterpreisinflation gesorgt. Gestiegen sind dabei nicht so sehr die Preise für die Konsumgüter, sondern vor allem die Preise für Vermögensgüter - wie Aktien, Anleihen, Häuser, Grundstücke, Kunstwerke etc. Seit etwa Anfang 2020 hat die Güterpreisinflation nun aber auch die Konsumgüterpreisebene erfasst.

Die Güterpreisinflation (als Folge der Geldmengeninflation) hat vor allem zwei tückische Konsequenzen. Erstens: Sie verzerrt die relativen Preise der Güter. Denn die Güterpreisinflation (als Folge der Geldmengeninflation) treibt die Preise für unterschiedliche Güter zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichem Ausmaß in die Höhe. Zweitens: Die Güterpreisinflation kommt meist unerwartet, beziehungsweise die Marktakteure sehen sie meist nicht in ihrer tatsächlichen Höhe richtig voraus, für sie kommt die Inflation meist als "Überraschungsinflation" daher.

Wenn das Geld inflationär ist, dann wird ein Grundprinzip des freien Marktes gestört beziehungsweise bei Hochinflation im Grunde nahe völlig ausgehebelt: dass nämlich das Tauschen von beidseitigem Nutzen ist für die am Tausch Beteiligten. Wie gesagt, Inflation, noch dazu unerwartete Inflation, verzerrt die Güterpreise. Käufer und Verkäufer haben es schwer(er), die richtigen Entscheidungen zu treffen: Ist das Gut zum aktuellen Preis zu teuer? Oder ist es vielleicht zu billig? Mit anderen Worten: Die Recheneinheitsfunktion des Geldes ist bei Inflation kompromittiert.

Und natürlich leidet auch - und in besonderem Maße - die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes: Inflation setzt die Kaufkraft des Geldes herab. Das gilt für zinslos gehaltenes Geld in Form von Bargeld unmittelbar. Und wenn Sicht-, Termin- und Spareinlagen, die bei Banken gehalten werden, einen Zins tragen, der nach Abzug der Güterpreisinflation negativ ist, dann verliert auch das Geld, das in dieser Form gehalten wird, seine Kaufkraft.

Ebenso ist bei Inflation die Wirtschaftsrechnung gestört. Die durch Inflation verzerrten Marktpreise verleiten Unternehmer zu Fehlkalkulationen. Beispielsweise werden die wahren Kosten der Produktion unterschätzt und die künftig erzielbaren Erlöse überschätzt. Knappes Kapital wird in die falschen Verwendungen gelenkt, geht mitunter gänzlich verloren. Auf welchem Wege die Inflation das Unternehmertum auch noch schädigt, zeigt ein kurzer Blick auf die bilanzielle Buchführung.

Bilanzen werden in nominalen Geldbeträgen erstellt. In Inflationszeiten kommt es dazu, dass die Absatzpreise der Güter steigen. Während die Umsatzerlöse in die Höhe klettern, werden die zur Erzeugung erforderlichen Aufwendungen mit ihren historischen Anschaffungskosten angesetzt. Es kommt daher zum Ausweis von "Scheingewinnen". Werden sie besteuert und/oder ausgeschüttet, verliert das Unternehmen Substanz, es wird sprichwörtlich weniger Wert, ist fortan weniger leistungsfähig.


IV.

Wenngleich auch die Inflation die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit schmälert (weil sie dafür sorgt, dass der Güterausstoß geringer ausfällt, als er ausfallen könnte, beziehungsweise weil sie verhindert, dass die Produktion bestmöglich an den Kundenwünschen ausgerichtet wird), so gibt es in Inflationszeiten jedoch auch (relative) Gewinner und (relative) Verlierer.

Die unteren und mittleren Einkommensverdiener sind üblicherweise die Geschädigten. Sie können der Inflation in der Regel nicht entkommen. Ihre Löhne und Einkommen passen sich nicht schnell genug an die Geldentwertung an. Sie werden ärmer. Sicherlich gibt es dabei auch einige wenige, die die Inflation richtig vorausgesagt haben, und die zudem auch in der Lage waren, diejenigen Güter frühzeitig zu erwerben, deren Preise nachfolgend inflationär ansteigen. Aber das ist meist nur eine Minderheit.

Viele Unternehmen hingegen leiden unter Inflation. Die Inflation schmälert die Kaufkraft, über die die Menschen verfügen. Die Kunden fragen weniger Güter nach, ganze Geschäftsmodelle können unrentabel werden. Einige Unternehmen hingegen können Inflationsphasen mitunter gut durchstehen, weil sie in der Lage sind, die erhöhten Produktionskosten in den Absatzpreisen ihrer Güter zu verdienen.

Der große Gewinner der Inflation ist der Staat - und das ist übrigens auch ein Grund, warum Staaten sich ungedecktes Geld, Fiatgeld, zu Eigen gemacht haben (und das Aufkommen von alternativen Geldarten verhindern wollen). Schon eine geringe Güterpreisinflation von, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr, spült dem Staat still und heimlich die "Inflationssteuer" in die Kasse. Beispielsweise im Zuge der "kalten Progression": Wenn die Eckwerte des progressiven Steuertarifes nicht an die Güterpreisinflation angepasst werden (was meist nicht der Fall ist), kommt es zu einer erhöhten realen Besteuerung der Einkommensteuerzahler.


Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"