Zur Ökonomik der Kriegswirtschaft und ihrer Inflation
05.02.2023 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
"Der Friedenszustand ist allein der unter Gesetzen gesicherte Zustand des Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menschen."
- Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797
- Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797
Diskussion
Der russische Präsident Vladimir Putin scheint die russische Wirtschaft umbauen zu wollen: Die volkswirtschaftliche Produktion wird per Staatseingriff zusehends auf Waren ausgerichtet, die für die Kriegsführung dringend benötigt werden.¹ In der Ökonomik spricht man in diesem Zusammenhang von "Kriegswirtschaft". Im ZDF wurde jüngst diese Frage erörtert: "Braucht Deutschland eine Kriegswirtschaft?"². Die Diskussion um diese Frage wurde auch beispielsweise von Wolfgang Ischinger, früherer Top-Diplomat und langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, thematisiert.³ Manfred Weber, Vize-Chef der bayerischen CSU, wurde zitiert mit den Worten: "Wir brauchen - auch wenn der Begriff kein einfacher ist - eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können".⁴
Aus rein ökonomischer Sicht hätte die Einrichtung einer Kriegswirtschaft (vor allem) für die Volkswirtschaften des Westens überaus tiefgreifende Folgen. Es gibt dabei vor allem zwei Aspekte, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind:
(1.) die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht und
(2.) die Art und Weise, wie die Kriegswirtschaft finanziert wird. Wie die nachfolgende rein ökonomische Betrachtung deutlich machen wird, können beide Aspekte zu einer zunehmenden Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundlagen führen, der wiederum Wohlstand und Freiheit der Bürger und Unternehmer in erheblichem Maße einschränken kann. Für eine abschließende Diskussion sind die Überlegungen in diesem Artikel natürlich durch politische Aspekte zu ergänzen - die aber in diesem Aufsatz nicht angestellt werden.
Ad (1.): Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Heereskrieg die vorherrschende Kriegsform. Das bedeutete, dass die Kriegshandlungen im Grunde auf die Söldnerheere beschränkt waren. Die Zivilbevölkerung nahm nicht aktiv am Kriegsgeschehen teil. Man unterschied vielmehr zwischen kämpfenden Soldaten (Kombattanten) und nicht-kämpfenden Bürgern (Nicht-Kombattanten). Zwar wurde bei Heereskriegen die Zivilbevölkerung leider nicht selten ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen (indem sie besteuert, ihr Hab und Gut geschädigt, sie nicht selten auch Opfer von Gewaltausbrüchen wurde), aber es gab dennoch die allseits anerkannte Trennung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten.
Das änderte sich mit der Idee, der Krieg solle nicht mehr nur Angelegenheit zwischen den kriegsführenden Söldnerheeren sein, sondern er solle alle Personen angehen, die nur irgendwie als für den Krieg tauglich befunden werden. Die alles verändernde Idee war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das bedeutet, dass der Staat zunächst nur einen Teil der wehr- und kriegsfähigen Personen einzieht und für die Kriegsführung schult. Doch dabei bleibt es nicht im Ernstfall. Man denke hier beispielsweise an die Geschehnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg: Immer mehr wehr- und kriegstaugliche Männer wurden eingezogen.
Dadurch wurden die Arbeitskräfte im Hinterland, die zur Versorgung von Armee und Zivilbevölkerung erforderlich waren, zusehends knapp. Daraufhin begann der Staat beziehungsweise die Militärführung, nicht nur zwischen Kriegstauglichen und Nicht-Kriegstauglichen zu unterscheiden, sondern auch zwischen abkömmlichen und unabkömmlichen Bürgern.
Die für die Versorgung der Armee unabkömmlichen Männer wurden nicht in die Kampftruppen eingereiht, sondern blieben zu haus, und die als abkömmlich eingestuften Männer zogen in den Krieg. Die Militärführung verfügte damit unmittelbar über die Verwendung und Einteilung der Arbeitskräfte. Diese Aufgabe erfüllte also nicht mehr das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im freien Arbeitsmarkt.
Doch damit nicht genug: Denn eine allgemeine Wehrpflicht will jeden, der zum Krieg als tauglich angesehen wird, zum Krieger machen. Daher wird die Militärführung bald befehligen, dass einige der Arbeiten im Hinterland, die bislang von unabkömmlichen wehr- und kriegstauglichen Männern wahrgenommen wurden, auch von den bislang als nicht kriegstauglich angesehenen Personen (Frauen, Alten, Kranken, Schwachen, Kindern) übernommen werden.
Der Anteil der für die Kriegshandlungen Abkömmlichen an der Gesamtbevölkerung steigt, und entsprechend nimmt der Anteil der für die Kriegshandlungen Unabkömmlichen ab. Und weil dadurch auch die eigentlich Kriegsuntauglichen zusehends einem Dienstzwang zu Erledigung der Arbeiten, die von der Militärführung für die Kriegsführung als unverzichtbar angesehen werden, unterworfen werden, untersteht der Militärführung dann früher oder später die ganze Bevölkerung.
Unter dieser Bedingung kann die Mobilmachung allumfassend werden: Potentiell die gesamte Bevölkerung kann schließlich einbezogen werden in die Kriegsführung beziehungsweise in die Erzeugung der Güter, die zur militärischen Kampfführung erforderlich sind. So gesehen kann die allgemeine Wehrpflicht - wenn sich ihre Logik im Ernstfall schrankenlos entfaltet - eine wohlmöglich ungewollte Folge haben: Denn jede der Kriegsparteien wird dann nicht nur die Soldaten des gegnerischen Landes als Kombattanten ansehen, sondern auch dessen Zivilbevölkerung - also Soldaten und Zivilbevölkerung werden womöglich zum Ziel der Kriegshandlungen.