Ausstiegsfibel für die Eurozone (Teil 1/3)
02.03.2012 | John Mauldin
Die optimale Lösung: Zahlungsunfähigkeit, Ausstieg, Abwertung
Dass den Länder an den Rändern der Eurozone mit einem Ausstieg aus der Währungsunion geholfen wäre, ist die eine Sache. Die andere: Wie könnte ein solcher Ausstieg im Detail aussehen? Und welche schwerwiegenden Konsequenzen wären zu erwarten - nicht allein für die betreffenden Nationen, sondern auch für die gesamte Eurozone - und die ganze Welt? Um die negativen Folgen solcher Ereignisse bewerten und minimieren zu können, bedarf es eines soliden Grundgerüsts, das auf sich auf historisch ähnlich gelagerte Ereignisse stützt und somit eine vernünftige Ausrichtung des Erwartungshorizonts zulässt.
Im folgenden Artikel setzt uns Jonathan Tepper (Koautor meines Buches "Endgame“) die Eckpfeiler eines solchen Grundgerüsts. Gemeinsam mit seiner Londoner Firma "Variant Perception“ stellte er einen 53-seitigen Bericht mit dem sehr überzeugten Titel "Ausstiegsfibel für die Eurozone - Die optimale Lösung: Zahlungsausfall, Ausstieg, Abwertung“.
Er erinnert uns auch an Folgendes: "In vergangenen Jahrhundert stiegen ganze 69 Länder aus Währungszonen aus, ohne dass die betreffenden Wirtschaften von starker negativer Volatilität erfasst wurden." Nach seinem Dafürhalten ist "[d]ie Auflösung von Währungsräumen technisch kompliziert aber insgesamt machbar […], zudem können historische Beispiele als Richtlinie für einen solchen Ausstieg dienen“.
Das wahre Problem Europas ist seiner Meinung nach aber folgendes: "[…] die Randstaaten der Eurozone haben dann mit schweren, untragbaren Ungleichgewichten hinsichtlich der realen effektiven Wechselkurse zu kämpfen, zudem übersteigt ihre externe Verschuldung die der meisten Schwellenländer, die in der jüngeren Vergangenheit mit ähnlichen Krisen zu kämpfen hatten.“
Der Weg aus der Krise? "Ein geordneter Zahlungsausfall und eine Umschuldung sind, in Verbindung mit Währungsabwertung, unausweichlich und sogar wünschenswert. Der Ausstieg aus dem Euro und eine Abwertung der Währung würden zwar Insolvenzen beschleunigen, mit flexiblen Wechselkursen wäre aber gleichzeitig ein sehr wirksames politisches Instrument geschaffen. Mit entschuldeten Bilanzen und wettbewerbsfähigeren Wechselkursen könnte die europäische Peripherie dann wieder schnell wachsen, so wie es in vielen Schwellenländern nach Schuldenausfällen und Währungsentwertungen der Fall gewesen ist (Asien 1997, Russland 1998 und Argentinien 2002).“
Wir brauchten jetzt diese Art des robusten Denkens und auch die Bereitschaft, die wichtigen Herausforderungen direkt anzugehen - und zwar nicht nur auf dem Weg durch die Krise der Eurozone, sondern auch auf unserem Weg durch das "Endspiel“. Die Welt befindet sich sozusagen in den letzten Zügen des Schulden-Superzyklus.
Sie finden diesen Bericht ungekürzt auf dem Blog von Variant Perceptions. Sie können ihn aber auch hier als PDF herunterladen.
© John Mauldin
Jonathan Tepper / Variant Perception
Zusammenfassung:
Für den Fall, dass ein Euro-Mitgliedsland die Währungsunion verlässt, erwarten viele Ökonomen katastrophale Konsequenzen. Im vergangenen Jahrhundert stiegen ganze 69 Länder aus Währungszonen aus, ohne dass die betreffenden Wirtschaften von starker negativer Volatilität erfasst wurden. Die Auflösung von Währungsräumen ist technisch kompliziert aber insgesamt machbar, zudem können historische Beispiele als Richtlinie für einen solchen Ausstieg dienen. Das wahre Problem Europas aber folgendes: Die Randstaaten der Eurozone haben letztendlich mit schweren, untragbaren Ungleichgewichten hinsichtlich der realen effektiven Wechselkurse zu kämpfen; zudem übersteigt ihre externe Verschuldung die der meisten Schwellenländer, welche in der jüngeren Vergangenheit mit ähnlichen Krisen zu kämpfen hatten.
Ein geordneter Zahlungsausfall und eine Umschuldung sind, in Verbindung mit Währungsabwertung, unausweichlich und sogar wünschenswert. Der Ausstieg aus dem Euro und eine Abwertung der Währung würden zwar Insolvenzen beschleunigen, mit flexiblen Wechselkursen wäre aber gleichzeitig ein sehr wirksames politisches Instrument geschaffen. Mit entschuldeten Bilanzen und wettbewerbsfähigeren Wechselkursen könnte die europäische Peripherie dann wieder schnell wachsen, so wie es in vielen Schwellenländern nach Schuldenausfällen und Währungsentwertungen der Fall gewesen ist (Asien 1997, Russland 1998 und Argentinien 2002).
Wichtige Schlussfolgerungen:
Die Auflösung der Eurozone wäre durchaus ein Ereignis mit historischer Tragweite, der Euro wäre aber nicht die erste Währung, die sich auflöst. In den letzten 100 Jahren hatte es 69 Auflösungen von Währungszonen gegeben. Fast immer ging ein solcher Ausstieg aus einem Währungsraum offenbar mit geringer makroökonomischer Volatilität einher. Zu den geschichtlichen Beispielen zählen die Österreichisch-Ungarische Monarchie 1919, Indien und Pakistan 1947, Bangladesch 1971, die Tschechoslowakei 1992-93 und die UdSSR 1992.
Geschichtliche Beispiele für Auflösungen von Währungsräumen können aus Wegweiser für den Euroausstieg dienen. Der Euro ist zwar aus historischer Perspektive einzigartig, die Probleme die beim Ausstieg aus einem Währungsraum entstehen allerdings nicht. An dieser Stelle ist es unnötig, darüber zu spekulieren, wie die Auflösung der Eurozone im Detail von Statten gehen könnte. Die Beispiele aus der Vergangenheit geben jedoch wichtige Anhaltspunkte bezüglich des Timings und der öffentlichen Bekanntgabe solcher Ausstiege, der Einführung neuer Münzen und Banknoten, der Bewertung oder Neubewertung privater wie öffentlicher Verpflichtungen und der Trennung von Guthaben und Verpflichtungen in den Zentralbankenbilanzen. Neben der Analyse historischer Beispiele sollen in diesem Bericht auch Empfehlungen für einen Ausstieg aus der Eurozone gegeben werden.
Der Übergang von der alten zur neuen Währung kann schnell und effektiv geschehen. Jeder Ausstieg aus einer Währungszone ist für sich genommen immer ein einzigartiger Vorgang, es gibt dennoch einige Gemeinsamkeiten. Bevor die alten Noten und Münzen eingezogen werden, erhalten sie normalweise eine Farbstempelung, Lochung oder Prägung. Die alte, unbehandelte Währung gilt anschließend nicht mehr als gesetzliches Zahlungsmittel. In der Zwischenzeit werden schnell neue Banknoten gedruckt.
Um zu verhindern, dass nicht markierte Währung das Land verlässt, werden Kapitalkontrollen an den Grenzen durchgeführt. Trotz der Kapitalkontrollen lässt es sich nicht verhindern, dass die alten Banknoten aus dem Land verschwinden und an anderen Orten verwahrt werden, weil sich viele Bürger davon ökonomische Vorteile erwarten. Sobald die neuen Banknoten erhältlich sind, werden die alten, markierten Banknoten "demonetisiert", d.h. sie verlieren den Status gesetzlicher Zahlungsmittel. Der gesamte Prozess ist in der Regel innerhalb weniger Monate beendet.
Aus technischer und organisatorischer Sicht läuft eine solche Währungsauflösung erstaunlich geradlinig ab. Das wahre Problem Europas sind aber die überbewerteten realen effektiven Wechselkurse und die extrem hohe Verschuldung. Aus historischer Sicht gingen Währungswechsel jedoch nicht mit schweren ökonomischen oder rechtlichen Problemen einher. Der Übergang verlief fast immer reibungslos und relativ geradlinig. Dies stützt auch die Einschätzung, dass die wahren Probleme Europas nicht im organisatorischen und technischen Vollzug der Auflösung liegen, sondern in den bestehenden realen, effektiven Wechselkursen und hohen Auslandsschulden dieser Länder.
Euro-Mitgliedsländer könnten ihre Zahlungsunfähigkeit erklären, ohne den Euro zu verlassen. Doch nur mit dem Ausstieg aus dem Euroraum kann deren Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. Der Ausstieg wird zum effektivsten politischen Werkzeug auf dem Weg zum innereuropäischen Ausgleich und zur Schaffung von Wachstum.
Die Randnationen des Euroraumes leiden unter Solvenz- und Liquiditätsproblemen, die einen Schuldenausfall unausweichlich und ein Verlassen der Währungsunion wahrscheinlich machen; Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien haben unhaltbar hohe Auslandsschulden aufgetürmt - in einer Währung, die sie weder drucken noch abwerten können. Schwellenländer, die während vergangener Krisen Zahlungsunfähigkeit erklären mussten und ihre Währung abwerteten, hatten fast immer eine niedrigere Auslandsverschuldung aufzuweisen als die heutigen Randnationen Europas. Diese Auslandsverschuldung wurde durch enorme Schulden-Blasen angeheizt, die wiederum durch unangemessene Geldpolitik verursacht wurden.
Alle europäischen Randnationen unterscheiden sich voneinander, eines haben sie aber gemeinsam - zu hohe Schulden. Griechenland und Italien haben eine hohe Staatsverschuldung. In Spanien und Irland ist hingegen der private Sektor sehr stark verschuldet. In Portugal ist der öffentliche wie auch der private Sektor hochverschuldet. Griechenland und Portugal sind aller Wahrscheinlichkeit nach insolvent, wohingegen Spanien und Italien wahrscheinlich illiquide sind. Schuldausfälle sind nur ein Teil der Lösung. Selbst wenn diese Länder ihren Zahlungsausfall erklären, haben sie immer noch überbewertete Wechselkurse.
Der Euro ist wie eine moderne Version des Goldstandards, wobei die schwächeren Länder die Last der Anpassung tragen müssen. Wie beim Goldstandard erzwingt jetzt auch der Euro Anpassungen direkt über die realen Preise und Löhne - anstatt über Wechselkurse. Und ähnlich dem Goldstandard hat der Euro eine rezessive Neigung, wobei die Lasten der Anpassungen immer auf das Konto der schwächeren und nicht der stärkeren Länder des Währungsraums gehen. Der Lösungsansatz der europäischen Politiker besteht in der Forderung nach mehr "Austerität". Eine Entschuldung im öffentlichen wie privaten Sektor ist jedoch nur mit einem Leistungsbilanzüberschuss möglich, der aber in Anbetracht der hohen Auslandsschulden und der geringen Exporte der peripheren Euroländer unerreichbar ist. Solange diese Länder im Euroverbund bleiben, tragen sie die Anpassungslasten und sind zu wirtschaftlicher Kontraktion oder niedrigem Wachstum verdammt.
Ein Rückzug aus dem Euro würde nur die bestehenden Ungleichgewichte auflösen und die ohnehin schon existierenden Verluste herauskristallisieren. Die Märkte diskontieren schon mit hohem Tempo die sich verschlechternde Situation in Europa. Ein Ausstieg aus dem Euro würde die Feststellung der eigentlichen und endgültigen Verluste beschleunigen, da sich die Randzonenländer ihrer Schulden weder durch Wirtschaftswachstum noch durch Währungsentwertung erfolgreich entledigen können. Die politischen Entscheidungsträger sollten sich nicht nur auf die organisatorischen und technischen Abläufe eines möglichen Ausstiegs aus dem Euro konzentrieren, sondern genauso darauf, wie grenzübergreifende Bankrotte und Umschuldungprozesse bei Staatsanleihen ablaufen.
Mit dem Verlassen der Eurozone dürfte man die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit, eine Umschuldung und die Umschreibung der Staatschulden in eine Landeswährung erreichen und die Anleihehalter zum Schuldenschnitt zwingen können. Die Aufnahme von Staatsschulden unterliegt in Europa so gut wie immer dem jeweiligen Landesrecht. Somit hätte man die Möglichkeit, die Schulden in eine neue nationale Währung umzuschreiben, was aus rechtlicher Sicht dann kein Schuldenausfall wäre - auch wenn die Ratingagenturen und internationalen Vereinigungen wie die ISDA dies wahrscheinlich als technischen Ausfall werten würden. Die Abwertung der Landeswährung und die Rückzahlung der Schulden in Drachmen, Lire oder Peseten würde die reale Schuldenlast verringern: Die Randnationen können durch Exporte Euros einnehmen und durch Inflation im eigenen Land den realen Wert der Schulden verringern.
Zumindest der Umschreibung aller privaten Schulden in eine neue Landeswährung stünde nichts entgegen. Private Auslandsschulden würden jedoch weiterhin den rechtlichen Bestimmungen der zuständigen Gerichtsbarkeit unterliegen, die bei der Vergabe der Anleihen oder Bankenkredite galten.
Das Hauptproblem für Unternehmen besteht nun darin, dass sie auf lokaler Ebene arbeiten, aber im Ausland Kredite aufnahmen. Ein Ausstieg aus dem Euro würde wahrscheinlich auch eine hohe Zahl von Unternehmens- und Privatinsolvenzen nach sich ziehen, wenn Kredite im Ausland aufgenommen wurden. Das wäre aber nichts Neues oder Beispielloses. Gerade während der Asienkrise von 1997 kam es zu besonders vielen Kreditausfällen in den jeweiligen nationalen Privatsektoren. Die positive Folge war jedoch, dass Unternehmen anschließend mit frischen Bilanzen an den Start gingen.
Wie die Erfahrungen der Schwellenwirtschaften zeigen, wären die Qualen der Währungsabwertung nur von kurzer Dauer und anschließend würde eine schnelle Erholung und schnelles Wachstum folgen. Staaten, die sich zahlungsunfähig erklärten und daraufhin ihre Währung abwerteten, erlebten eine kurze, schwere Kontraktion, der sehr steile, ausgedehnte Wachstumsperioden folgten.
Ein geordneter Zahlungsausfall und eine Umschuldung sind, in Verbindung mit Währungsabwertung, unausweichlich und sogar wünschenswert. Die europäische Peripherie würde am Ende wieder mit weniger schuldenlastigen Bilanzen dastehen. Die europäische Peripherie könnte dann wieder schnell wachsen, so wie es in vielen Schwellenländern nach Zahlungsausfällen und Währungsentwertungen der Fall gewesen ist (siehe Asien 1997, Russland 1998, Argentinien 2002, etc.). In fast allen Fällen fiel das reale BIP nicht länger als zwei bis vier Quartale. Zudem erreichte das BIP sein Vorkrisenniveau innerhalb von zwei bis drei Jahren; die meisten Länder hatten darüber hinaus nach nicht allzu langer Zeit wieder Zugang zu den internationalen Schuldenmärkten.
Lesen sie weiter: Teil 2 und Teil 3.
© John Mauldin
Dieser Artikel wurde am 28. Februar 2012 auf www.ritholtz.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.