Moment der Klarheit
15.03.2013 | Theodore Butler
Es folgt ein Auszug aus einem Wochenrückblick vom 9. März 2013.
Ab und zu trifft jemand eine Aussage, die einen bestehenden Sachverhalt ganz plötzlich zu Leben erweckt. Im Märchen "Des Kaisers neue Kleider" berichtet Hans Christian Andersen von zwei Webern, die dem Kaiser weismachen, dass ihre Spezialkleidung für ihn nur für die Dummen und Unwürdigen unsichtbar bliebe. Als der Kaiser in seinen neuen Kleidern eine Parade vor seinen Untergebenen abhält, schreit ein Kind das Augenscheinliche heraus: "Er trägt ja überhaupt keine Kleider.“ Daran musste ich als erstes denken, als ich las, was der US-Generalstaatsanwalt während einer Anhörung vor dem Senat diese Woche gesagt hatte.
Auf die Frage, warum die Regierung keine Strafverfolgung eingeleitet hatte, als eine Großbank zugab, in Drogengeldwäscheaktivitäten verwickelt zu sein, antwortete Generalstaatsanwalt Eric Holder: “Ich mache mir Sorgen, dass einige dieser Institutionen inzwischen so groß geworden sind, dass uns ihre strafrechtliche Verfolgung Probleme bereitet, gerade wenn uns gegenüber angedeutet wird, eine Strafverfolgung habe negative Konsequenzen für die Wirtschaft des Landes und möglicherweise sogar für die Weltwirtschaft.” Ein anwesender Senator gab zu, dass ihn die Offenheit dieser Antwort verblüffte. Die tatsächlich aussagekräftige Antwort Mr. Holders bekam zwar die breite Aufmerksamkeit, die sie verdiente, sie müsste aber gerade unter den Silberinvestoren - oder zumindest unter den Lesern dieses Newsletter-Services - die größten Wellen geschlagen haben.
In einem blendenden Moment der Klarheit zeichnet sich plötzlich, deutlich und für alle ersichtlich die Antwort auf zum ganzen Thema "warum unternimmt die CFTC nichts gegen die Silbermanipulation und gegen die Tatsache, dass JP Morgan die Silberkurse im Würgegriff hat". Mr. Holders Worte könnten nicht klarer sein. Sie passen perfekt zur jetzt schon zum Konsens gewordenen Ansicht all jener, die schon wissen, dass JP Morgan die Silberkurse manipuliert. Die CFTC erlaubt JP Morgan auch weiterhin illegale Praktiken am Silbermarkt, weil die Bank zu groß und mächtig ist, um sie in ihre Schranken zu weisen, und zwar aus Angst vor unbeabsichtigen Konsequenzen. Das ist nicht nur die plausibelste Erklärung für die "Hände-weg-von-JPMorgan!“-Behandlung, diese Sicht wird auch durch zahllose Fakten gestützt, die allein im Silbermarkt zu finden sind.
Wenn eine US-Bundesbehörde viereinhalb Jahre mit der Untersuchung einer einfachen Frage zur Marktkonzentration beschäftigt ist und keine Antwort darauf finden kann, dann kann sie das nur in der Absicht tun, diese nicht finden zu wollen. Die CFTC wird ihre Untersuchungen im Silbersektor natürlich nicht zum Abschluss bringen, weil sie fürchtet, dass eine strafrechtliche Verfolgung JP Morgans wegen Manipulation der Silberkurse extrem negative Konsequenzen für die Bank selbst hätte, die dann auf das gesamte Finanzsystem ausstrahlen könnten. Wenn man dann noch bedenkt, dass JP Morgan bestimmte Garantien und Zusicherungen von der US-Regierung erhalten hatte, als die Bank die konzentrierte Short-Position Bear Stearns übernahm, dann tritt diese am plausibelsten erscheinende Erklärung noch klarer hervor. Ich habe nie ausgeschlossen, dass es sich bei diesem Manipulationsgeschäft um eine sehr ernste Angelegenheit handeln könnte, die auf den höchsten Ebenen der Finanz- und aufsichtsbehördlichen Nahrungskette ausgetragen wird. Die Worte des Generalstaatsanwalts können jetzt gar nicht besser als auf die Silberkursmanipulation durch JP Morgan passen.
Als die Nachricht herauskam, hatte ich eine Diskussion mit einem Freund, der schließlich den naheliegenden Punkt aussprach, dass diese Angelegenheit wohl die Dauer der Silbermanipulation ins Unendliche ausweiten könnte. Denn wenn die Aufsichtsbehörden zu zögerlich oder zu verängstigt sind, JP Morgan zur Einstellung der Silbermanipulation zu zwingen, dann hat JP Morgan quasi grünes Licht, diese bis in alle Ewigkeit fortzusetzen. Ich kann dieses Gefühl verstehen. Verstehen ja. Akzeptieren? Nein. Eigentlich bin ich der Auffassung, dass das wachsende Bewusstsein, dass Banken zu groß für Bankrotte oder Gerichtsverfahren sind - aber vor allem, dass JP Morgan die Silberkurse manipuliert - eher für ein schnelleres Ende dieser Manipulation spricht. Aber an dieser Stelle wollte ich eigentlich auf etwas Anderes aufmerksam machen.
Viele kommen zu dem Schluss, dass die Beendigung der Silbermanipulation noch eine sehr lange Zeit brauchen wird, angesichts der Macht JP Morgans und des "harschen“ Vorgehens der Aufsichtsbehörden gegen die größten der Großbanken, die "zu-groß-um-verklagt-zu-werden“ sind. Oft ist dieses Gefühl auch mit folgendem Gedanken verknüpft: Wenn der Staat anscheinend fähig ist, unbegrenzt Geld und Schulden zu kreieren, dann kann auch JP Morgan unbegrenzte Mengen Papier-Silber-Short-Kontrakte verkaufen, um die Kurse zu kontrollieren. Das ist eine recht simple Analogie, die zu meinem Hauptpunkt überleitet: Es liegt ein weltengroßer Unterschied zwischen der Schöpfung neuen Geldes und der Schöpfung neuer Short-Kontrakte. Wichtig ist, den Unterschied zu kennen.
Ich stimme voll und ganz zu, dass die Bank JP Morgan schon immer so viele neue Short-Kontrakte verkauft hat, wie sie es zur Begrenzung der Silberkursentwicklungen für nötig hielt. Eindringliche Beweise dafür fanden sich zu zwei Anlässen - im Rahmen der zweimonatigen Silberkurs-Rally Ende 2011, als Silber um 10 $ stieg und im Rahmen der Silberkurs-Rally letzten Sommer bis in den frühen Winter, als Silber um 8 $ stieg. In beiden Fällen stoppte JP Morgan, als einziger Leerverkäufer, im Alleingang eine Ausweitung der Aufholbewegung. Um ehrlich zu sein, kann ich nicht ausschließen, dass JP Morgan auch bei der nächsten Kurs-Rally wieder der einzige Leerverkäufer sein wird. Aber genau das ist der wichtigste Punkt für die zukünftige Entwicklung der Silberkurse. Ich meine damit Folgendes: Es stimmt, dass die dreckigen, verlogenen Betrüger bei JP Morgan Silber in der Vergangenheit immer wieder aus der Bahn geworfen haben, und sie könnten das auch wieder tun. Auf der anderen Seite kann JP Morgan nicht ewig so weiter machen, vielleicht ist schon beim nächsten Mal Schluss - weil ein anderer Faktor zum Tragen kommt.
Und dieser "andere Faktor“ hat mit dem speziellen Wesen jener Instrumente zu tun, denen sich JP Morgan bei der Kontrolle und Manipulation der Silberkurse bedient. Wenn die Bank unbegrenzte Mengen COMEX-Silberkontrakte zur Kurskontrolle verkauft, verpflichtet sie sich gleichzeitig auch zur physischen Lieferung dieser Metalle, die unter sehr einfach vorstellbaren Bedingungen gefordert werden könnte. Die Federal Reserve kann monatlich Wertpapiere im Umfang von 45 Mrd. $ ankaufen oder aber 450 Mrd. $, die Folgen dieser Maßnahmen lassen sich unmöglich präzise veranschlagen. Im Fall von Leerverkäufen regulierter Rohstoffterminkontrakte, bei denen den Käufern die Option physischer Lieferung zugesichert wird, ließen sich die Folgen für den Fall einer Rohstoffknappheit allerdings problemlos darstellen. Und der COMEX-Silberkontrakt ist ein solcher Terminkontrakt mit physischer Auslieferungsoption.
Sollte sich beim Silber also eine ausgeprägte physische Knappheit ausbilden, und die Anzeichen dafür mehren sich meiner Meinung nach, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bevor die Besitzer voll bezahlter COMEX-Silberterminkontrakte die physische Auslieferung dieser Kontrakte fordern werden. Deswegen ist die COMEX hinsichtlich der Silberpreisfindung auch zum Dreh-und Angelpunkt geworden. Ihre wachsende Bedeutung für die Silberpreisfindung blieb aber nicht ohne unbeabsichtigte Konsequenzen (warum haben immer jene Dinge, die es eigentlich gar nicht erst geben sollte, unbeabsichtigte Konsequenzen?). Bei den COMEX-Silberkontrakten gibt es unter anderem eine unbeabsichtigte Konsequenz: Die meisten Silbermarktteilnehmer, darunter Verbraucher aus der Industrie und Großinvestoren, wissen, dass sie, wenn es eng wird, physische Auslieferung fordern können - indem sie einwilligen und den Terminkontrakt für das zu liefernde Metall komplett bezahlen.
Ich weiß zwar, dass letztendlich nur ein sehr kleiner Prozentsatz (1% bis 3%) aller Terminkontrakte für physische Rohstoffe zur Lieferung angefordert wird. Man darf aber auch nicht vergessen, dass es bei physischen Rohstoffen prozentual betrachtet, nur sehr, sehr selten zu einer wirklichen Knappheit kommt. Im Fall einer wirklichen Rohstoffknappheit muss davon ausgegangen werden, dass, abhängig vom Preis, eine sehr große Nachfrage nach physischer Auslieferung des knappen Rohstoffs entsteht. Man muss ebenfalls davon ausgehen, dass die Verkäufer dieser Kontrakte auch genauso zögerlich mit der Auslieferung sein werden, ansonsten würde es erst gar keine Knappheit geben.
Das ist auch das Problem am Silbermarkt: Der größte Leerverkäufer, JP Morgan, hat die Preise derart in die Tiefe getrieben, dass man im Fall einer sich abzeichnenden Knappheit davon ausgehen muss, dass immer mehr Kontraktkäufer physische Auslieferung fordern werden - wodurch die Lieferunfähigkeit JP Morgans aufgedeckt wird. Das werden wir aber erst erfahren, wenn es schon so weit ist - wenn JP Morgan nicht mehr in der Lage ist, physisches Silber zu liefern. Dann werden die staatlichen Aufsichtsbehörden und die betrügerischen "Selbst-Regulierer“ von der CME Group bekanntgeben, dass sich plötzlich ein ganz spezielles Problem ergeben habe, das einen Ausfall der Kontrakte notwendig mache. In Wahrheit existiert dieses Problem auch heute schon in Form der konzentrierten Short-Position JP Morgans; es fehlt allein noch die Bestätigung einer physischen Knappheit.
Dass wir ins unserem Land jetzt schon so weit sind, dass ein führender Gesetzeshüter zugibt, das Justizministerium zögere aus Angst vor den Folgewirkungen, Strafverfolgung einzuleiten, erklärt schließlich auch, warum die CFTC am Silbermarkt nicht hart gegen JP Morgan vorgeht. Doch diese Erklärung hat nicht mit dem zu tun, was passieren wird, wenn die Silberknappheit mit voller Kraft zuschlägt. Nichts, was der Generalstaatsanwalt, die CFTC, JP Morgan oder jede andere Institution dieser Welt sagen oder machen werden, wird dann noch die weltweite Kaufkraft aufhalten können, die nach der Aufdeckung der Silberknappheit in Silbermarkt strömt.
Eine abschließende Bemerkung: Es wird zunehmend darüber geredet, dass eine Silber- und Goldknappheit zu Kontraktausfällen an der COMEX führen könnte. Ich weiß nicht, worauf sich dieses Gerede über eine Goldknappheit beziehen soll. Gold wird nicht in der Industrie verbraucht - es ist also buchstäblich unmöglich, dass sich beim Gold eine wirkliche Knappheit entwickelt kann. Ich weiß ja selbst, dass die Silber- und Goldkurse dank der COMEX-Spiele manipuliert werden, ich halte es aber auch für wichtig, zwischen beiden Metallen, auf Grundlage von Fakten, zu unterscheiden. Ja, der Goldpreis kann steigen, sogar deutlich höher als ich es erwarte, aber eine physische Knappheit ist eine ganz andere Kategorie. Und diese Aussichten auf eine Silberknappheit stecken auch hinter meinen Mantra, man möge von Gold zu Silber wechseln.
© Theodore Butler
(Diese Abhandlung wurde vom Silberanalysten Theodore Butler, einem unabhängigen Berater, verfasst. Investment Rarities teilt seine Ansichten nicht notwendigerweise, diese können sich als richtig oder falsch herausstellen.) Exklusiv übersetzt für GoldSeiten.de. Das Original wurde am 11.03.2013 auf der Website www.silverseek.com veröffentlicht.
Informationen zum Abonnement finden Sie unter www.butlerresearch.com.
