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Wird Inflation zum Problem?

21.08.2013  |  Carsten Klude

Die deutsche Inflationsrate ist im Juli auf 1,9% angestiegen. Obwohl dieser Wert an sich nicht besorgniserregend hoch ist, wurde diese Entwicklung in der deutschen Öffentlichkeit von vielen kritisch zur Kenntnis genommen. Denn immerhin steigen die Preise derzeit so stark wie es zuletzt Ende des vergangenen Jahres der Fall gewesen ist.

Dies liegt unter anderem daran, dass sich die Preise für Nahrungsmittel und Strom stark verteuert haben, also für Dinge des täglichen Bedarfs, die von einem Großteil der Bevölkerung überproportional stark nachgefragt werden. Demgegenüber werden die sinkenden Preise für Computer, Fernseher oder Autos weniger deutlich wahrgenommen. Diese gehen zwar in den Warenkorb zur Berechnung der Inflationsrate ein, doch wer kauft sich schon regelmäßig diese Produkte? Von daher überrascht es wenig, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen, dass die tatsächliche Inflationsrate viel höher ist, als es in der offiziellen Statistik zum Ausdruck kommt.

Die Meinung, "Der Euro hat für uns alles teurer gemacht!" ist von daher ebenso weit verbreitet wie das Misstrauen gegenüber der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Wer, wie es seit der Krise im Jahr 2008 der Fall ist, Unmengen von Liquidität in die Märkte pumpt, der muss damit doch zwangsläufig Inflation erzeugen. Oder?

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Dass das Thema Inflation gerade in Deutschland immer noch Angst und Schrecken verbreitet, ist angesichts der tatsächlichen Preisentwicklung der vergangenen Jahre überraschend.

Seit der Euro-Bargeldeinführung am 1. Januar 2002 liegt die durchschnittliche deutsche Inflationsrate bei gerade einmal bei 1,6%. Nur kurz vor dem Beginn der Krise im Jahr 2008 gab es einmal eine kurze Zeit, in der die Inflationsrate bei etwas über 3% gelegen hat. Wirkliche Inflation haben die wenigsten Deutschen hautnah erlebt - wobei dies zugegebenermaßen auch davon abhängt, was man unter "wirklicher Inflation" versteht. Schaut man weiter zurück in die deutsche Vergangenheit, so beträgt der Durchschnittswert der Inflation seit Beginn der 50er Jahre 2,6%.

Die letzte Phase, in der die Preise relativ deutlich gestiegen sind, war während der deutschen Wiedervereinigung (im Jahr 1992 gab es einige Monate mit Inflationsraten von 5 bis 6%). Davor waren es vor allem die Ölkrisen, die die Preise in die Höhe trieben: um 6 bis 7% Anfang der 80er und in den 70er Jahren. Dabei wirkte sich die Ölkrise der 70er Jahre wesentlich länger auf die Inflation aus, weil es in dieser Zeit den Gewerkschaften gelang, als Ausgleich für den Kaufkraftverlust durch die gestiegenen Energiepreise hohe Lohnabschlüsse durchzusetzen.

Legendär ist vor allem der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst im Jahr 1974 von 11%, die sogenannte "Kluncker-Runde", so benannt nach dem damaligen Gewerkschaftsführer der ÖTV (Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport, Verkehr, heute ver.di), Heinz Kluncker.

Im historischen Vergleich haben wir es heute mit äußerst moderaten Inflationsraten zu tun, die keinen Anlass geben, in Hysterie zu verfallen. Zumal die gegenwärtige Entwicklung auch nichts damit zu tun hat, dass diese Preisentwicklung von den Notenbanken "gemacht" wird.

Die Erklärung für die steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreise ist nämlich trivial: So hat das schlechte Wetter in diesem Jahr zu erheblichen Ernteausfällen geführt, und diese haben dafür gesorgt, dass sich insbesondere die Preise für Obst und Gemüse deutlich verteuert haben (hier liegt die Inflation bei rund 11%). Geht man davon aus, dass es sich hierbei nur um einen einmaligen Effekt handelt, dann würde sich spätestens in 12 Monaten die Preissteigerungsrate basisbedingt wieder deutlich zurückbilden. Die höheren Energiepreise sind ebenfalls hausgemacht und haben ausnahmsweise einmal nichts mit steigenden Öl- oder Gaspreisen an den internationalen Rohstoffmärkten zu tun, sondern mit der deutschen Energiewende.

Diese hat dazu geführt, dass zu Beginn des Jahres die EEG-Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde angehoben worden ist. Im Ergebnis ist Strom damit 12% teurer als vor einem Jahr. Zwar könnte es sein, dass die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien 2014 weiter ansteigt, doch wird der Anstieg aus heutiger Sicht vermutlich etwas weniger stark ausfallen als in diesem Jahr. Somit wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Preisanstieg bei den Energiepreisen wieder verlangsamen. Von daher gehen wir nicht davon aus, dass die Inflationsrate in den kommenden 18 Monaten auf mehr als 2% ansteigen wird.

Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch für die übrige Eurozone ab. Im Vergleich zu Deutschland ist die Inflationsrate in der gesamten Eurozone in den vergangenen Monaten sogar etwas niedriger gewesen. Dies liegt vor allem an der schwachen Wirtschaftslage der Peripherieländer, denn die dortigen Unternehmen haben nur geringe Preisüberwälzungsspielräume. Zudem hat der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesen Ländern zu sinkenden verfügbaren Einkommen geführt.

Um ihre Staatshaushalte zu konsolidieren, haben viele Länder in den Jahren 2010 bis 2012 die Steuern erhöht, so dass die Konsumentenpreise trotz der Rezession zum Teil deutlich gestiegen sind, doch laufen diese Effekte mittlerweile aus. Von daher sind die Inflationsraten in Italien, Spanien, Portugal und Irland deutlich gesunken; in Griechenland sinken die Preise mittlerweile sogar absolut. Berechnet man die Anteile der verschiedenen Gütergruppen an der Gesamtinflationsrate, tragen vor allem die Energiepreise, aber auch Güter und Dienstleistungen weniger zum allgemeinen Preisauftrieb bei als früher. Wie man das Blatt auch dreht und wendet: Im Unterschied zur öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland gibt es also weiterhin wenig Anlass, sich um das Thema Inflation große Sorgen zu machen. Ein nachhaltiger Preisanstieg ist nicht in Sicht!





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Zudem sollte allen, die sich um die Preisentwicklung sorgen, klar sein, dass nicht nur eine zu hohe Inflationsrate ein Problem sein kann, sondern auch eine, die zu niedrig ist. Nicht umsonst haben die meisten Notenbanken eine Zielmarke für die Inflation von rund 2%. Wirft man einen Blick auf die globale Inflationsentwicklung, so fällt auf, dass sich die Inflationsrate in den OECD-Ländern mit zuletzt 1,8% ebenfalls auf einem äußerst niedrigen Niveau bewegte.

Vergrößert man den Kreis der beobachteten Länder, so wird diese Einschätzung bestätigt: Der Median der Inflationsrate von 70 Ländern, für die wir Daten vorliegen haben, beträgt 2,0%, der Mittelwert liegt bei 2,8%. Wenn es Länder gibt, die ein Problem mit zu hohen Inflationsraten haben, dann sind es Schwellenländer: So weist Indien eine Inflationsrate von 10,9% auf, Argentinien eine von 10,5% und Ägypten eine von 10,3%. Auch Brasilien (6,3%), Russ-land (6,4%) und die Türkei (8,9%) haben hier ein Problem.

Warum ist eine zu niedrige Inflationsrate oder gar eine Deflation (sprich: fallende Preise) ein Problem? Viele historische Beispiele zeigen, dass eine Deflation häufig mit einer Rezession einhergeht. Japan in den vergangenen 15 Jahren oder die USA während der großen Depression in den 1930er Jahren sind Beispiele hierfür. Wenn Konsumenten oder Unternehmen davon ausgehen, dass die Preise weiter fallen, hält man sich mit Konsum- oder Investitionsausgaben zurück. Schließlich kann man bei der Erwartung sinkender Preise für denselben Geldbetrag mehr Güter konsumieren oder mehr Investitionsgüter erwerben.

Sind die Preissteigerungsraten sehr niedrig, muss sich dies zwar nicht unmittelbar auf die ökonomische Aktivität der Verbraucher auswirken, doch kann dies im Falle einer hohen Verschuldung negative Implikationen haben. Denn die Höhe der Staatsschulden, die eine nominale Größe sind, wird vom Zinsniveau und dem nominalen Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft bestimmt. So beeinflusst das Verhältnis von Haushaltsdefizit und Wachstum die Schuldenquote.

Um beispielsweise die Maastrichter-Kriterien eines Haushaltsdefizites von (maximal) 3% und einer Schuldenquote von (maximal) 60% zu erfüllen, ist dauerhaft ein nominales Wirtschaftswachstum von 5% notwendig! Beträgt die Inflationsrate 2%, benötigt man also
ein reales Wirtschaftswachstum von 3%. Sinkt die Inflationsrate aber auf 1%, muss das reale Wachstum schon 4% betragen. Umgekehrt würde im Falle einer Preissteigerungsrate von 4% bereits ein reales Wirtschaftswachstum von 1% ausreichen, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen.

Niedrige Inflationsraten sind vor allem für die Peripherieländer ein Problem. Die in dieser Woche veröffentlichten BIP-Daten für das 2.Quartal haben erfreulicherweise gezeigt, dass die Rezession in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien an Intensität verliert. So ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Griechenland, Spanien und Italien im Quartalsvergleich weniger stark gesunken als zuvor; Portugal konnte sogar einen deutlichen Zuwachs verzeichnen.

Da aber in all diesen Ländern gleichzeitig auch die Inflationsrate sinkt, fällt der Nettoeffekt für das nominale Wirtschaftswachstum - zumindest in den ersten drei genannten Ländern - trotzdem nicht positiv aus. Dem Ziel, die Schuldenquote zu stabilisieren oder besser noch, sie zu verringern, sind die meisten Länder also nicht nähergekommen.

Am Beispiel Italiens lässt sich dies einfach illustrieren. Italien hatte Ende 2012 eine Schuldenquote von 127% des Bruttoinlandsproduktes; dies entspricht einem Wert von rund 2 Billionen Euro. Der durchschnittliche Zinssatz, den Italien für seine Staatsschulden bezahlen muss, beträgt 4,2%. In diesem Jahr werden also rund 80 Milliarden Euro Zinsen gezahlt, dies entspricht gut 5% des italienischen Bruttoinlandsproduktes. 2012 ist das nominale BIP Italiens um 0,8% gesunken (real: -2,4%, BIP-Deflator:1,6%). Dieses Jahr rechnet der IWF mit einem realen Minus von 1,8%, der BIP-Deflator dürfte nach unserer Einschätzung auf 1,0% sinken, so dass das nominale BIP erneut um 0,8% zurückgehen wird.

Um die Schuldenquote bei 127% zu stabilisieren, bräuchte Italien einen Haushaltsüberschuss von gut 1% (also einen Primärüberschuss von mehr als 6%). Das ist unrealistisch. Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit in einer Größenordnung von 2,9%. In diesem Fall wird die Schuldenquote jedoch auf fast 131% des BIPs ansteigen. Selbst bei einer Inflationsrate wie im vergangenen Jahr von 1,6% und mithin einem geringeren nominalen BIP-Rückgang Italiens von 0,2%, wird die Schuldenquote Ende 2013 noch bei rund 130% liegen. Nur bei einem nominalen Wachstum von 2,3% könnte unter den gegebenen Annahmen die Schuldenquote stabilisiert werden.

Bei einer realen Wachstumsrate von -1,8% bräuchte man hierfür jedoch eine Inflationsrate (BIP-Deflator) von 4,1%. Deswegen gilt hier: Es darf lieber etwas mehr Inflation sein als zu wenig. Wenn Inflation ein Problem ist (oder wird), dann nicht, weil sie zu hoch, sondern weil sie für viele Länder aus ökonomischer Sicht zu niedrig ist. Die Situation in Deutschland stellt auch in diesem Fall eine Ausnahme dar.


© Carsten Klude, Dr. Christian Jasperneite, Matthias Thiel, Martin Hasse, Darian Heede
M.M.Warburg Investment Research

Quelle: Auszug aus "Konjunktur und Strategie". Den Berichten, Tabellen und Grafiken liegen vertrauenswürdige Informationen aus öffentlichen Quellen zugrunde. Für die Richtigkeit können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt.