"... wir sparen uns zu Tode!" - Interview mit Dr. Kurt Richebächer
28.11.2005 | Dr. Volkmar Riemenschneider
Dr. Kurt Richebächer, langjähriger Chef-Ökonom und Vorstands-Sprecher der Dresdner Bank, studierte Währungs- und Monetäre Systeme und beschäftigt sich mit deren wirtschaftlichen Konsequenzen seit nunmehr über sechzig Jahren. Seine Ansichten werden heute weltweit als eine der letzten Stimmen der Vernunft inmitten des monetären Chaos der globalisierten (Finanz-) Märkte anerkannt. Seine messerscharfen Analysen, unvoreingenommenen Einsichten und kühnen Prognosen haben ihm den Beinamen "Der Mann der Wahrheit" eingetragen. Eine Wahrheit, die ein Beobachter so ausdrückte: "...Auch wenn seine Aussagen nicht gerade populär sind - missachte sie zu Deinem eigenen Schaden!" Trotz seines hohen Alters publiziert er immer noch Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften und in seiner in den USA erscheinenden Publikation "The Richebächer Letter".
V. R: Herr Dr. Richebächer, wie würden Sie die aktuelle Situation an den Weltfinanzmärkten mit wenigen Worten beschreiben?
K. Richebächer: Ich würde sagen, es herrscht allgemeine Euphorie. Das Merkwürdige ist, dass die Bonds, vor allem die amerikanischen Bonds ihre niedrigen Renditen beibehalten haben, obwohl die kurzfristigen Zinsen erhöht worden sind. Andererseits staune ich, dass die Aktienkurse steigen, obwohl die Zinsen erhöht werden. Dies ist alles in allem ein ziemlich widersprüchliches Bild. Ich nehme an, dass man eine sehr feste Weltkonjunktur erwartet, diese erwartet man vor allem auch in den USA. Aber das Erstaunliche ist, dass es mit sehr niedrigen Zinsen am langen Ende so weiter geht.
V.R: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung? Werden die Zinsen massiv ansteigen?
K.R: Das Wunder ist eben, dass die Zinsen trotz der guten Konjunkturerwartung so niedrig bleiben. Ich bin der Meinung, dass in diesen Zinsen, in dieser Bondbubble, eine ungeheure Menge an Spekulation steckt. Die Leute spekulieren darauf, dass die amerikanische Notenbank, falls etwas Unangenehmes in der Wirtschaft oder im Finanzsystem passiert, sofort lockern wird.
V.R: Das heißt also, falls die Immobilienblase in den USA zu platzen beginnen könnte, die Notenbank sofort eingreift.
K.R: Ja. Die Meinung ist, dass die Notenbank alles perfekt unter Kontrolle hat und, dass, wenn etwas Ernsthaftes passiert, sie sofort wieder lockert. So wie im Stile von 2001.
V.R: Das heißt die Inflation wird auch in Zukunft weiter ansteigen!?
K.R: Ja! Ich meine die Inflation in den USA ist ungewöhnlich hoch, da sie im Jahresvergleich knapp vier Prozent beträgt. Diese Zahl ist für heutige Begriffe schon sehr hoch, zumal die Produzentenpreise schon bei sechs Prozent liegen. Die Frage ist ja eigentlich warum ist die Inflation so hoch!
V.R: Sie sind vielen Anleger in Deutschland insbesondere durch Ihre vehemente Kritik an den statistischen Verfahren in den USA bekannt. Was ist genau ihre Kritik an den amerikanischen Meßmethoden, insbesondere im Hinblick auf die Höhe des Wirtschaftswachstums und der Inflation?
K.R: Mit diesem Thema könnte man einen ganzen Roman füllen, aber ich werde versuchen es auf den Punkt zu bringen. Es gibt verschiedene Methoden, wie sie die Inflation unterbewerten. Sie senken die Inflationsrate vor allem dadurch, dass sie Qualitätsverbesserungen in Preissenkungen umsetzen. Dies ist ein Hauptpunkt, aber es gibt noch viele andere. Ein weiterer Punkt ist, dass man die Häuserpreise aus der Inflation herausgenommen hat, stattdessen wird nun eine Miete berechnet. Nur leider fallen die Mieten in den USA weil die Leute alle von Mietwohnungen in Häuser umsteigen. Dies alles hat die Inflationsrate nach allervorsichtigsten Schätzungen um ca. 1,5 Prozent vermindert. Es gibt aber auch einige Experten, die nach alter Methode berechnen und diese kommen auf fast 3 Prozent. Das heißt nun, dass die Inflationsrate nicht 4 Prozent sonder 7 Prozent beträgt. Aber selbst wenn Sie nur die vorsichtige Unterbewertung heranziehen, dann sind es auch 5,5% und dies ist für die heutige Zeit eine gewaltige Inflationsrate.
V.R: Das müsste doch dann eigentlich zu steigenden Rohstoff- und vor allem Edelmetallpreisen in den nächsten Jahren führen?
K.R: Ja, denn die Edelmetallpreise werden eben im Wesentlichen durch die Inflationsrate bestimmt. Dies ist die allgemein herrschende Meinung und die Entwicklung bestätigt dies auch. Aber die Frage ist, was tut Amerika gegen diese Inflation. Ich bin der Meinung, dass sie dagegen gar nichts tun können. Was sie bisher getan haben ist mehr Schein als Sein. Mehr Scheinrestriktionen als echte Restriktionen. Aber das Problem ist ja, dass sie Dinge tun, von denen sie nicht wissen, was dabei herauskommen wird. Die Zinserhöhungen gefährden ja schließlich die ganze Anleihebubble, die ganz Creditbubble. Man muss ja schließlich wissen, dass in Amerika der ganze Anleihemarkt und auch die Häuserpreise nicht auf hohen Ersparnissen, sondern auf gepumptem Geld beruhen. Hier brauen sich Probleme zusammen, die man überhaupt noch gar nicht beurteilen kann. Tatsache ist für mich, die Amerikaner sind der Meinung, dass ihre Geldpolitik alles beherrscht und wenn es mal schief geht, dann lockert man eben und alles ist wieder in Ordnung.
V.R: Wenn wir schon beim Thema Geldpolitik sind. Es bahnt sich ja nun ein Führungswechsel an der Spitze der Federal Reserve an und in den deutschen und amerikanischen Medien wurde sehr oft darauf hingewiesen, dass der Nachfolger Ben Bernanke die Politik seines Vorgängers fortsetzten werde und diese ja schließlich auf Preisstabilität ausgerichtet gewesen sei. Was halten Sie von dieser Meinung zur Politik Alan Greenspans und wie beurteilen Sie die zukünftige Politik der Fed?
K.R: Das erste ist ein genauso großer Blödsinn wie das zweite. Tatsache ist, dass die Inflationsraten weltweit gefallen sind, aber das hat Gründe, die bestimmt nicht bei den Notenbanken liegen. Denn wir haben vor allem in Amerika die größte Kreditausweitung aller Zeiten erlebt. Das stellt alles in den Schatten was jemals an Kreditexpansion geschehen ist. Fakt ist, die Konsumenten- und Produzentenpreise sind gefallen, aber dies hatte strukturelle und internationale Gründe. Das kann man nicht den Notenbanken zuschreiben. Das ist ein totaler Blödsinn! Aber es ist natürlich die übliche Methode.
V.R: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung an den Währungsmärkten, speziell die aktuelle Stärke des Dollar gegenüber des Euro?
K.R: Ich bin der Meinung, dass der Dollar in absehbarer Zeit zusammenkracht. Man muss immer unterscheiden zwischen den zugrunde liegenden ökonomischen Gründen und dem, was die Spekulation verursacht. Von den ökonomischen Grundlagen betrachtet ist der Dollar die faulste Währung. Die machen Schulden wie niemals zuvor, aber es wird ihnen das Geld geliehen. Aber es gibt eine Reihe von Gründen warum der Kreditzufluss in die USA in letzter Zeit besonders stark war. Es handelt sich dabei um eine sehr komplizierte Geschichte, aber das wichtige ist, dass man eine Volkswirtschaft immer nach objektiven wirtschaftlichen Maßstäben beurteilen muss. Es zeigt sich, dass in den USA eine strukturelle Veränderung stattgefunden hat, die so negativ ist wie man sie nur beschreiben kann. Das negative besteht im Zusammenbruch der Ersparnisse, in der Explosion des Handelsbilanzdefizits und in einer wirklich maßlosen Verschuldung. Unter Alan Greenspan hat sich die Verschuldung in den USA innerhalb von nur 18 Jahren mehr als verdreifacht. Und wenn ich die wirtschaftliche Entwicklung im Vergleich zu diesem Schuldenberg sehe, dann ist die wirtschaftliche Entwicklung wirklich sehr mies.
V.R: Die Prognosen der Ökonomen decken sich heute immer weniger mit der Realität. Worin sehen Sie die Begrünung für diesen Realitätsverlust des überwiegenden Teils der Mainstream-Ökonomen?
K.R: Ich habe in meinem Leben unendlich Mal erlebt, dass die Leute erstens faul sind, denn wenn sie eine Gegenmeinung vertreten, dann müssten Sie hart arbeiten. Denn es gibt lauter Leute die nur auf der lauer liegen um einem eine Blöße nachzuweisen. Daher herrscht immer und zu allen Zeiten ein hoher Konformismus. In den USA haben wir aber heute eine Situation wo zwischen den berichteten Zahlen und den wahren Zahlen ein gewaltiger Unterschied besteht. Jedermann kennt diese Unterschiede, es ist gar kein Geheimnis was mit den Zahlen geschieht. Die Statistiker kleiden dass in Erklärungen, die jeder einfach hinnimmt. Für mich ist in den USA entscheidend, dass die Beschäftigung heute praktisch nicht höher ist als vor vier Jahren. Bei der Beschäftigung hat also überhaupt kein Aufschwung stattgefunden. Es ist von der Beschäftigung und den Löhnen betrachtet, der mieseste Aufschwung aller Zeiten. Aber dies wird nun leider durch andere Zahlen zugedeckt, die besser aussehen. Also ich würde sagen, dass die positive Meinung über die USA ihren Grund vor allem darin hat, dass man alles, was aus den USA kommt, für bare Münze nimmt. Es ist soviel Propaganda damit vermischt, es gibt keine kritischen Geister mehr. Ich kenne in Amerika eine einzige Bank wo der Chefvolkswirt wirklich kritisch über die Entwicklung schreibt und noch einen zweiten bei einer Investmentbank, aber das war es dann auch schon. Es findet einfach keine Diskussion statt. Zusammengefasst würde ich sagen, dass Konformismus eine übliche Erscheinung ist, aber es geht in den USA zurzeit in ein Extrem, das angesichts der zweifelhaften Tatsachen schwer zu verstehen ist.
V.R: Nun haben wir soviel über Amerika gesprochen, daher noch eine Frage zu Deutschland. Was halten Sie von der augenblicklichen wirtschaftspolitischen Entwicklung Deutschlands? Wohin steuert der Dampfer Deutschland?
K.R: Erstmal muss ich ehrlich sagen, dass ich ganz anderer Meinung über die Probleme Deutschlands bin. Ich lese immer die Deutschen sind unflexibel usw., aber das Deutsche Problem besteht erstens in einer Sparquote von 11%. In Amerika ist die Sparquote negativ und bei uns beträgt sie 11%! Auf der anderen Seite gibt es Exportüberschüsse, die Industrie zeigt doch eine ungewöhnliche Flexibilität. Aber mit 11% Sparquote bekommen wir die Konjunktur nicht zum Laufen. Wir schaffen es nicht mehr, die für diese Sparquote nötige Investitionsquote aufzubringen. Die Investitionen haben sich abgeschwächt, aber die Sparquote hat sich nicht abgeschwächt. Bei den Angelsachsen ist es genau umgekehrt, die haben das Problem gelöst, indem sie ihre Ersparnisse beseitigt haben und anschließend behaupten sie: "Wir haben mehr Investitionen als Ersparnisse!" Die Ersparnisse sind aber im Minus! Das ist die Methode. Ich finde es schlimm, dass in Deutschland immer nur von Reformen und all diesen Dingen gesprochen wird, ohne das man dieses Problem der ungeheuren Sparquote ansieht. In den USA liegt die Konsumquote bei 81% des BIP, und bei uns liegt sie etwas über 50%. Das ist unser Problem! Wir müssen unser Problem erst mal richtig identifizieren. Wenn Sie mich nach der Regierung fragen, dann muss ich Ihnen sagen: "Ich habe mir noch nie von einer Regierung etwas positives erwartet!" Es gibt doch nichts Schlimmeres als die amerikanische Regierung und jeder schaut mit Bewunderung auf sie. Wie gesagt, unser Hauptproblem sind die Ersparnisse, wir sparen uns zu Tode!
V. R: Vielen Dank für dieses Interview.
Das Interview wurde am 18. November 2005 am Rande der 1. Fachmesse für Edelmetalle & Rohstoffe in München geführt.