Vom Herdentrieb und der Massenpsychologie
03.12.2013 | Philip Hopf
Immer wieder werde ich gefragt, wie ich die Marktstimmungen auf Edelmetallmärkten verfolge, sie einschätze und analysiere, um damit selbst mittel- bis sogar kurzfristige Kursbewegungen dieser Märkte, sowie auch die großer Aktien-Indices, besser bestimmen zu können. Diese Methodik, Marktstimmung einzuschätzen und Kursprognosen vorzunehmen, ist recht esoterisch angehaucht und beruht auf einer mathematischen Basis.
Sie wird bisher von der breiten Masse dieser Branche weder verstanden noch ernst genommen, weil sie einerseits sehr kompliziert und nicht in kurzer Zeit zu erlernen ist und andererseits einer massenpsychologischen Sichtweise entspricht, die viele Menschen so nicht für sich akzeptieren wollen. Dabei vergessen viele Investoren eine der Grundregeln der Börse schlechthin: "Die Masse (Mehrheit) behält niemals recht." Warum dies so ist, versuche ich nun zu erklären, ebenso wie die Grundlagen meiner Methodik.
Der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, Alan Greenspan, war bekannt für seine Aussage, dass Finanzmärkte von "menschlicher Psychologie" und "Wellen des Optimismus und Pessimismus" getrieben werden. Wie Greenspan richtigerweise erkannt hat, werden Märkte von einer sogenannten "social mood", also einer gesellschaftlichen Stimmung, bewegt.
In anderen in der Vergangenheit von mir verfassten Artikeln zeigte ich bereits auf, dass aus demselben Grund fundamentale Daten nutzlos sind und nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen und habe somit die gesamte Fundamentalanalyse, die von Millionen von Investoren angewendet wird, ad absurdum geführt.
Medienberichterstattungen verändern den Trend der Märkte nicht, sofern die Marktstimmung diesen Trend nicht ohnehin schon vorher beeinflusst hat. Haben Sie sich jemals gefragt, warum Märkte steigen, nachdem schlechte Nachrichten veröffentlicht wurden und fallen, nachdem scheinbar gute Nachrichten veröffentlicht wurden? Haben Sie sich nicht gewundert, warum nach diversen Verkündungen der US-Notenbank (die internationale Finanzmärkte mit Geld flutet) Edelmetallmärkte in der Vergangenheit stark anstiegen, aber auch genauso schon mehrmals kollabierten?
Aus diesem Grund stellte ein bestimmter Investor seine eigene Sichtweise über die der öffentlichen Medienberichterstattungen, ebenso wie über allgemeine emotionale, gesellschaftliche Einschätzungen und identifizierte damit die "wirklichen" Trends und gesellschaftliche Stimmungen. Aus diesem Grund hatte er einen signifikanten Vorteil gegenüber dem Groß der restlichen Investoren, die oft wie Blinde über das Minenfeld der Finanzmärkte stolpern.
In den dreißiger Jahren stellte eben jener Investor namens Ralph Nelson Elliott die Erkenntnisse seiner Studien ins Licht der Öffentlichkeit. Diese zeigen, dass sich die Marktstimmung und damit auch ebenso die Massenpsychologie graphisch gesehen in einem Primärtrend in fünf Wellen aufwärts bewegt und anschließend immer in drei Wellen als Gegenbewegung abwärts.
Wenn sich einmal eine fünf-wellige Bewegung in der Marktstimmung vollzogen hat, ändert sich unterbewusst die Stimmung der Gesellschaft und wechselt in die gegenteilige, abfallende Richtung. Dies ist ein natürlicher Vorgang in der menschlichen Psyche und hat nichts mit dem operativen Effekt von Berichterstattungen zu tun.
Der natürliche Ablauf von Progression und Regression, also Fortschritt und Rückschritt, scheint tief in der menschlichen Psyche verankert zu sein. Dieses Thema ist für viele nicht gerade einfach zu verstehen, also werde ich dies anhand der sogenannten "Herden-Theorie" veranschaulichen. Die Gesellschaft als "Herde" betrachtet, scheint sich an den sogenannten Fibonacci-Zahlen zu orientieren. Diese Theorie wird von vielen Studien unterstützt.
Zur Erläuterung: Die Fibonacci-Folge ist eine unendliche Folge von Zahlen, bei der die Summe zweier benachbarter Zahlen die unmittelbar folgende Zahl ergibt: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, usw. Benannt ist sie nach Leonardo Fibonacci, der damit im Jahr 1202 das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieb.
Ein kurzer Exkurs: Joseph Ledoux, Psychologe am neurowissenschaftlichen Zentrum der New York University, fand heraus, dass Emotionen und die Reaktion auf diese Emotionen entstehen, noch bevor das Hirn in der Lage ist, den Grund für die Emotion herauszufinden. Warum das eine wichtige Rolle spielt - dazu werde ich noch kommen.
Der Artikel "Large Finacial Crashes", veröffentlicht 1997 in einer Publikation der European Physical Society, präsentierte eine aufschlussreiche Zusammenfassung des menschlichen Herden-Phänomens innerhalb der Finanzmärkte:
Die Aktienmärkte sind faszinierende Strukturen mit Analogien dazu, was wohl das komplizierteste dynamische System ist, das in den Naturwissenschaften, d. h. im Menschenverstand, gefunden wurde. Statt der üblichen Interpretation der effizienten Markthypothese, in dem Händler durch bewusste Handlungen, durch Kaufen und Verkaufen von Aktien den Marktpreis bestimmen und leiten, schlagen wir vor, dass der Markt als Ganzes ein Herden-Verhalten aufweist, das nicht von den einzelnen Individuen wahrgenommen wird. Ohne es zu wissen, handelt die Masse einvernehmlich durch das, was man als "höheres Kollektivbewusstsein“ bezeichnet.
Dieser Prozess ist in der Biologie zum Beispiel bei Ameisenkolonien oder im Zusammenhang mit dem Erscheinen des kollektiven Bewusstseins zu beobachten. Entdeckt eine Ameise eine Gefahr, oder findet eine neue Futterquelle, reagieren darauf nach kürzester Zeit auch alle anderen Ameisen der Kolonie, obwohl die "Entdeckerameise", von der der Impuls ausging, noch keine Möglichkeit hatte, diese Information aktiv weiterzugeben. Das ist für viele recht esoterisch und unheimlich, jedoch spricht man dabei von einem Kollektivbewusstsein. Auch bei Zugvögeln ist dieses Phänomen oftmals zu beobachten.
Zurück zu den Finanzmärkten: Vergleichen Sie den Markt mit einem Ameisenstrom, in dem alle in eine bestimmte Richtung marschieren. Legt man nun einen Stock über ihren Pfad, so wird es eine kurze Verwirrung und dann eine Reaktion auf den Stimulus geben. Aber nur wenig später geht die ursprüngliche Parade von Ameisen weiter ihren vorbestimmten Weg, und der Stimulus bleibt ohne weitere Wirkung.
Es scheint so, dass der Markt diesem Strom eines Pfades entspricht, der durch eine Massenform des Herden-Verhaltens bestimmt wird und dessen Richtung durch die soziale Stimmung vorgegeben wird. Dies erklärt die oft gestellte Frage, warum Märkte steigen, wenn schlechte Nachrichten bekannt gegeben werden oder umgekehrt.
Es zeigt die Sinnlosigkeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob das nächste "Nachrichtenereignis" die Märkte positiv oder negativ beeinflussen wird oder nicht. Das ist der Grund, weshalb ich auch nie auf irgendwelche Nachrichtenereignisse verweise, wie es beispielsweise 99% aller Marktanalysten tun. Wenn man Berichterstattungen und ihre angenommene Wirkung auf die Märkte verfolgen will, gibt es hunderte von Autoren, die darauf eingehen werden. Aber genau diese lagen mehrheitlich falsch und wurden gerade in den letzten zwei Jahren von ihren eigenen Prognosen überrollt.
Die natürliche Tendenz, der Gruppe - also der Herde - zu folgen, veranlasst viele, die Meinung und Ansichten der Herde zu übernehmen und damit auch ihre Emotionen. Auf den Markt übertragen heißt das: Da die meisten Marktteilnehmer keine Experten sind, wird ihr wesentlicher Überlebensinstinkt sie dazu verleiten, anderen, "angeblichen" Experten im Markt zu folgen. Dieser Wunsch, ihre Ansichten auf die Menge auszurichten, schafft solch ein starkes Gefühl, dass es Logik und Realität überbieten kann.
Weil dieser Instinkt so stark ist, kann ein kleiner Kreis von Individuen in der Herde Momente der Angst in einer Panik und Habgier in einer Rallye hervorrufen, woraufhin alle restlichen Mitglieder der Masse oder Herde bereitwillig folgen. Gier und Angst stellen in der Herden-Psychologie die zwei entscheidensten Faktoren des Handelns dar.
Warum folgen sich die Menschen oft in den Untergang oder tun zumindest Dinge, die bar jeglicher Logik sind?
Friedrich Nitzsche schrieb dazu: "Der Irrsinn ist bei einzelnen etwas Seltenes, aber bei Gruppen, Parteien und Völkern die Regel.“
Befindet sich der Markt, wie bei den Metallen seit 2011 in einer korrektiven Phase, ist er viel schwieriger auszurechnen. Es gibt unvorhersehbare Marktbewegungen; der Markt dreht oder fällt oft ohne Vorwarnung und verhält sich nicht linear. Die meisten Variablen aller Marktgeschehen entstehen immer in der korrektiven Phase des Marktes. Auch hier der Verweis zum Herden-Phänomen.
Beobachtet man Menschen, wie sie in Massen bei einer Demonstration aufmarschieren, so ist oft in der Drangphase eine Organisation zu erkennen: Die Menschen lassen sich führen, sind zuversichtlich in ihrem Tun und davon überzeugt. Ich wähle ganz bewusst diese Worte, weil sie auch für den Markt eine signifikante Rolle spielen. Setze ich diese Gruppe nun einem Stimulus aus, z.B. durch das Auftreten der Polizei, die anfängt Druck auf die Demonstranten auszuüben, so passiert es oft, dass die Gruppe auseinander bricht - es macht sich Panik bemerkbar. Wenn nun eine von Angst geleitete Menschenherde die Flucht antritt, ist dies ein vollkommen unberechenbarer Prozess ohne Richtungsvorgabe und ohne Organisation. Der Verstand der Masse setzt dann oft aus. Im Tierreich, gerade bei Büffelherden, ist gleiches zu beobachten; wenn die Herde einer für sie nicht einschätzbaren Gefahr ausgesetzt ist, tritt Panik und Verwirrung auf, die Herde verfolgt dann kein klares Ziel mehr und die Variablen verändern sich ständig.
Deshalb ist es in einer korrektiven Marktphase so wichtig (in der wir uns im Gold und Silber noch befinden), außerordentlich beweglich und anpassungsfähig zu sein.
Gerade deshalb sind so viele Investoren und Analysten auch so heftig in den letzten zwei Jahren unter die Räder gekommen, seit der Markt 2011 sein Top gefunden hatte. Seitdem gab es mehr Prognosen von "sogenannten" Experten, die behauptet haben, der Boden bei Gold und Silber sei drin, als ich Haare auf meinen Kopf habe. Die meisten Analysten sehen den größeren Rahmen nicht, in dem sich Metalle bewegen und noch weniger den Einfluss von Marktstimmungen auf die Kurse. Vielmehr suchen sie händeringend nach "News", also nach irgendwelchen (für sie passenden) Nachrichten, die ihrem Bild entsprechen und auf die sie ihre bestehende Prognose stützen können - wenn auch nur noch zum Zwecke der Selbstüberzeugung.
Schlagen all diese Versuche zur Analyse fehl, verschanzt man sich in die letzte Bastion und verkündet, wie sicher es doch sei, dass die Märkte komplett manipuliert sind. Die "schwarze Hand der Verschwörer" hat sich dann über die Märkte gelegt und sie somit unprognostizierbar gemacht.
Dieses Thema, liebe Leser, habe ich allerdings bereits behandelt und meine Meinung dazu ist hinlänglich bekannt.
© Philip Hopf
Hopf-Klinkmüller Capital Management KG