Shanghais Goldbörse möchte Edelmetallhandelsplatz London den Rang ablaufen
29.05.2014 | Thorsten Proettel
Ausbruch aus Handelsspanne
Der Goldpreis gab im Verlauf des gestrigen Handelstages rund 30 USD ab und notiert derzeit bei rund 1.263 USD je Feinunze. Zu anderen Zeiten wäre der Rückgang um 2,3% kaum eine Meldung wert, sondern lediglich als Tagesschwankung zu verbuchen. Angesichts der schon seit Wochen rückläufigen Volatilität liegen die Dinge aktuell aber etwas anders.
Erfahrungsgemäß enden solche ruhigen Seitwärtsphasen mit einer größeren Bewegung, da im Zeitablauf immer mehr Marktteilnehmer relativ enge Stopp-Loss-Verkaufsaufträge beziehungsweise Stopp-Buy-Aufträge um die aktuelle Notierung platzieren. Sobald ein Ausbruch aus der bisherigen Handelsspanne in die eine oder andere Richtung erfolgt, verstärken neben diesen Aufträgen auch noch automatische Trendfolgeprogramme den Anstieg beziehungsweise Absturz der Notierung.
Ausgesprochen selektive Wahrnehmung
Dass die jüngste Bewegung des Goldpreises nach unten erfolgte, ist der aktuell guten Stimmung an den Finanzmärkten geschuldet. An den Aktienmärkten führte die Erwartung einer stärkeren Öffnung der Geldschleusen durch den EZB-Rat Anfang Juni zu einer kleinen Hausse. Ebenso wirkten offenbar gute Konjunkturdaten aus den USA.
Die Gegensätzlichkeit zwischen der geld-politischen Lockerung in Europa aufgrund der eher schwachen Wirtschaft und niedrigen Inflationsrate sowie der sehr guten Konjunktur in den USA mit einer Tendenz zur geldpolitischen Straffung wird dabei vollkommen ausgeblendet. Aus der Perspektive des Goldmarktes ist die Stichhaltigkeit für die Begründung der Aktienhausse aber gleichgültig. Solange die Dividendentitel steigen, erscheinen alternative Investments wie Edelmetalle wenig attraktiv.
Schwächere Nachfrage in China
Ein weiterer Schlag in das Gesicht der Goldbullen war die jüngste Meldung des Hongkonger Statistikamtes über den Goldhandel mit Festlandchina im April. Demnach fielen die Netto-Goldexporte von Hongkong nach China auf nur noch 67 Tonnen und damit deutlich unter den Durchschnittswert der letzten zwölf Monate, der bei knapp 100 Tonnen liegt. Die geringere Nachfrage dürfte unter anderem auf die leichte Abwertung des Renminbi Yuan zurückzuführen sein, der Gold in lokaler Währung verteuerte. Theoretisch hätte der Preiseinbruch von dieser Woche die Nachfrage beflügeln müssen. Gemäß Agenturberichten blieb die Nachfrage an der Goldbörse in Shanghai jedoch unverändert.
Regierung Modi dürfte Importrestriktionen lockern
Unterstützung für den Goldpreis bringt der Wahlausgang in Indien. Der am Montag dieser Woche vereidigte neue Premierminister Narendra Modi von der Bharatiya-Janata-Partei (BJP) gilt als aufgeschlossen gegenüber den Forderungen nach einer Lockerung der Importrestriktionen. Beispielsweise soll er im Wahlkampf geäußert haben, die Maßnahmen zur Regulierung des Goldmarktes dürfen nicht nur den volkswirtschaftlichen und politischen Interessen dienen, sondern auch denen der Öffentlichkeit und der Goldhändler.
Vor diesem Hintergrund ist eine Absenkung der Einfuhrsteuer auf das Edelmetall im weiteren Jahresverlauf oder sogar eine Aufhebung der Bindung der Importe an den Schmuckexport möglich. Diese Maßnahmen wurden im Sommer letzten Jahres von der bisherigen Regierung als Reaktion auf das immense Handelsbilanzdefizit im Fiskaljahr 2012/13 und zur Verhinderung einer weiteren Rupienabwertung getroffen. Für eine Lockerung spricht auch der Rückgang des Defizits im Fiskaljahr 2013/14.
Krise in Thailand bremst lokalen Goldbedarf
In der Summe sprechen die verschiedenen Faktoren aber für eine Fortsetzung der Goldpreisschwäche. Die in der zweiten Jahreshälfte möglicherweise wieder höheren indischen Goldimporte, die zu großen Teilen nur den Schmuggel ersetzten dürften, könnten zwar die schwächere Nachfrage in China ausgleichen helfen. Für ein Anziehen der Notierungen wäre aber ein deutliches Nachfrageplus notwendig, das angesichts der sich immer mehr vom Krisenmodus entfernenden Weltwirtschaft derzeit nicht in Sicht ist. Hinzu kommt ein Rückgang der Goldnachfrage in einem ansonsten wenig beachteten Käuferland.
Thailand kam im vergangenen Jahr auf einen Goldbedarf von mehr als 120 Tonnen und spielt damit ungefähr in der gleichen Liga wie Deutschland. Die Krise in dem ostasiatischen Land bremst seit Wochen die Kauflaune und eine Normalisierung der Verhältnisse ist trotz beziehungsweise aufgrund des Militärputsches von letzter Woche noch nicht eingetreten. Gemäß World Gold Council brach die thailändische Goldnachfrage im 1. Quartal 2014 um 56 % gegenüber dem Vorjahresquartal ein.
Gefahr der Fehlallokation steigt
Trotz dieser Entwicklungen sollte Gold als Vermögensanlage nicht abgeschrieben werden. Vor dem Hintergrund der in Europa eingeschlagenen geldpolitischen Richtung bleibt das Edelmetall durch seine Eigenschaft als nicht-inflationierbarer, mobiler Sachwert weiterhin attraktiv. Die vermutlich Anfang Juni anstehende erneute Leitzinssenkung der EZB dürfte realwirtschaftlich kaum positive Effekte hervorrufen. Auf der anderen Seite erhöht sie aber die Gefahr von Fehlallokationen. Unter diesem Stichwort verstehen Volkswirte Investitionen,
die aufgrund des niedrigen Zinssatzes oder anderer verzerrter Rahmenbedingungen getätigt werden und die sich unter normalen Umständen als nicht nachhaltig erweisen.
Beispielhaft hierfür stehen die Anleihen von Peripheriestaaten der Eurozone und von Unternehmen mit eingeschränkter Bonität. Auf der Suche nach dem letzten Basispunkt Rendite im Niedrigzinsumfeld treiben vor allem institutionelle Anleger deren Kurse nach oben. Der Frage, ob die spiegelbildlich sinkenden Renditen der Papiere das eingegangene Risiko adäquat entlohnen, wird oftmals nicht mehr nachgegangen. Die bewusste Ausblendung der Gefahren erhöht jedoch die Anfälligkeit des Finanzsystems für neue Krisen. Ähnliche Probleme könnten langfristig auch im Immobiliensektor drohen, obgleich Beobachter mit Blick auf den deutschen Gesamtmarkt bislang keine Übertreibungen ausgemacht haben wollen.
London auf der Suche nach neuem Handelsritual
Edelmetallhändler in London stehen derweil vor ganz anderen Schwierigkeiten. Die Entscheidung der Deutschen Bank zum Ausstieg aus dem Silber- und Goldpreisfixing entfachte eine Dynamik, die an den Fundamenten des Handelsplatzes rüttelt. Wie an dieser Stelle berichtet, wäre vor allem die weitere Durchführung des Silberfixings fraglich gewesen, da ohne die Deutsche Bank nur noch die HSBC und die Bank of Nova Scotia den Preis unter sich hätten ausmachen müssen.
Die für die tägliche Wertfindung rechtlich verantwortliche London Silver Market Fixing Limited kündigte deshalb die Einstellung des Rituals zum 14. August an. Bis dahin bleibt die Deutsche Bank in dem Dreiergremium vertreten und in London hat hinter den Kulissen eine heftige Diskussion unter Banken, Edelmetallhändlern und -verarbeitern über die Zukunft begonnen. Die Notwendigkeit eines täglichen, volumenstarken und allgemein akzeptierten Handelsrituals steht dabei außer Frage. Vor allem Fondsgesellschaften und die Emittenten von Derivaten brauchen zwingend einen Referenzwert, zu dem sie ihre Geschäfte abrechnen können.
26 Millionen Pfund Strafe für Goldpreismanipulation
Eine Reform des Goldfixings steht offiziell zwar nicht auf der Agenda. Aber sie wäre nach dem jüngst bestätigten Manipulationsfall eine Überlegung wert. Der Chef-Edelmetallhändler der britischen Großbank Barclays, Daniel James Plunkett, hat den Fixingpreis vom 28. Juni 2012 durch Absprachen mit anderen Teilnehmern nach unten gedrückt. Sein Ziel war es, eine Zahlung der Bank in Höhe von 3,9 Mio. USD an einen Kunden aus einem Optionsgeschäft zu vermeiden, die ansonsten fällig geworden wäre.
Das Delikate an dem Fall ist unter anderem der Termin, da Plunketts Arbeitgeber nur einen Tag zuvor eine Strafe in Höhe von 450 Mio. USD für die Manipulation der Referenzzinssätze Libor und Eurobor auferlegt bekam. Für die Goldpreismanipulation muss Barcalys nun 26 Mio. Pfund an die britische Financial Conduct Authority (FCA) zahlen. Die FCA verpflichtete daneben Punkett zur Begleichung einer Geldstrafe in Höhe von 95.600 Pfund.
Shanghai eröffnet internationale Handelsplattform
Möglicherweise nutzt die Goldbörse in Shanghai die Gunst der Stunde. Nach unbestätigten Berichten ist für das vierte Quartal die Eröffnung einer Handelsplattform für international tätige Marktteilnehmer geplant, die den bisherigen Handel für Inländer ergänzen soll. In der Diskussion sind Kontrakte über 100 Gramm, 1 Kilogramm und „LBMA good delivery“-Barren über 400 Unzen zur sofortigen Lieferung sowie Terminkontrakte. Einem umfassenden Interesse durch ausländische Banken dürfte die bislang eingeschränkte Konvertibilität des Yuan entgegenstehen. Aber perspektivisch könnten sich die Gewichte in der Edelmetallwelt bald in Richtung Osten verlagern.
© Thorsten Proettel
Commodity Analyst
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
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