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Das "Vollgeld" - was es leistet und was nicht

04.04.2015  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit

Das Vollgeld löst die Probleme nicht, die es zu lösen gilt. Auch das Vollgeld wäre ein Geld, das "aus dem Nichts" geschaffen würde.

Nach der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise wird eine Reihe von Vorschlägen diskutiert, durch die das Bankensystem sicherer gemacht werden soll. Ein Verbesserungsvorschlag ist die sogenannte "Vollgeld-Initiative", wie sie sich derzeit etwa in der Schweiz unter dem Namen "Monetäre Modernisierung" formiert hat; sie sucht für ihr Vorhaben eine Volksabstimmung. (1) Die Idee eines Vollgeldes ist nicht neu, sie hat eine lange Tradition, die zurückreicht auf die Arbeiten amerikanischer Ökonomen, die der "Chicago School" zugerechnet werden. 1939 wurde das Vollgeld unter dem Titel "A Program for Monetary Reform" diskutiert.

Die Idee des Vollgeldes wurde vor allem popularisiert vom amerikanischen Ökonomen Irving Fisher (1867 - 1947) in seinem Buch "100% Money" (1936). Fisher wollte mit seinem Konzept, das er in der Zeit der "Großen Depression" verfasste, eine Reihe von Zielen erreichen: Inflation und Deflation sollten vermieden werden und dadurch auch Depressionen; und es sollte auch helfen, die öffentliche Schuld zu verringern.

Was bedeutet Vollgeld eigentlich? Wäre es ein Konzept, um die immer wiederkehrenden Missstände im Finanz- und Wirtschaftssystem zu beenden? Diese Fragen lassen sich am besten beantworten, wenn man sich zunächst vor Augen führt, wie das herrschende Geldsystem funktioniert.

Im heutigen Geldsystem (einem ungedeckten Papiergeldsystem) halten Banken nur einen sehr geringen Anteil ihrer jederzeit auszahlungspflichtigen Verbindlichkeiten in der Kasse; dies ist die "Mindestreserve". In der Schweiz zum Beispiel beträgt die Mindestreserve derzeit 2,5 Prozent der "maßgeblichen Verbindlichkeiten". Im Euroraum beträgt der Mindestreservesatz ein Prozent: auf 100 Euro Sichtverbindlichkeiten (die jederzeit abgezogen werden können) müssen Eurobanken einen Euro Mindestreserve halten.

Ein Vollgeldsystem zeichnet sich durch zwei Eigenschaften aus: (1) Die Mindestreserve beträgt 100 Prozent, damit wird das Teilreserve-Banksystem aufgehoben. Das heißt, Banken sind fortan jederzeit und vollumfänglich in der Lage, ihren unmittelbar fälligen Zahlungsverbindlichkeiten gegenüber ihren Kunden nachzukommen. (2) Eine 100 Prozent Mindestreserve bedeutet auch, dass Banken die Geldmenge durch Kreditvergabe nicht mehr ausweiten können. Die Geldmenge wird vielmehr allein und ausschließlich durch die Zentralbankpolitik bestimmt.

Wie ist das Vollgeldsystem zu beurteilen? Ist es wirklich eine Verbesserung gegenüber dem aktuellen System? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es zunächst einer Diagnose der Krisenursachen.


Kern des Problems

Ein Kernproblem des ungedeckten Papiergeldsystems ist, dass die Geldmenge durch Kreditvergabe, die nicht durch "echte Ersparnis" gedeckt ist, ausgeweitet wird. Dadurch entstehen die gefürchteten Konjunkturstörungen ("Boom und Bust").

Das Vollgeldsystem löst diese Problematik jedoch nicht: Auch im Vollgeldsystem erfolgt schließlich eine Geldmengenausweitung durch Kreditvergabe "aus dem Nichts" - und zwar durch die Zentralbank. Und solange die Geldschöpfung aus dem Nichts fortgeführt wird, werden auch die Volkswirtschaften geplagt bleiben von "Boom und Bust".

Die Befürworter des Vollgeldsystems sprechen sich für eine "vierte, unabhängige Gewalt" aus, die auch unter dem Begriff "Monetative" bekannt ist. Daraus spricht die Einschätzung, eine Geldschöpfung allein durch die Zentralbank sei "verlässlicher", sei "sicherer", als wenn auch Geschäftsbanken Geld produzieren.

Doch für eine solche Einschätzung gibt es leider keine belastbare Grundlage: Seitdem die letzten Überbleibsel des Goldstandards Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts beendet wurden, waren es stets die Zentralbanken, die mit ihrer Politik - wissentlich oder unwissentlich - für Geldentwertung und Wirtschaftsstörungen gesorgt haben.




In einem Vollgeldsystem, in dem die Zentralbank der einzige Geldproduzent ist, stellen sich gewichtige Fragen: Wieviel Geld braucht die Volkswirtschaft? Und was ist der richtige Zins? Die Antworten auf diese Fragen können die Zentralbankräte jedoch nicht wissen. Allein der freie Markt kann die Antworten geben. Eine Zentralbank muss die Geldmenge und den Zins willkürlich festlegen und wird mangels richtigen Wissens dabei Fehler begehen - Fehler, die sich in Geldentwertung und Wirtschaftsstörungen zeigen.

Ein Vorteil, der im Vollgeldsystem gesehen wird, liegt darin, dass die Geldschöpfungsgewinne, die bislang den Geschäftsbanken zukommen, an die Zentralbank (und damit ihren Eigentümern, den Steuerzahlern) gehen. Der Zugewinn für die öffentliche Hand bei einem Wechsel auf das Vollgeld würde jedoch geringer sein, als es zunächst erscheinen mag: Die öffentliche Hand erhielte bei einem Wechsel zum Vollgeld zwar den gesamten Geldschöpfungsgewinn. Allerdings sind davon abzuziehen die bisherigen Steuereinnahmen auf Bankgewinne sowie Einkommensteuerzahlungen, die nun nicht mehr fließen.


Vollgeld ist möglich

Häufig wird vorgebracht, dass Geschäftsbanken in einem Vollgeldsystem keine Berechtigung mehr haben würden. Das Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Banken könnten weiterhin im Einlagen-, Kredit- und Investment-Banking tätig sein. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Banken auch weiterhin Kredite vergeben könnten. Dazu müssten sie ihre Kunden dazu bewegen, ihre Sichtguthaben in verzinsliche Wertpapiere einzutauschen.

Auf diese Weise wird Mindestreserve freigesetzt und steht für zusätzliche Kreditvergabe zur Verfügung. Allerdings würde durch eine derartige Kreditvergabe kein zusätzliches Geld geschaffen. Die Kreditvergabe führt lediglich zu einer Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (also einem Anstieg der Häufigkeit, mit der Geld zu Transaktionen in einer Zeitperiode verwendet wird). Zudem würde die Kreditvergabe tendenziell mit einem Anstieg der Kreditzinsen einhergehen - und würde so einer überzogenen Kreditvergabe entgegenwirken.

Auch das Investment-Banking wäre in einem Vollgeldsystem weiterhin möglich. Welche Ausmaße es annimmt, hängt vor allem von der Zentralbankpolitik ab. Wenn die Zentralbank die Geldmenge mit tiefen Zinsen weiter ausweitet, wird es tendenziell zu einem überreichlichen Kredit- und Geldangebot kommen, das die Aktivitäten und Handelsvolumina im Investment-Banking befördert.

Ist ein Übergang zum Vollgeld überhaupt möglich (unabhängig davon, ob es auch empfehlenswert ist)? Die Antwort ist: ja. Die Zentralbank kauft dazu den Banken Wertpapiere in Höhe ihrer Sichtverbindlichkeiten ab. Die Banken erhalten dadurch einen entsprechenden Zentralbankgeldbetrag. Fortan wird eine 100 Prozent Mindestreserve erhoben. Banken ist es nicht mehr möglich, die Geldmenge per Kreditvergabe auszuweiten. Ob und um wieviel die Geldmenge ausgeweitet wird, obliegt allein der Zentralbank.


Übel an der Wurzel packen

Wie bereits erwähnt, löst das Vollgeldsystem nicht die Probleme, die das ungedeckte Papiergeldsystem mit sich bringt. Wenn das Übel an der Wurzel gepackt werden soll, ist eine vollständige Privatisierung des Geldes zu empfehlen: Geld wird dann wie jedes andere Gut auch durch das freie Angebot von und die freie Nachfrage nach Geld geschaffen. Dabei sind die Geldnachfrager diejenigen, die letztlich bestimmen, was als Geld Verwendung findet. Sie werden "gutes Geld" nachfragen und mindere Geldangebote ausschlagen und aus dem Markt drängen.

Welche Geldart sich dabei durchsetzen würde, lässt sich vorab nicht mit Bestimmtheit sagen. Allerdings wäre zu vermuten, dass vor allem Edelmetalle - Gold und Silber - als das vorteilhafteste Geld angesehen würden. Edelmetalle haben physische Eigenschaften, die gutes Geld ausmachen: Sie sind knapp, von gleicher Substanz ("homogen"), teilbar, prägbar, haltbar, transportabel und allgemein wertgeschätzt. Denkbar ist auch, dass neben dem "Grundgeld" in Form von Gold auch andere Tauschmittel Verwendung finden (wie zum Beispiel Bitcoin etc.).

Eine marktwirtschaftliche Geldordnung würde, daran besteht kein Zweifel, die chronischen Probleme des ungedeckten Papiergeldes lösen. Es wäre ebenfalls ein Vollgeldsystem - wenn Banken verpflichtet werden, eine 100 Prozent Mindestreserve zu halten (was "gute Banken" vermutlich ohnehin anbieten würden, wenn die Geldnachfrager es wünschen). Die Geldproduktion würde sich in einer marktkonformen Weise vollziehen. Die Vollgeld-Initiative, die darauf abzielt, allein der Zentralbank die Geldproduktion zuzusprechen, greift jedoch in einem entscheidenden Punkt zu kurz: Sie lässt die eigentliche Quelle der Probleme unangetastet, und das ist die Geldschöpfung "aus dem Nichts".

(1) Für weitere Informationen über die Initiative siehe www.vollgeld.ch.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH