Stimulus? Wie QE Deflation fördert
09.03.2015 | James West
Quantitative Lockerungen werden als die Geheimwaffe mit ökonomischer Erlösungskraft gefeiert, die den unglückseligen und weniger aufgeklärten Vorgängerzentralbanken im Arsenal gefehlt hatten. Deswegen auch die lange Dauer der großen Rezession von 1929. Das zumindest ist die heutige Geschichtsschreibung.
Der wirkliche Grund jenes stark deflationären Ereignisses, das heute auch Finanzkrise von 2008 genannt wird, war der Aufbau großer Liquiditätsmengen - bedingt durch niedrige Zinssätze und schrittweise erleichterten Kreditzugang. Der globale Kredit-Pool an sich wurde zudem durch kreative Bilanzierungstechniken wie “Multi-Leveraging“ weiter aufgebläht (Tier I-Kapital und andere solide Anlageklassen wurden mehrfach, von verschiedenen Kreditnehmern, als Schuldensicherheit verwendet).
Als diese Liquidität im US-Immobilienmarkt eingesetzt wurde, blähte sich hier eine Anlageblase auf. Die kollektive Erkenntnis, dass bald der Klippensprung anstehen werde und die darauf folgende Panik traten schließlich die Dominos los - es fielen Bear Stearns, Lehman Brother und fast auch AIG, einer der weltweit größten Versicherer für Finanzinstrumente. Die Pleite AIG wurde nur durch schnelle Verstaatlichung verhindert, die die Fed hinter einem 85 Mrd. $-Kredit versteckte.
Der Übergriff der Finanzkrise hätte auch andere Banken und Versicherer erfasst, denn ein Ausfall hätte gleich den nächsten nach sich gezogen, zudem waren plötzlich auch alle Liquiditätsströme eingefroren, aus Angst die Gegenpartei könne unsaubere, betrügerische Bilanzierung betrieben haben.
Die Öffentlichkeit war von dieser abrupten Schicksalswende schwer geschockt - schließlich hatte es seit fünf Jahren wieder kräftige Jahresgewinne gegeben, die die US-Wirtschaft aus den Tiefen der Dot-Com-Blase zogen. Also begann der neugewählte Barak Obama seine frisch aufgepumpten Präsidentschaftsmuskeln spielen zu lassen.
In seiner Amtszeit wurden zahlreiche Stimuli verabreicht, die später in quantitative Lockerungen umgetauft wurden. Auf diese Weise wurde Neuliquidität im Umfang von 4,5 Billionen $ geschaffen, noch bevor das Teilreservesystem der Banken diese Mengen um das 4- bis 12-fache ausweiten konnte.
So sehr diese QE-Maßnahmen mit dekorativen Begriffen gesalbt und in technische Sprache eingebettet wurden, so sind sie nach wie vor nichts anderes als Geldschöpfung aus dem Nichts. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn wir jetzt die Zukunft eines derartigen künstlich stimulierten Weltfinanzsystems betrachten.
Seither ist einiges passiert: Die Interbankenkreditvergabe hat sich normalisiert, der Aktienmarkt ist im Bullen-Modus, die Arbeitslosenzahlen wurden geschminkt, so dass sie sich zur Aufwärtskurve biegen, die Erholung ist abgeschlossen oder liegt in vollen Zügen.
Mit Ausnahme… eines kleinen, ziemlich untergebutterten Details, das sich jetzt aber als schmerzliche Wahrheit präsentiert.
Die fundamentale Ursache der Krise - exzessive Liquiditätsmengen und wilde Kreditvergabe - besteht nach wie vor. Nicht nur das, sie präsentiert sich sogar in ihrer exponentiell verstärkten Neuauflage. Was die Aktienkursentwicklungen und die verchromten Beschäftigungszahlen nicht preisgeben: Es fehlt die fundamentale Nachfrage nach realen Gütern.
In den synthetischen Anlageklassen, die von realen Gütern und Rohstoffen abgeleitet wurden, wirkt diese Überschussliquidität wie ein Turbo. Diese vollkommene Täuschung ist eigentlich faszinierend: Der Bereich der derivativen Anlageklassen verbraucht den größten Teil des fabrizierten Kapitals und Kredits!
Das erklärt im Grunde auch das weitgehende Ausbleiben von Preisinflation. Die größten Kapital-Pools dieser Welt sind so riesig geworden, dass die Märkte für Realgüter als Becken inzwischen zu mickrig sind, um Wale anzuziehen.
Deshalb multipliziert und bewegt sich der Großteil dieser Liquidität in einen anderen Bereich der Finanznahrungskette, der im weitesten Sinn unabhängig von der realen Welt funktioniert.
BIP: falscher Positiveffekt
Quantitative Lockerungen erzeugten marginales BIP-Wachstum. Dieses wird als Beweis für die Rückkehr eines auf ökonomischer Nachfrage basierenden Wachstums präsentiert. Das zumindest behaupten Ökonomen.
Dieses Argument scheint jedoch zunehmend ‘unaufrichtig' zu sein (nehmen wir aus Gründen der Redlichkeit dieses Wort). Eine weniger diskrete Charakterisierung würde einen Begriff wie "kompletter Bullshit" verwenden.
Mit Abstand und aus Flughöhe von 50.000 Fuß betrachtet, müsste man sagen, dass das ökonomische Mantra "Wachstum um jeden Preis" immer unerreichbarer wird.
In den entwickelten Ländern besitzt man alles schon drei- oder viermal. Die nicht-entwickelten Ländern möchten zwar ihre nördlichen Nachbarn nachahmen und wie sie alles drei- oder vierfach besitzen und dazu noch eine Flasche Chablis im Kühlschrank und Fleisch zum Abendessen statt Bohnen und Reis. Allerdings gibt es hier einfach zu viele Menschen, die diesen Lebensstil aus begrenzten Ressourcen herausquetschen wollen.
Am obersten Ende der ökonomischen Nahrungskette zahlt niemand aber auch niemand eine ansatzweise proportionale Einkommensteuer, die irgendwie noch mit deren Lebensstil korrespondieren würde. Würde man eine solch höchsthöfliche und wohlbetuchte Konversation im Dreisterne-Restaurant Le Bernardin führen wollen, so wäre man schnell aus der High Society verstoßen und als Kommunist gebrandmarkt.
Die Lebensstandards in Nordamerika und Europa haben sich über Jahrhunderte hinweg auf Grundlage von Ressourcen anderer Ländern entwickelt, die höflich als ‘developing countries‘ bezeichnet werden, obgleich dieser Begriff dadurch zum Widerspruch in sich wird. Denn die besten Früchte dieser Länder wurden längst schon gepflückt und in den Norden gebracht.
Nun schreiben wir das Jahr 2015, und immer noch klammern wir uns an die Illusion, dass das ökonomische Klackern der 2000er in kürzer wieder einsetzen wird.
Das wir aber leider nicht der Fall sein. Was wirklich auf uns wartet (und in Wirklichkeit auch schon da ist), ist eine globale, deflationäre Reaktion auf die kollektive Erkenntnis, dass der Planet Erde an das Maximum dessen gestoßen ist, was er für seine größte Verbraucherspezies - die Menschheit - bereitstellen kann.
Wenn man sich tatsächlich das Ausmaß, dem Umfang und die Dauer des deflationären Ereignisses von 2008 anschaut, das der ‘schlimmsten Finanzkrise seit der Großen Depression‘ vorausging (zu diesem Zeitpunkt lag die Messlatte der globalen Liquidität, sprich die Bilanzen der US Fed, gerade einmal bei 800 Millionen $), dann stellen Sie sich doch bitte einmal vor, wie Ausmaß, Umfang und Dauer wohl aussehen werden, wenn all das um das 5,5-fache verstärkt wurde.
So wie sich eine massive Flutwelle im Vorfeld durch eine unnormal niedrige Ebbe ankündigt, so erleben wir gerade, wie Kapital aus Öl, Metallen und Rohstoffen (und bald auch Immobilien) abfließt. Das ist in der Tat die erste Phase des nächsten großen deflationären Ereignisses und der nächsten Rezession. Dieses Mal würde ich prognostizieren - also wenn ich Orakelkräfte für mich beanspruchen dürfte -, dass dieses Ereignis zur bislang Größten Depression führen wird.
Die Ökonomie unterliegt letztlich den Gesetzen der Physik
Die Vorstellung, dass die Ökonomie im Grunde wie ein biologisches Ökosystem funktioniert, das größtenteils den Selbstregulierungsprinzipien gesunder Ökosysteme gehorcht, ergibt durchaus Sinn.
Ich würde behaupten, dass quantitative Lockerungen - oder genauer gesagt ein Überschuss an Liquidität - die Ursache von Deflation ist. Ich würde zudem behaupten, dass die Verbreitung von Deflation nicht nur der Vorläufer von Inflation sondern auch der Hyperinflation ist. Die deflationäre Phase, die seit 2008 die Weltwirtschaft definiert, wurde ja ursprünglich durch exzessive Liquiditätsmengen im System verursacht.
Grob gesagt, konnte die Immobilienblase in den USA überhaupt erst eine solche Größe erreichen, weil die Zinssätze niedrig waren und weil die Banken Darlehen an weniger kreditwürdige Schuldner vergaben, um den Eigengewinne um jeden Preis zu steigern.
Das anfängliche deflationäre Wundenlecken wurde dann durch das Wunschdenken der Fed ersetzt. Sie ging davon aus, dass sich die fehlende Liquidität durch selbstproduzierte, synthetische Liquidität ersetzen ließe, und dass diese dann irgendwie fundamentale Nachfrage erzeugen könne. Doch alles, was erzeugt wurde, waren größere Kapital-Pools für die Elite, und Rekordhochs an den Aktienmärkten.
Stimuliert wird die allgemeine Wirtschaft nur noch dann, wenn die Eliten ihre Pools gereinigt haben wollen und den Rasen gemäht. Und mit dieser Art von Nachfrage kann man keinem amerikanischen Traum auf die Sprünge helfen.
Denken wir jetzt an das Wesen dieses Finanzsystems, das zu einem fast komplett globalisierten System aus Überweisungen und Handelsbewegungen geworden ist. Per Tastendruck fließt Geld auf elektronischem Wege überallhin. Tatsache ist, dass 98% + der fabrizierten Liquidität (mein Ausdruck für QE) in elektronischer Form existiert und sich elektronisch durchs System bewegt, wobei es automatisch in die verschiedenen Währungen konvertiert wird.
Inflation und Deflation haben jeweils zwei Aspekte, die sich zwar unterscheiden aber dennoch begleiten - normalerweise mit zeitlichem Abstand.
Ganz elementar betrachtet entsteht monetäre Inflation, wenn Zentralbanken mehr Geld schöpfen, als für den Handel in einer Wirtschaft benötigt wird. Preisinflation entsteht dann, wenn überschüssiges Kapital zum Bestandsaufbau um Güter konkurriert - das ist eine der Möglichkeiten, wie durch monetäre Inflation erzeugtes Überschusskapital zum Einsatz gebracht wird. Die Umkehrung dieser beiden Fälle würde dann auf ganz ähnliche Weise Deflation beschreiben.
Wenn der Überschuss an fabriziertem Kapital und Kredit ein solches Ausmaß erreicht, dass sich kein Kapital mehr zum Aufbau von Beständen einsetzen lässt, weil die Aufnahmekapazität erreicht ist, so wird nicht mehr auf Kapital zugegriffen. Die Kapitalumlaufgeschwindigkeit - das Tempo mit dem Geld das Finanzsystem durchfließt - kommt plötzlich zum Stillstand.
Wenn dieser Punkt erreicht wurde, kann das Geld nur noch in festverzinslichen Wertpapieren und Derivatstrategien geparkt werden, wo die Risiken aus Gründen der Kapitalsicherung minimiert wurden. Daraus wird dann ‘Stagflation‘. Kein Wirtschaftswachstum. Keine Preisinflation. Keine Investitionen in die Realwirtschaft.
Auf eine Phase der Stagflation folgend, beginnt die monetäre Deflation (der Vorläufer ökonomischer Stagflation) die Preisdeflation voranzutreiben. Die Güterpreise beginnen zu sinken - im Wettbewerb um die abnehmenden Dollars sehen sich die Produzenten veranlasst, die eigenen Warenbestände zu verschleudern, um selbst liquide zu bleiben.
Wenn dieser Trend an Nachhaltigkeit gewinnt, schieben die verbleibenden Käufer schließlich ihre Ausgaben auf, weil sie zu Recht darauf spekulieren, dass die Preise zukünftig weiter sinken werden. Das verstärkt die monetäre Deflation zusätzlich, die Kapitalumlaufgeschwindigkeit wird weiter gedrückt, die Rezession verschärft sich und wird anschließend zur Depression.
Aktuell befinden wird uns an jenem Punkt, wo monetäre Deflation Preisdeflation fördert. Darüber hinaus hat sich die makroökonomische Landschaft in einigen Hinsichten fundamental verändert. Das Zusammenspiel dieser Entwicklungslinien bestätigt wieder die Existenz physikalischer Gesetze, die uns alle bestimmen.
Das Ende der Konjunkturzyklus
Studenten der modernen Wirtschaftsgeschichte finden vielleicht Trost im Glauben, dass die Zyklizität der Konjunktur ein Grundstein der ökonomischen Realität sei. Schade für sie, dass das nur dann der Fall ist, wenn bestimmte Variablen des globalen Finanzwesens beständig bleiben. Noch bis vor fünf Jahren korrespondiert das Geldangebot immer entfernt mit jenen Mengen, die für die täglichen Güter- und Dienstleistungsbewegungen in der Wirtschaft benötigt wurden. Das ist also die erste Verschiebung, die die konjunkturelle Zyklizität untermininiert hat.
Zweitens hat die Bereitschaft und Fähigkeit zur Regulierung der größten globalen Finanz-Pools derart abgenommen, dass man besser davon sprechen sollte, dass die Regulierungsbehörden von den Interessen der weltgrößten Kapital-Pools regiert werden. Das ist die zweite große, fundamentale Verschiebung gegenüber dem 20. Jh., die letztlich zum Ende aller traditionellen Konjunkturzyklen führen wird.
Diese beiden großen tektonischen Verschiebungen werden auch das traditionelle Investieren verschwinden lassen. Was bleibt, ist größtenteils kurzfristiger Positionshandel - Trading. Folgende Vorstellung ist immer weniger verbreitet: Eine Kapitalquelle ist bereit, Kapital gegen Beteiligung oder Verzinsung in einer bestimmten Unternehmung einzusetzen und dann 3-5 Jahre darauf zu warten, dass der Wert der Unternehmung steigt und das Unternehmen über den eigenen Absatz das Kapital an den Investor zurückgeben kann.
Wer möchte heute schon 2-3 Jahre lang eine Milliarde Dollar für den Bau einer Mine riskieren, wenn man dieselbe Summe algorithmisch gestützt für einen Tag, eine Woche oder einen Monat - mit bescheideneren Gewinnen aber mit einem Bruchteil des Risikos - einsetzen kann? In der Welt der synthetischen Derivate, der ETFs und kurzfristigen Segmente renditestarker Unternehmensanleihen kann dieses Kapital immer wieder neu eingesetzt werden. Das macht diese Art von Trading deutlich attraktiver als traditionelle Investments.
Dieses schwarze Kapital- und Kreditloch existierte in der Vergangenheit noch nicht in diesem Umfang; damals führte systemische Überschussliquidität zu Preisinflation; für dieses Geld gab es nur einen Weg, und der führte in reale Rohstoffe und ihre (damaligen) realen Derivate. (Reale Derivate und synthetische Derivate unterscheiden sich dadurch, dass die realen Derivate am Ende tatsächlich mit der Auslieferung einer gewissen Menge des physischen Basiswertes abgegolten wurden. Im modernen Zeitalter der synthetischen Derivate, werden Terminkontrakte nie durch tatsächliche Bestände abgegolten, Kreditausfallversicherungen wurden so synthetisiert, dass sie als Wetten auf andere Wetten funktionieren, denen wiederum synthetische Produkte zugrunde liegen.)
Das hört sich nach einer allzu simplen Darstellung an? Mag sein, aber man sollte nicht vergessen, dass alle ökonomischen und finanziellen Dinge letzten Endes immer noch von den physischen Limitierungen des realen Angebots und der realen Nachfrage bestimmt sind. Also ist Ökonomie - unter Strich - immer simpel, allem technisch-mathematischen Hokuspokus zum Trotz.
Es bröckelt also unsere Infrastruktur, immer unterdeckter sind unsere Rentenzahlungen, die Industrieproduktion wird an der Wurzel ausgerottet und unsere Wirtschaft zieht sich durch stark destabilisierte, ungleichgewichtete Klassen. Es findet der Niedergang der Zivilisation statt. Gehört man aber zum obersten Einen Prozent, müssen diese Gedanken lächerlich erscheinen. Wer so fern der Realität lebt, sieht nicht mehr, was hinter der Welt der Fabergé-Eier passiert.
Wenn das System zusammenbricht (und das ist unausweichlich), werden die enorm Vermögenden zum Ziel der ‘enormst‘ Verarmten und Verzweifelten. Und wirklich ‘schützen‘ kann man sich vor dem Unausweichlichen nicht.
© James West
www.midasletter.com
Dieser Artikel wurde am 25. Februar 2015 auf www.midasletter.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.