Der Tag der Abrechnung naht
12.06.2015 | Michael Shedlock
Letzte Woche erhielt ich eine Interviewanfrage von Guillermo Barba, einem mexikanischen Ökonomen und Finanzblogger, der für Forbes Mexico schreibt.
Barba ist ein Anhänger der österreichischen Wirtschaftsschule. Er führte schon Interviews mit Jim Rogers, Hugo Salinas Price, Simon Black, Steve Frobers, Jim Rickards und anderen.
Das Interview finden Sie hier auch in der spanischen Ausgabe: Un día del juicio global nos espera: Mish Shedlock.
Guillermo Barba: Sie sind einer der wichtigsten Finanzblogger der Welt. Sie bieten immer eine andere Sicht auf die Meinung der Leitmedien. Sagen Sie uns: Wie geht es der US-Wirtschaft? Ist sie wohlauf oder steht sie kurz vor einer neuen Rezession?
Mish: Im ersten Quartal schrumpfte das US-BIP auf Jahresbasis um 0,7%. Ich schreibe darüber in folgendem Post: First Quarter GDP -0.7%; GDPNow Second Quarter Forecast +0.8%; Economists Get Zero Accolades; Smoothed Recession Odds. Ich war einer der ganz wenigen, die diese Möglichkeit schon früh in Betracht gezogen hatten; das war sogar schon im Januar - im folgenden Post: Diving Into the GDP Report - Some Ominous Trends
Aktuell sagt das GDPNow-Modell der Atlanta-Fed ein Wachstum von 1,1% auf Jahresbasis für die USA vorher. Sollten die Verbraucherausgaben wegbrechen, und ich glaube, sie werden wegbrechen, dann wird die GDPNow-Prognose wohl eher zu hoch ausfallen. Selbst wenn das GDPNow-Modell korrekt ist, reden wir immer noch über ein BIP von um die 0,3% für das erste Halbjahr - also deutlich unter Strömungsabriss.
Am 4. Juni erfuhren wir, dass die Produktivität (Nonfarm) stärker als erwartet einbrach; die Lohnstückkosten stiegen um 6,7%. Das sind keine guten Aussichten für Neueinstellungen.
Am 2. Juni zeigte der US Census Report, dass die Arbeitsaufträge das achte Mal in 9 Monaten sanken und dass die Lagerbestände für langlebige Gebrauchsgüter so hoch wie seit 1992 nicht mehr waren.
Viele Ökonomen betrachten das als vorübergehendes Phänomen, aber das sagen sie nun schon seit 9 Monaten!
Gullermo Barba: China, die Eurozone, Japan und jetzt auch die USA - sie alle stecken, wie es aussieht, in größeren finanziellen wie wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Was können wir mit Blick auf die Weltwirtschaft erwarten? Inwieweit wird sich das auf die Schwellenmärkte - wie z.B. Mexiko - auswirken?
Mish: Die globale Wirtschaftsaktivität ist ganz klar am Schrumpfen - angeführt von Asien und den USA. In Europa lief es in letzter Zeit etwas besser, das lässt sich aber auf die Abwertungstaktiken gegenüber den anderen Währungsräumen via QE zurückführen.
Eine Zeit lang wurde fast ein Drittel aller Staatsanleihen der Euro-Länder mit einer Negativverzinsung gehandelt. Das ist völliger Wahnsinn, ganz gleich an welchem Markt, und es wird noch wahnsinniger, wenn man der These von einer wirtschaftlichen Erholung Glauben schenkt.
Weder in Europa noch sonst wo wurden irgendwelche strukturellen Probleme behoben. Es steht ein Tag der globalen Abrechnung bevor. Ich kann nur nicht sagen wann.
Die Schwellenmärkte sind generell schon schwer betroffen. Brasilien befindet sich aktuell in einer enormen Rezession, den chinesischen BIP-Statistiken glaubt eh keiner und die Rohstoffproduzenten in Australien und Russland sind niedergeschlagen. Russland könnte von all diesen Ländern noch am besten abschneiden, denke ich. Denn Putin wurde aufgrund der Sanktionen schon zu den nötigen Reformen gezwungen.
Ein positiver Aspekt für Mexiko ist der Trend zur Verlagerung der Produktionsketten ins US-Inland oder Umland - weg von China. Doch auch wenn die Produktion wieder auf den nordamerikanischen Kontinent zurückkehrt, so hängen, dank der Robotik, dort keine Jobs mehr dran.
Guillermo Barba: Es wird spekuliert, dass die Fed die Zinssätze irgendwann im Jahresverlauf erhöhen wird. Was würde passieren, wenn es so käme? Und was, wenn nicht?
Mish: Die Fed scheint ganz versessen auf Zinserhöhungen. Das sollte sie eigentlich auch, denn sie hat (oder Zentralbanken ganz generell) enorme Blasen an den Aktien- und Unternehmensanleihemärkten produziert, hier speziell im Bereich der hochverzinslichen Junk Bonds.
Die Lage ist inzwischen so verzerrt, dass es eigentlich kaum noch darauf ankommt, was die Fed jetzt macht. Blasen werden mit einer 100%igen Garantie platzen - per Definition. Es ist zudem 100 %ig offensichtlich, dass es Blasen gibt. Die Fed kann sie trotzdem nicht sehen, so wie sie die Immobilienblase 2006 schon nicht sah und die Dotcom-Bubble des Jahres 2000.
Die Moral von der Geschichte ist: Beim albernen Versuch, ordinäre Verbraucherpreisdeflation zu bekämpfen, haben die Zentralbanken gewaltige Blasen gezüchtet. Die Folge sind Vermögensblasen, die Schaden anrichten, wenn sie platzen.
Selbst die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gab zu, dass alltägliche Deflation nicht schädlich ist: Trotzdem wird sie von den Zentralbanken bekämpft, und diese Anstrengungen rufen schließlich massive Probleme mit Anlageblasen auf den Plan. Die unsinnige Bedrohung durch Verbraucherpreisdeflation habe ich auch einem Post diskutiert: http://globaleconomicanalysis.blogspot.de/2015/03/historical-perspective-on-cpi.html
Guillermo Barba: Was halten Sie von den Keynesianern und den Monetaristen? Sind deren Ideen und Theorien verantwortlich für das derzeitige Durcheinander in der Wirtschaft? Warum?
Mish: Keynesianer glauben, der Staat müsse mit Fiskalpolitik einschreiten, wenn die Wirtschaft unzureichend wächst. Monetaristen glauben, man müsse das Geldangebot bei unzureichendem Wachstum erhöhen. Beide Gruppen haben aber überhaupt keinen Begriff davon, was “unzureichendes Wachstum“ eigentlich ist.
Beide Gruppen gehen eher davon aus, dass die alltägliche Deflation bekämpft werden müsse. Ich hatte eben schon darauf hingewiesen, wie albern diese Ansichten sind.
Vielleicht kann ich es mit einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Würde die Fed jetzt ankündigen, sie wolle ab morgen den Preis von Orangensaft festsetzen, dann wären alle geschockt. Dann hieße es, das sei alles dämliche Zentralplanung im sowjetischen Stil, und damit hätte man Recht.
Doch die Fed versucht sich an etwas viel Schwererem. Im vergeblichen Glauben, die Wirtschaft steuern zu können, möchte sie das Geldangebots und die Zinssätze regeln.
Die Ergebnisse sprechen für sich selbst. Nach jahrzehntlanger Deflationsbekämpfung mittels keynesianischer und monetaristischer Geldpolitik hat Japan lediglich eine Schuldenstandsquote von ca. 250% vorzuweisen - die höchste in der industrialisierten Welt.
Was die restliche Welt von den keynesianischen und monetaristischen Albernheiten hat, ist eine Vermögensblase nach der anderen - mit zunehmendem Umfang. Und zudem noch eine von den Zentralbanken geförderte Einkommensungleichverteilung
Die Wirtschaft ist keine Sache, die sich wie ein Traktor fahren lässt. Sie braucht nicht gesteuert zu werden. Wenn man sie in Ruhe lässt, würde es ihr ganz gut gehen. Zentralbanken sind das Problem, nicht die Lösung.
Guillermo Barba: Im Kampf gegen die Deflation setzen die Zentralbanken auf “Gelddrucken“ und Zinssatzsenkungen. Einige Ökonomen warnen, dass dies letztlich zur Hyperinflation führen werde. Sie sind aber dennoch der Meinung, dass wir uns auf eine neue Phase geprägt von Kredit- und Vermögenwertdeflation gefasst machen sollten. Weshalb? Wie definieren Sie Deflation?
Mish: Meine Definition von Deflation ist eine Verringerung des Geld- und Kreditangebots, bei marktnaher Bewertung von Kredit - marked to market. Andere definieren sie bezüglich der Verbraucherpreise und wieder andere glauben, sie wäre ganz allein nur die Verringerung des Geldangebots.
Die, die sich auf Verbraucherpreise konzentrieren - das wäre z. B. die Federal Reserve - übersehen die Vermögenspreisinflation. Wie ich schon gesagt hatte, werden die Wirtschaften und die Banken durch Vermögenswertdeflation ruiniert, nicht aber durch die alltägliche Verbraucherpreisdeflation.
Vermögenswertdeflation schadet, weil die Banken zwangsläufig Kredite auf Grundlage inflationierter Vermögenswerte begeben. Wenn die Blase dann platzt, ist das Kapital der Banken geschädigt und sie können keine Kredite vergeben. Auf der anderen Seite stehen dann die Kreditnehmer, die sofort überschuldet sind.
Deswegen entgeht denjenigen, die dem KREDIT keine Bedeutung beimessen, etwas ganz Entscheidendes. Da Blasen nun einmal platzen müssen und zudem völlig klar ist, dass wir zahlreiche Vermögensblasen haben, folgt daraus, dass wir eine weitere Welle von Kredit- und Vermögenspreisdeflation zu erwarten haben.
Guillermo Barba: Was können Investoren tun, um sich vor dieser Vermögensdeflation zu schützen?
Mish:
- Spekulation in Kreditblasen vermeiden
- kreditfinanzierte Käufe meiden
- Schulden zurückzahlen
- Barrücklagen haben
- so liquide wie möglich bleiben
- Barreserven von mindestens einem Jahr der Lebenshaltungskosten vorhalten, für den Fall, dass man seine Arbeitsstelle verliert
- um die 20% des Anlagevermögens in Gold halten, als finanzielle Absicherung
Guillermo Barba: Wären freie Märkte, mit einem Minimum an Regulierungen und Gesetzen zum Schutz der Eigentumsrechte, Ihrer Meinung nach der richtige Weg?
Mish: Ja, wie ich es eben schon in vielerlei Hinsichten erklärt habe.
Guillermo Barba: Wie sagen Sie jenen, die die "freien Märkte“ für unsere Probleme verantwortlich machen? Gibt es auf dieser Welt denn freie Märkte?
Mish: Es ist schon seltsam, dass manche den freien Märkten die Schuld zuweisen, obgleich wir keine solchen haben.
Jedes größere Problem, für das die freien Märkte verantwortlich gemacht werden, existiert eben deshalb, weil wir keine freien Märkte haben.
Nehmen wir die Immobilienblase: Durch eine laxe Handhabung des Geldangebots trug die Fed zur Entstehung der Dotcom-Bubble bei, da sie von einer albernen Y2K-Angst (Angst vor den möglichen technischen Problemen infolge des Datumswechsels) getrieben wurde. Als die Dotcom-Blase platzte, hielt die Fed die Zinssätze viel zu lange auf viel zu niedrigen Ständen, womit sie die Immobilienblase förderte.
Im US-Kongress wurde ein Gesetz nach dem anderen verabschiedet, um Wohnraum “bezahlbarer“ zu machen. Präsident Bush tat in diesem verrückten Spiel dann sein Übriges, als er die These von einer Gesellschaft der Eigentümer (Ownership Society) ins Spiel brachte.
Mit der Gründung von Fannie Mae, die dieser dümmlichen Gesetzgebung entsprang, wurde alles nur noch schlimmer. Und dann natürlich die Kreditratingagenturen, die Müll mit AAA bewerteten.
Die Leitmedien nutzten dann jeden dieser politischen Fehler, um lauthals mehr Regulierung zu fordern.
Aber eigentlich hätte es keine Fannie Mae und keine Gesellschaft der Eigentümer geben dürfen, es hätte auch keine Fed geben dürfen, die die Macht hatte, die Zinssätze zu lange auf zu niedrigem Niveau zu halten, es hätte keine Federal Housing Administration geben dürfen und auch keines jener unzähligen Programme für bezahlbares Wohneigentum, und die Börsenaufsichtsbehörde SEC hätte nie die Ratingagenturen fördern dürfen, die schließlich Müll mit Bestnoten bewerteten.
Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Um zu verstehen, wie die SEC die Immobilienblase förderte, lesen Sie doch meinen Artikel vom 18. Mai - Rate Shopping Whores and Chicago's Bond Rating. 2007 hatte ich, noch vor Beginn der Krise, zum ersten Mal darüber geschrieben.
Nicht wegen unterlassener Regulierung haben wir ein Problem, sondern wegen “gescheiterter Regulierung“.
Guillermo Barba: Sollte das Geldsystem Ihrer Ansicht nach wieder auf einem Goldstandard aufbauen?
Mish: Ja. Die Welt braucht einen Goldstandard als Durchsetzungsmechanismus. Die Verschuldung ist vollkommen außer Kontrolle geraten, seitdem Nixon die Goldkonvertibilität aussetzte. Danach hatten Zentralbanken und Gesetzgebungsorgane freie Hand bei der Geldschöpfung. Um es noch einmal zu sagen: Die Ergebnisse sprechen für sich selbst.
Warum das so ist, erkläre ich genauer in einem Artikel von 2011: Hugo Salinas Price and Michael Pettis on the Trade Imbalance Dilemma; Gold's Honest Discipline Revisited
Der Mexikaner Hugo Salinas Price ist in dieser Frage den meisten voraus. Er möchte, dass es in Mexiko endlich wieder “ehrliches Geld" gibt. Im Dezember 2014 schrieb er “A Silver Coin that is Money To Calm the National Tantrum in Mexico” - ein durchaus überlegenswerter Vorschlag.
Guillermo Barba: Möchten Sie gerne noch etwas hinzufügen.
Mish: Geld, Zinssätze und die Fallgruben von Regulierungen sind keine einfachen Themen. Ich versuche sie aber so zu erklären, dass die meisten mitkommen.
Ich hoffe, es ist mir gelungen. Ein Dank an Sie, dass ich es probieren konnte.
© Michael Shedlock
www.globaleconomicanalysis.blogspot.de
Der Artikel wurde am 11.05.2015 auf www.globaleconomicanalysis.blogspot.de veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.