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Die kommende Silberknappheit

18.09.2015  |  Theodore Butler

Vor 30 Jahren offenbarte sich mir, dass der Silberpreis an der COMEX manipuliert wird, und sofort drängte sich mir eine Schlussfolgerung auf: Wenn die Kurse künstlich auf tiefen Ständen gehalten werden, müsste es irgendwann zu einer physischen Knappheit kommen!

Wenn der Kurs eines Rohstoffs über einen zu langen Zeitraum hinweg auf zu niedrigen Ständen gehalten wird, würde das Gesetz von Angebot und Nachfrage letztlich für folgende Dynamik sorgen: Auf der einen Seite kommt es zu einer starken Kompression des Angebots, auf der anderen Seite steigt die Nachfrage unterdessen so stark an, dass sich eine physische Knappheit zwangsläufig einstellen muss, welche schließlich die Manipulation beendet.

Ich war nie wirklich ein geopolitischer oder geldpolitischer Analyst, oder gar ein Verschwörungstheoretiker. Mein Hintergrund und mein Interesse waren immer schon im Bereich der Angebot-Nachfrage-Analyse von Rohstoffen. Somit war ich mir bewusst, dass es keine mächtigere Kurstriebkraft geben könne als eine echte Rohstoffknappheit.

Wenn die Nachfrage nach einem Rohstoff nicht befriedigt werden kann, so müssen die Preise eben so hoch steigen, wie sie steigen müssen, um die Nachfrage wieder befriedigen zu können. Diese Urmarktkraft stellt eigentlich kaum jemand in Frage.

Interessant für mich wurde Silber 1985 nun deshalb, weil mir der Silberpreis zu niedrig vorkam und überhaupt nicht zu den glaubwürdigen Indizien für die Angebot-Nachfrage-Dynamik passte. Diese Indizien zeigten, dass mehr Silber verbraucht als produziert wurde, und das konnte nur mit einem stetigen Abbau der globalen Silberlagerbestände einhergehen.

Bei meinem Versuch, diese beiden widersprüchlichen Sachverhalte auf einen Nenner zu bringen - also niedrige Preise, obwohl die laufende Nachfrage größer war als die Produktion - stieß ich auf die konzentrierten Leerverkäufe an der COMEX (und dann, viel später, noch auf Silberleihen, oder leasing).

Diese Entdeckung stärkte meine Überzeugung, dass all das in einer ausgeprägten physischen Silberknappheit enden musste. Schließlich konnten die exzessiven Papier-Leerverkäufe an der COMEX und das unrentable Dumping von echtem Metall (leasing) nicht endlos so weitergehen - oder das Gesetz von Angebot und Nachfrage permanent außer Kraft setzen!

Das langfristige, konsumgetriebene Defizit, das sich seit Beginn des 2.WK durchgängig Jahr für Jahr ergab, endete irgendwann. Aber erst 2006 - mehr als 20 Jahre nach meiner Manipulationsentdeckung. Doch die globalen Silberlagerbestände hatten darunter gelitten, und was bis heute der Fall ist: Seit Beginn des 2. WKs sind die globalen Silberbestände um mehr als 90% gesunken.

2006 gelang Silber schließlich der Durchbruch durch die 10 $-Preismauer, anschließend fiel die 20 $-Marke und 2011 fast die 50 $-Marke. Dieser Zeitrahmen war länger als ich jemals geglaubt hatte, und auch der anschließende Preisrutsch ausgehend vom Hoch war heftiger als ich mir jemals hätte vorstellen können.

Doch zumindest wurde mein unerschütterlicher Glaube - dass die physische Knappheit die mächtigste Preistriebkraft sei - nicht enttäuscht. Denn die Preisspitze von 2011 war Ergebnis einer sich anbahnenden Silberknappheit.

Richtig ist, dass dann ein krasser, vorsätzlicher Kursschlag diese wachsende Knappheit im Keim erstickt hatte, weil die steigende Investitionsnachfrage unterbrochen wurde. Es deutet allerdings nichts darauf hin, dass dieser arrangierte Zustand dauerhaft sein wird.

Wenn ich von einer kommenden Silberknappheit schreibe oder von jener “Fast-Knappheit“ Anfang 2011, so meine ich damit eine Knappheit bei der gängigsten Silberform im Großhandel - bei den Industriestandardbarren mit einem Gewicht von 1.000 oz.

Aktuell gibt es eine ausgeprägte Silberknappheit bei Einzelhandelsprodukten, so wie es in den vergangenen Jahren schon mehrfach der Fall gewesen ist. Per Definition schlägt sich eine solche Einzelhandelsknappheit aber nur auf Aufschläge nieder, die für bestimmte Silberformen im Einzelhandel zu zahlen sind - nicht aber auf den Preise von 1.000 oz-Barren (auf denen die Aufschläge basieren).

Das soll nicht heißen, dass es keine Verbindung zwischen einer Einzelhandelsknappheit und einer Großhandelsknappheit gäbe. Immerhin reden wir hier über dieselbe Substanz, bloß in unterschiedlichen Formen.

Was aber viel entscheidender ist, ist die ganz besondere Stellung der ‘Investitionsnachfrage‘ bei diesem Rohstoff. Die Investitionsnachfrage bestimmt die Silbernachfrage im Einzel- wie im Großhandel: Die im Einzelhandel üblichen Silberformen werden zu 100% zu Investitionszwecken nachgefragt. Im Großhandel hingegen macht die Investitionsnachfrage nur einen Teil der Gesamtnachfrage aus (obwohl sie auch im Großhandel der “Joker“ ist).

Damit wäre ich auch schon beim Hauptpunkt hinsichtlich einer kommenden Großhandelsknappheit beim Silber: Unter allen elementaren Verbrauchsrohstoffen - ob nun Öl, Kupfer, Mais oder eben andere - hat allein Silber diesen Sonderzuschlag der Investitionsnachfrage - neben der rein nutzenorientierten Verbrauchernachfrage, die Silber mit allen anderen Rohstoffen teilt.



Auf Gold trifft das nicht zu, weil die in der Industrie verbrauchten Goldmengen einfach so gering sind, dass die Gesamtnachfrage buchstäblich reine Investitions- oder Schmucknachfrage ist. Sicherlich könnte auch der Goldpreis auf jedes Niveau steigen, auf das sich Käufer und Verkäufer einigen wollen; da es aber nicht industriell verbraucht wird, kann ich mir nur schwer vorstellen, wie sich beim Gold eine echte Rohstoffknappheit ausbilden sollte.

Wann immer es zu einer Knappheit kommt - und das betrifft alle Verbrauchsrohstoffe - lassen sich die Ursachen dieser Knappheit immer auf irgendeine Art Störungsprozess auf der Angebotsseite zurückzuführen. Beispiele wären eine Rohölknappheit infolge einer unilateralen Drosselung der OPEC-Förderquoten, eine wetterbedingte Getreidemissernte oder aber andere unvorhergesehene Produktionseinschränkungen.

Vor vielen Jahren hatte ich zum Beispiel selbst mit einem großen Positionsgeschäft für Orangensaft zu tun - infolge eines unerwarteten Kälteeinbruchs. Und erst vor wenigen Tagen war im Wall Street Journal zu lesen, dass das Glas für Wolkenkratzer knapp werde, weil viele Glashersteller im Immobiliencrash dicht gemacht hatten.

Dass die Knappheit eines Industrierohstoffs nur selten vorrangig auf der Nachfrageseite entsteht, sondern viel eher auf der Angebotsseite, hat einen Grund: In der Regel steigt die Nachfrage nach einem Rohstoff nicht ohne Vorwarnung. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Kaffee wird sich wahrscheinlich nicht so radikal ändern, wie beispielsweise das Angebot im Fall eines zerstörerischen Frosteinfalls in Brasilien oder Kolumbien.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf der Angebotsseite eines Rohstoffs zu Störungen kommt, ist also höher als die Wahrscheinlichkeit von Störungen auf der Nachfrageseite.

Beim Silber ist das nicht der Fall. Das ist schließlich auch die Grundvoraussetzung für eine kommende physische Knappheit. Einfach ausgedrückt: Bei Silber sorgt diese so außergewöhnliche duale Nachfragestruktur - essentieller Industrierohstoff UND universelle Vermögensanlage - dafür, dass die Möglichkeit eines schlagartigen Nachfrageschubes, der eine physische Knappheit auslösen kann, gegeben ist. Bei allen anderen Rohstoffen ist das nicht gegeben.

Sicherlich könnten auch beim Silber Angebotsstörungen auftreten, so wie bei allen anderen Rohstoffen. Doch NUR beim Silber können zudem noch Störungen auf der Nachfrageseite auftreten.

Das zeigt sich gerade anhand der Engpässe bei zahlreichen Silberformen, die im Einzelhandel angeboten werden. Nicht, dass die US-Münzprägeanstalt (US Mint) plötzlich die Produktion ihrer Silver Eagles eingeschränkt hätte, nachdem sie in den vergangenen fünf Jahren mehr solcher Münzen produziert hat (200 Millionen) als in den in den ersten 24 Jahren dieses Münzprägeprogramms (150 Millionen).

Schon jetzt hat die US Mint in diesem Jahr schon mehr Silver Eagles produziert als in allen vorhergehenden Jahren. Trotzdem sind die Silver Eagles knapp geworden. Diese Knappheit bei Silver Eagles ist ganz klar Ergebnis der steil steigenden Investitionsnachfrage, nicht aber von Störungen auf der Angebotsseite.

Moment mal, uns wird gesagt, die steil steigende Investitionsnachfrage nach Silber-Einzelhandelsformen wäre etwas völlig anderes als die steil steigende Nachfrage nach 1.000 oz-Barren? Stimmt das denn? Ich denke nicht.

Sicher, beim Soja, Rohöl, Kupfer oder Lebendvieh wäre ein solcher plötzlicher Anstieg der Investitionsnachfrage nach physischem Eigentum in der Tat höchst unwahrscheinlich; uf mit Blick auf 1.000 oz-Silberbarren scheint mir ein solcher Investitionsschub allerdings unvermeidlich. Schließlich gab es ihn ja schon!

Und was schon einmal passiert ist, könnte doch auf jeden Fall wieder passieren, oder? Gerade beim Silber. Denn dort deuten alle Gegebenheiten, die ich beobachte, darauf hin, dass ein steiler Anstieg der Investitionsnachfrage wahrscheinlich ist als je zuvor.

An dieser Stelle ist es wichtig “Knappheit“ zu definieren. Laut der ersten Definition, die auf Google erscheint, handelt es sich um eine Situation, in der eine benötigte Sache nicht in ausreichenden Mengen erhältlich ist. An freien Märkten würde es so laufen, dass der Kurs eines knapp gewordenen Rohstoffs, solange in die Höhe getrieben wird, bis er für diejenigen, die mehr zu zahlen bereit sind, verfügbar ist.

Das trifft ganz besonders auf Investitionsanlagen zu. Denn in diesem Bereich beschränkt sich die potentielle Käuferschaft nicht auf nur auf Nutzer, die einen Rohstoff in tagtäglichen Geschäftsprozessen nutzen.

Silbers duale Nachfragestruktur bedeutet aber genau das: Es wird von jenen nachgefragt, die es für industrielle oder andere Zwecke benötigten UND auch von jenen, die es als Investitionsanlage benutzen wollen.



Dieses duale Nachfrageprofil hat einen Multiplikator-Effekt für die Nachfrageseite - etwas, das, ganz praktisch betrachtet, kein anderer Rohstoff aufweisen kann.

Wenn die Investitionsnachfrage nach 1.000 oz-Silberbarren steil ansteigt (was meiner Ansicht nach unvermeidlich ist), dann wird die Nachfrage aus den Bereichen Industrie und andere Verarbeitungsbereiche nicht einfach die Augen schließen und abwarten, bis die Investitionsnachfrage wieder abgeebbt ist. Duale Nachfrage bedeutet, dass beide Komponenten gleichzeitig weiterwirken.

Der dualen Silbernachfrage steht eine duale Angebotsquelle gegenüber - das Netto-Neuangebot (Metall, dass abgebaut und recycelt wird) und das Angebot, das aus den bestehenden Lagerbeständen verfügbar wird. Die tatsächliche Menge “neues“ Silber ist jene Menge, die für Investoren zur Verfügung steht, nachdem die gesamte Nachfrage aus den Bereichen Industrie und Fertigung befriedigt wurde.

Diese “Überbleibsel“-Menge beläuft sich (meinen Berechnungen zufolge) auf nicht mehr als 100 Millionen Unzen pro Jahr, oder in Dollar ausgedrückt auf nicht mehr als 1,5 Mrd. $ pro Jahr.

Wichtig hierbei ist auch, dass das neue Silberangebot auf Tagesbasis verfügbar wird, weil es aus dem Boden gefördert und veredelt wird. Die Silbernachfrage hingegen kennt keine Tageslimits.

Und was das "Altsilber" angeht: Von den 1,3 Mrd. Unzen Silber in Form von 1.000 oz-Barren ist nur ein sehr kleiner Teil zu den aktuellen Kursen zum Kauf verfügbar (wenn überhaupt etwas).

Und ein ganz wichtiger Punkt: Die Investitionsseite des dualen Nachfrageprofils von Silber kann jederzeit explodieren (wie es kürzlich beim Einzelhandelssilber passierte). Die Angebotsseite ist hingegen viel, viel beschränkter und wird nur mit der Zeit und bei deutlich gestiegenen Silberpreisen expandieren.

Die uralte kollektive Angewohnheit, Investitionstrends zu folgen, wenn die Preise einer Vermögensanlage gerade steigen, dürfte zudem eine Garantie dafür sein, dass die Silberinvestitionsnachfrage bei steigenden Kursen wachsen wird.

Also: Auf der einen Seite haben wir das Potential einer explodierenden Investitionsnachfrage nach 1.000 oz-Barren - denn dies ist die Form mit dem aktuell größten Relativwert, zudem die Form, die an der COMEX und den globalen ETFs hauptsächlich gehandelt wird und auch die Form, auf die sich industrielle Nutzer im Fall einer Knappheit stürzen werden, wenn es zu Lieferverzögerungen kommt. Auf der anderen Seite haben wir ein sehr beschränktes potentielles Angebot.

Das ist der Stoff, aus dem potentielle historische Knappheiten gemacht werden.

Wenn die kommenden Silberknappheit nun aber unvermeidlich sei, warum ist sie dann nicht schon längst aufgetreten?

Die Kurzantwort darauf lautet: Der Terminmarkthandel an der COMEX ist so dominant für den Silberpreis (und auch für die Preise anderer Rohstoffe) geworden, dass die sichersten Signale für eine physische Rohstoffknappheit - nämlich steigende Kurse/ Preise - abgestumpft und unterdrückt worden sind.

Der Silberpreis ist nicht wegen eines physischen Metallüberschusses (im Einzel- oder Großhandel) so am Boden und auch nicht wegen fehlender physischer Nachfrage. Er ist am Boden wegen eines Überschusses an Derivatkontrakten! Im Wesentlichen heißt das: Die an der COMEX festgestellten, künstlichen Kursniveaus durchkreuzen ein echtes Funktionieren der Angebot-Nachfrage-Dynamik.

Unterm Strich stellt sich nur noch die Frage: Wie lange noch wird der an der COMEX orchestrierte Silberpreis die anstehende Silberklemme und - knappheit noch verzögern?

Die Antwort kenne ich nicht, ich bin jedoch zuversichtlich und überzeugt, dass dies die richtige Frage ist. Ich bin zudem überzeugt, dass diese Knappheit, sobald sie im Silber-Großhandel ausgebrochen ist, auch nicht mehr mittels Derivatehandel eingedämmt werden kann.

Höchstwahrscheinlich wird sie auf ganz altmodische Art und Weise verglühen: Indem am endlich wieder die Findung eines echten Clearing-Kurses zugelassen wird!

Der Trick dabei ist, positioniert zu sein, bevor sich die physische Knappheit in den Preisen niederschlägt.


© Theodore Butler
www.butlerresearch.com



(Diese Abhandlung wurde vom Silberanalysten Theodore Butler, einem unabhängigen Berater, verfasst. Investment Rarities teilt seine Ansichten nicht notwendigerweise, diese können sich als richtig oder falsch herausstellen.)
Exklusiv übersetzt für GoldSeiten.de. Das Original wurde am 14.9.2015 auf der Webseite www.silverseek.com veröffentlicht.