Der schleichende Kommunismus der quantitativen Lockerungen
13.11.2015 | Peter Schiff
Die meisten Ökonomen und Investoren werden bereitwillig anerkennen, dass es sich bei der aktuellen Periode des Zentralbank-Aktivismus, die vor allem durch quantitative Lockerungen und Nullzinspolitik gekennzeichnet ist, um einen brandneuen Pfad in der Geschichte der Wirtschaft handelt. Doch während diese Maßnahmen von vielen zwar als kontraproduktiv, ergebnisoffen und unvorstellbar kostspielig angesehen werden, zeigt der Großteil sich optimistisch und vertraut darauf, dass unsere gut ausgebildeten und informierten Zentralbanker schon wissen werden, wohin sie uns führen und wie sie den Trupp während der Reise zusammenhalten.
In Wirklichkeit muss man aber gar nicht lange spekulieren. In den USA liegen die Zinssätze nun schon das achte Jahr in Folge bei null Prozent, daher sollten wir uns nach einem Tourguide mit praktischen Erfahrungen umsehen, der uns auf dem Weg der endlosen Geldmengenausweitungen die Richtung weist. Japan verfolgt die gleiche Strategie beispielsweise schon mindestens 15 Jahre länger.
Leider scheint es niemanden zu interessieren oder zu überraschen, dass die Japaner genauso unfähig sind wie wir, einen sinnvollen Ausweg aus dieser Lage zu finden. Als Vergil Dante durch die Hölle führte, wusste er zumindest, wie er wieder herauskommt. Japan hat nicht die geringste Ahnung.
Trotz der langjährigen Erfahrung mit geldpolitischen Impulsen bleibt die japanische Wirtschaft apathisch und flirtet dauerhaft mit der Rezession. Ungeachtet dieses offensichtlichen Versagens haben Japans Führungskräfte, allen voran Premierminister Shinzo Abe und sein Freund bei Bank of Japan, Haruhiko Kuroda, kürzlich alle vorherigen Einsätze verdoppelt.
Das bedeutet, dass die japanischen Stimulationsmaßnahmen mittlerweile unheilvolle Dimensionen annehmen, die hier in den USA noch unerreicht sind. Insbesondere erwägt die japanische Zentralbank, ihr Budget für quantitative Lockerungen zum Kauf großer Mengen Aktien von börsennotierten, japanischen Unternehmen zu verwenden.
Allen, die noch Zweifel haben, sollte das Beispiel Japans also zeigen, wohin uns diese gigantischen Währungsexperimente führen: In einen Sumpf aus Schulden, Stagnation und Verstaatlichung der Industrie. Das ist kein Ziel, das irgendjemanden, vielleicht mit Ausnahme von Bernie Sanders, glücklich machen wird.
Der Glaube, der die Zentralbanker dieser Welt vereint, ist, dass die Erzeugung einer höheren Nachfrage das Heilmittel für eine schrumpfende Wirtschaft darstellt. Traditionell waren sie der Überzeugung, dies allein mit der Senkung der Zinssätze erreichen zu können, woraufhin dann das Kreditvolumen, die Ausgaben und die Investitionen steigen würden. Als sich jedoch Anfang der 1990er Jahre herausstellte, dass das nicht ausreichte, um die Rezession in Japan zu beenden, wurde das Konzept der quantitativen Lockerungen (QE) erdacht.
Durch aktive Beteiligung am Anleihemarkt und den Kauf langfristiger Wertpapiere gelang es mit Hilfe von QE, die Zinsen über die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Laufzeiten zu senken - ein Ergebnis, das die konventionelle Währungspolitik nicht leisten kann.
Seitdem ist QE in Japan praktisch zum Dauerzustand geworden, doch unglücklicherweise konnte die japanische Wirtschaft nicht einmal einen Abglanz ihrer früheren Stärke zurückgewinnen. Das Experiment läuft schon so lange, dass die Bank of Japan derzeit mehr als 30% der ausgegebenen Staatsanleihen hält. Zudem hat sie die monatlichen Aufwendungen für QE-Maßnahmen so weit aufgestockt, dass diese die Höhe der von Regierung emittierten, neuen Schuldtitel mittlerweile übertreffen.
Wie jeder künstliche Impuls müssen die Geldmengenausweitungen immer weiter erhöht werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Die japanische Zentralbank war folglich verzweifelt auf der Suche nach etwas anderem, das sie kaufen kann - und ihr Blick fiel unweigerlich auf den japanischen Aktienmarkt.
2010 begann die Zentralbank mit dem Kauf von Aktien-ETFs (börsengehandelte Fonds). Mit dem Besitz dieser Wertpapiere, deren Kurse sich entsprechend der Performance der allgemeinen Aktienmärkte entwickeln, auf denen sie beruhen, war die Bank of Japan noch einen Schritt davon entfernt, Anteile an den Unternehmen selbst zu halten. Nach fünf Jahren besitzt sie nun mehr als die Hälfte des gesamten ETF-Marktes des Landes. Das hielt die Bank jedoch nicht davon ab, das Programm auszuweiten.
Im Jahr 2014 wurden die ETF-Käufe auf 3 Billionen Yen (25 Milliarden USD) im Jahr verdreifacht und in naher Zukunft könnte eine nochmalige Verdreifachung beschlossen werden. Japanische Investmentgesellschaften geben zur Zeit neue ETFs aus, damit die Bank of Japan etwas hat, das sie kaufen kann - nur eines von vielen Beispielen dafür, welch eine Wohltat QE für die Finanzwirtschaft ist.
Diese Käufe haben sich jedoch in keinerlei Hinsicht als sonderlich effektiv erwiesen und eigentlich nichts erreicht, außer vielleicht einen Anstieg der ETF-Kurse. Doch selbst das ist ein zweifelhafter Segen. ETFs sollten eigentlich der Wagen sein, der von den Aktien gezogen wird (die als Zugpferde fungieren). Der Versuch, den Markt durch den Kauf von ETFs zu beeinflussen, führt zu einer ganz neuen Dimension potentieller Preisverzerrungen.
Zudem besteht die Tendenz, dass sich die Auswirkungen dieser Maßnahmen nur auf die Besitzer der entsprechenden Finanzanlagen beschränken, während die allgemeine Wirtschaft kaum profitiert. Aus diesen Gründen zieht die Zentralbank jetzt den Kauf von Aktien bestimmter japanischer Unternehmen und damit einen viel direkteren Eingriff in Betracht.
Derartige Kapitalallokationen würden es der japanischen Regierung erlauben, einen beträchtlichen Stimmanteil in einigen der größten japanischen Unternehmen anzusammeln. Durch den Besitz von Unternehmensanteilen könnte der japanische Verwaltungsapparat unter Abe nach Angaben eines von Bloomberg zitierten Ökonomen dann verlangen, dass die entsprechenden Firmen sich in Bezug auf Gehaltserhöhungen und erhöhte Unternehmensausgaben nach den Prioritäten der Regierung richten.
Der gleiche Wirtschaftsexperte wies darauf hin, dass diese Impulse auf mikroökonomischer Ebene durch die von der Regierung kontrollierten Aktiengesellschaften sich beim Ankurbeln der Konjunktur als effektiver erweisen könnten, als die makroökonomischen Käufe von Staatsanleihen.
Diese Möglichkeit sollte jeden, der noch an die freie Marktwirtschaft glaubt, mit Grauen erfüllen. US-Treasuries im Wert von mehr als 4 Billionen Dollar, die im Rahmen des QE-Programms von der US-Notenbank Federal Reserve gekauft wurden, finden sich jetzt in deren Bilanz wieder.
Das mag den Anleihemarkt verzerrt und falsche Signale in Richtung der Wirtschaft gesendet haben. Zudem könnte die Maßnahme in Zukunft zu Problemen führen, nämlich wenn die Anleihen verkauft werden müssen. Dennoch handelt es sich hier hauptsächlich um ein Mittel zur Monetarisierung von Schulden, bei dem sich die Regierung im Prinzip selbst Kredite gibt. Aktienkäufe würden dagegen eine schleichende Verstaatlichung der Industrie involvieren und wären damit ein großer Schritt in Richtung Kommunismus.
Viele Marktbeobachter in den USA trösten sich mit dem Gedanken, dass die Vereinigten Staaten die Experimente mit den quantitativen Lockerungen bereits beendet haben und jetzt einen entgegengesetzten Weg einschlagen, der zur Verknappung der Geldmenge führen wird. Das ist eine eklatante Fehleinschätzung der Situation.
Das Wirtschaftswachstum der USA verlangsamt sich in erstaunlichem Maße und ungeachtet aller Beteuerungen der Fed, dass eine Zinsanhebung in naher Zukunft sehr wahrscheinlich sei, bin ich der Ansicht, dass wir genauso in der Falle der endlosen Wirtschaftsimpulse sitzen, wie Japan. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Staaten besteht vor allem darin, dass die japanische Wirtschaft bei Beginn des "Experiments" in einer viel besseren Verfassung war, als die US-amerikanische es zur Zeit ist.
Japan gehörte zu den globalen Kreditgebern, verfügte über umfassende Reserven im Inland und verzeichnete hohe Handelsüberschüsse. Die USA begannen das QE-Programm dagegen als größte Schuldnernation der Welt, hatten nur minimale Rücklagen und ein enormes Handelsdefizit. Wenn sich also selbst Japan trotz seiner besseren Wirtschaftslage nicht aus dieser Falle befreien konnte, welche Hoffnung besteht dann für die USA?
Falls die Fed die Zinsen nicht von Null wieder auf einen normalen Wert anheben kann, wird sie beim nächsten Abschwung auch nicht in der Lage sein, sie erneut zu senken. Wenn also eine neue Rezession beginnt (und es könnte schon bald soweit sein), wird die Fed sofort die nächste Runde der quantitativen Lockerungen beschließen müssen. Sollte sich QE4 hinsichtlich der Erzeugung eines realen Wirtschaftswachstums als genauso ineffektiv erweisen, wie die letzten drei Runden, wird der Fed nichts anderes übrig bleiben, als die gleichen radikalen Strategien in Erwägung zu ziehen, die derzeit bei der Bank of Japan diskutiert werden.
So sieht also die Endphase der QE-Programme aus: Explodierende Schulden, Verzerrung der Finanzmärkte, anhaltende Stagnation, wiederkehrende Zeiten der Rezession und letztlich die Übernahme der Industrie und der Wirtschaft durch die Regierung. Das scheint die bevorzugte Alternative der Politiker und Banker zu sein, die sich einfach weigern, den freien Markt so funktionieren zu lassen, wie er sollte.
Wenn die Zinssätze nie von den Zentralbanken manipuliert und die quantitativen Lockerungen niemals erfunden worden wären, hätten die Märkte sich schon vor Jahren von den Spekulationsblasen und Fehlinvestitionen befreien können. Natürlich wäre die Rezession dann ausgeprägter gewesen, aber möglicherweise auch viel kürzer - und die anschließende Erholung wäre wahrscheinlich umso stärker und nachhaltiger ausgefallen.
Stattdessen begleitet Washington Tokio nun auf dem Weg nach Leningrad.
© Peter Schiff
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Dieser Artikel erschien am 03.11.2015 auf www.24hgold.com und wurde exklusiv für GoldSeiten übersetzt.