Ratlos in Davos
29.01.2016 | Peter Schiff
Vergangene Woche trat die Weltelite aus Politik und Finanzindustrie wieder ihre alljährliche Pilgerreise nach Davos an, ein exklusiver Zufluchtsort für Skisport-Freude hoch in den Schweizer Alpen. Wie immer hatten die Teilnehmer nicht die geringste Ahnung von dem, was unterdessen in der Welt da draußen geschieht. Es scheint, als wären, wenn überhaupt, nur wenige von ihnen gewarnt worden, dass das Jahr 2016 mit einer finanziellen Kernschmelze beginnen würde.
Der Dow Jones verzeichnete die schlechtesten zehn Tage zu Beginn eines neuen Kalenderjahres überhaupt und per Börsenschluss am 25. Januar hat er in diesem Jahr bereits um 9% nachgegeben. Damit sind die Weichen für den schlechtesten Januar in der Geschichte des Index gestellt. Doch jetzt, da die Probleme offenkundig geworden waren, die kaum einer in der internationalen Machtclique vorhergesehen hatte, waren Vorschläge zum Umgang mit der Krise in Davos schwerer zu finden als ein All-You-Can-Eat-Lunchbuffet für $8,99.
Das alles beherrschende Thema des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos war die noch bis vor zwei Wochen weit verbreitete Annahme, dass die Welt die Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008 dank der Stärke der US-Wirtschaft nun endlich abschütteln würde. Stattdessen sieht es jedoch so aus, als würden wir geradewegs in die nächste Rezession schlittern.
Während sich die meisten Ökonomen auf die angeblich gute Lage am Arbeitsmarkt der Vereinigten Staaten konzentrierten (die sich in der niedrigen Arbeitslosenquote manifestierte), waren die Symptome eines sich anbahnenden Konjunkturrückgangs überall zu erkennen: einbrechende Aktienkurse und sinkende Unternehmensgewinne, Insolvenzen im Energiesektor und steigende Spreads an den Kreditmärkten, die stetige Zunahme der Lagerbestände und ein scharfer Rückgang der industriellen Produktionszahlen, mäßige Verbraucherausgaben, das Einfrieren von Investitionsausgaben und natürlich die Panik in China. Die eigentliche Frage ist: Warum geschieht das alles jetzt und was kann getan werden, um es zu stoppen?
Bei der Suche nach dem Grund für die Turbulenzen zeigen alle Finger auf China und seine sich abkühlende Wirtschaft (wobei sehr selten erklärt wird, warum die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt gerade jetzt vom Weg abkommt). Und da allen bewusst ist, dass die politischen Entscheidungsträger in Peking sich vom Finanzestablishment des Westens nicht belehren lassen, stellen weitere Impulse seitens der Zentralbanken, die sich die Worte tatsächlich zu Herzen nehmen werden, den einzigen Lösungsvorschlag dar, den die Elite in Davos vorbringen kann.
Der amerikanische Multimilliardär und Hedgefonds-Manager Ray Dalio sprach wahrscheinlich stellvertretend für die angereiste Elite, als er während eines Interviews in Davos sagte, dass "jedes Land dieser Welt eine lockerere Geldpolitik benötigt." Anders gesagt braucht die Welt nach Jahren (bzw. Jahrzehnten im Fall von Japan) der monetären Impulse in Form von Nullzinspolitik und teilweise sogar negativen Zinssätzen und nach Anleihekäufen im Umfang von Billionen von Dollar im Rahmen der Programme zur quantitativen Lockerung (QE) unbedingt noch mehr davon. Viel mehr.
Obwohl kein einziges Land, das diesen Kurs verfolgte, damit ein positives Resultat in Form eines nachhaltigen Wachstums und einer anschließenden Normalisierung der Geldpolitik erzielte, gilt es als unumstößliche Wahrheit, dass genau diese Medizin in immer höheren Dosen verschrieben werden muss, bis der Patient Anzeichen der Besserung aufweist. Niemand, dessen Wort in Davos - oder anderswo - Gewicht hat, scheint gewillt, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen in Frage zu stellen. Da die Federal Reserve in den USA derzeit die einzige Zentralbank ist, die ihre Geldpolitik offiziell straffen möchte, hätten Dalios Kommentare eigentlich direkt an sie gerichtet sein müssen. Doch offenbar waren sie das nicht.
Denn während die Ökonomen zwar die Zentralbanken in Brüssel, Peking und Tokio dazu drängen, die Geldschleusen noch weiter zu öffnen, haben nur wenige von der Fed in Washington das gleiche gefordert. Die Wall Street befürwortet, zumindest gegenüber der Öffentlichkeit, mehrheitlich die Zinsanhebungen der Federal Reserve, wenn auch in einem geringeren Tempo, also noch vor wenigen Monaten oder gar Wochen geplant war. 2015 hielten sich viele Wirtschaftsexperten nicht mit öffentlichen Schmähungen der Fed zurück, die ihrer Ansicht nach zu zögerlich vorging. Vielleicht scheuen sie sich deshalb jetzt zuzugeben, dass ihr Vertrauen damals unangebracht war.
Vielen ist wahrscheinlich auch bewusst, wie beschämend es für die US-Notenbank wäre, wenn sie ihren Kurs so schnell wieder ändern müsste. Immerhin haben die Beamten der Fed fast zehn Jahre damit gewartet, den Leitzins der Vereinigten Staaten anzuheben. Wenn sie ihn jetzt nach nicht einmal drei Monaten wieder senken würden, käme das dem Eingeständnis gleich, dass die Fed sowohl gänzlich ahnungslos als auch erfolglos ist. Das könnte eine noch viel größere Panik auslösen, wenn den Investoren bewusst wird, dass sie in einem Flugzeug ohne Pilot sitzen.
Die fehlende Bereitschaft anderer Zentralbanker, die Fed zu einer Lockerung ihrer Geldpolitik zu bewegen, hat aber wahrscheinlich eine andere Hauptursache: Die Vereinigten Staaten sollen das leuchtende Beispiel sein, das die Erfolgsgeschichte der quantitativen Lockerungen belegt. Schließlich soll der Rest der Welt den vorbildlichen Ergebnissen nacheifern, die in den USA erzielt wurden.
Ben Bernanke hatte den Mut zu handeln, als die Zentralbanker Europas zu zaghaft waren, und der Lohn dafür waren nicht nur Vollbeschäftigung und eine wirtschaftliche Erholung, die stark genug ist, um auch höhere Zinssätze zu verkraften, sondern auch ein Buch, das es bis in die Bestsellerlisten schaffte, und zahlreiche Titelseiten für Bernanke. Die Zentralbanker dieser Welt sind noch nicht so ganz bereit, Bernankes Buch in die Abteilung für Fiktion zu verbannen, wo es eigentlich hingehört. Das würde nur Frage darüber aufwerfen, warum sie dieser gescheiterten Politik selbst so lange gefolgt sind.
Dennoch machen sich gewisse Zweifel langsam auch in der Öffentlichkeit breit. In der Unterüberschrift eines Artikels im Wall Street Journal vom 25. Januar wurde endlich ausgesprochen, was die meisten Mainstream-Kommentatoren nicht zugeben wollten: "Die Fed ist der Hauptgrund für den Einbruch der Märkte und das steigende Rezessionsrisiko."
In diesem Artikel wurde analysiert, warum ein Zinssatz von 0% nach sechs Jahren Zustände verursacht hat, die an Spekulationsblasen erinnern und die möglicherweise selbst der winzigen Nadel einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte nicht standhalten können. Doch selbst nach dieser Erklärung schrieb das Wall Street Journal nicht, die Fed solle die Geldpolitik wieder lockern. Es wurde höchstens die Forderung geäußert, künftige Zinserhöhungen so lange zu verschieben, bis die Märkte sich angepasst und die erste Anhebung verdaut hätten.
George Soros, ein weiterer legendärer Milliardär und Hedgefonds-Manager (mit einer wohl bekannten politischen Agenda), beteiligt sich nun ebenfalls an dieser Kontroverse, indem er der Fed zu verstehen gab, dass es an der Zeit sei, die Realität anzuerkennen und etwas kleinere Brötchen zu backen. In einem Interview mit Francine Lacqua von Bloomberg Television sagte Soros am 17. Januar, die Entscheidung der Fed, die Zinsen zu erhöhen, sei ein "Fehler" gewesen, und dass er "überrascht wäre", wenn die Notenbank diesen Fehler mit einer weiteren Anhebung wiederholen würde. (Die Federal Reserve hatte offiziell angekündigt, die Zinsen im Jahr 2016 wahrscheinlich noch viermal zu erhöhen.)
Auf die direkte Frage, ob die Fed tatsächlich eine Kehrtwende machen und den Leitzins wieder senken würde, antworte Soros nur, dass "Fehler korrigiert werden müssen" und eine Kursänderung der Fed "durchaus möglich" sei. Sie können darauf warten, dass sich noch zahlreiche weitere Investoren dieser Meinung anschließen und eine Umkehr fordern werden, ungeachtet des Glaubwürdigkeitsverlustes, den Janet Yellen und ihr Team dann erleiden würden.
Als ich vor einigen Monaten öffentlich ähnliche Einschätzungen abgab und sagte, dass eine Zinsanhebung, selbst wenn sie nur einen viertel Prozentpunkt beträgt, genügen würde, um die die Blase an den Aktienmärkten platzen und die Konjunktur in Richtung Rezession kippen zu lassen, wurden meine Ansichten als völlig verwirrt abgetan. Meine Vermutung, die Fed würde ihren Kurs später ändern und die Zinsen wieder senken müssen, wurde sogar als noch unsinniger angesehen, so als hätte ich vorhergesagt, Kanada würde in die USA einmarschieren. Doch jetzt hört man solche Äußerungen auch von Seiten des Mainstreams.
Ich konnte dieses Szenario nicht deshalb durchblicken, weil ich Zugang zu bestimmten Daten habe, die andere nicht einsehen können, sondern weil ich verstanden habe, dass Impulse in Form von Nullzinspolitik und Geldmengenausweitungen nicht das richtige Mittel sind, um die Wirtschaft wieder auf Touren zu bringen und eine gesunde Konjunktur zu gewährleisten. Diese Maßnahmen stellen vielmehr eine Einbahnstraße dar, die in einer Sackgasse der Abhängigkeit endet. Sie führen nur zur Erhöhung der Assetpreise und zur Entstehung einer Zombie-Wirtschaft, die ohne kontinuierliche Impulse nicht mehr lebensfähig ist. Am Ende wird dadurch nicht Wachstum erzeugt, sondern die Illusion von Wachstum.
Diese Beobachtungen decken sich mit der Entwicklung der Weltwirtschaft. An den Rohstoff- und Ölmärkten, an denen die Preise in Dollar angegeben werden, kam es zu einem Abverkauf, weil in Anbetracht der Zinserhöhung ein weiterer Anstieg des Dollarkurses erwartet wurde. Aus diesem Grund befindet sich China jetzt in einer Krise. Die Finanztricks, die bei nicht existenten Zinsen verwendet werden konnten, um die schlechten Ergebnisse der US-Unternehmen zu vertuschen, stehen jetzt nicht mehr zu Verfügung.
Unsere Wirtschaft hängt am Tropf von QE und Nullzinspolitik und ohne diese künstlichen Stützen werden wir mit einiger Sicherheit zurück in eine Rezession fallen. Diese Realität wollten die Mainstreammedien in den letzten Jahren um jeden Preis ignorieren. Doch das wird sich jetzt nur umso stärker rächen.
Investoren sollten diese Warnung ernst nehmen. Die Baisse an den Rohstoffmärkten kann nur Bestand haben, solange die Fed vorgibt, weitere Zinserhöhungen zu planen. Wenn die Notenbank die Wahrheit letztlich eingesteht, weil diese sich angesichts der fortgesetzten Turbulenzen in der Wirtschaft und an den Märkten nicht mehr leugnen lässt, wird der Dollar jäh einbrechen, während die Rohstoffpreise und die anderen Währungen nach Jahren der Verluste endlich wieder steigen. Es ist gar nicht schwer, die Realität zu erkennen. Und dafür braucht man mit Sicherheit keine Einladung nach Davos.
© Peter Schiff
www.europac.net
Dieser Artikel erschien am 26.01.2016 auf www.europac.com und wurde exklusiv für GoldSeiten übersetzt.