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Welt ohne Zins

18.04.2016  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit

Die Niedrig- und Negativzinspolitik verursacht weitreichende Schäden. Sie gefährdet in letzter Konsequenz den Bestand der Marktwirtschaft.

In vielen Währungsräumen der Welt liegen die Zinsen auf oder gar unter der Nulllinie. Sparer verdienen nichts mehr beziehungsweise erleiden Verluste, wenn sie zum Beispiel Bankeinlagen und Schuldpapiere halten.

Einige versuchen, dem Null- beziehungsweise Negativzins zu entkommen, indem sie auf andere Anlageformen ausweichen. Sie fragen zum Beispiel risikoreichere Schuldpapiere nach wie Unternehmensanleihen. Doch sie kaufen mehr Aktien und Immobilien. Die steigende Nachfrage nach diesen Gütern lässt die Preise ansteigen. Die Folgen der Null- und Negativzinspolitik bleiben folglich nicht auf den Kreditmarkt beschränkt.

Sie breiten sich vielmehr auf alle Finanz- und Anlagemärkte aus. Die Jagd nach Verzinsung sorgt jedoch für Preisübertreibungen. Das beschert zunächst den "frühen Käufern" der Aktien und Häuser eine attraktive Verzinsung.

Der dadurch ausgelöste Boom wird noch verstärkt, indem weitere Anleger auf den Trend steigender Kurse "aufspringen": Die Kurssteigerungen befördern eine zusätzliche Nachfrage und damit zusätzliche Kurssteigerungen.

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Quelle: Thomson Financial


Preisübertreibungen

Bei einer Null- beziehungsweise Negativzinspolitik ist offensichtlich, was passieren wird: Die Kurse der Aktien steigen so weit an, bis sich auch hier keine positive Verzinsung mehr erzielen lässt.

Die frühen Aktienkäufer können sich einer attraktiven Verzinsung erfreuen, für die Aktienkäufer, die erst später investieren, fällt die zu erzielende Verzinsung schon geringer aus.

Denn steigende Aktienkurse lassen die Aussicht auf künftige Verzinsung schwinden: Steigt der Aktienkurs, sinkt (bei gegebenen Unternehmensgewin-nen) die in der Zukunft zu erwartende Verzinsung auf das eingesetzte Kapital.

Nun lassen sich zwei Szenarien unterscheiden. Im ersten Szenario fällt die zu erzielende Verzinsung auf null: Mit dem dauerhaften Halten von Aktien lässt sich keine positive Verzinsung mehr erzielen.

Im zweiten Szenario steigen die Aktienkurse so stark an, dass Anleger fortan sogar mit fallenden Kursen rechnen müssen, also mit einer negativen Verzinsung des Kapitals.

Wenn aber die Anleger erwarten (müssen), dass sie fortan keine positive Verzinsung mehr erzielen können oder gar eine negative Verzinsung hinnehmen müssen, ist ein kritischer Punkt erreicht.


Ohne Zins gibt es Chaos

Spätestens dann, wenn die am Markt erzielbaren Renditen null Prozent betra-gen oder gar negativ werden, ist die Marktwirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes am Ende angelangt. Dann nämlich hört das Sparen und Investieren auf.

Dazu muss man wissen, dass der "natürliche Zins" (oder der "Urzins") für jeden Menschen positiv ist, und dass der "natürliche Zins" niemals auf null Prozent fallen oder gar negativ werden kann. Das ist eine Erkenntnis, die leider häufig übersehen oder zuweilen sogar heftig bestritten wird. (Einige Ökonomen sind sogar der Meinung, der "neue gleichgewichtige Zins" sei negativ geworden!)

Der Marktzins, der sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt, kann zwar auf null Prozent oder darunter fallen. Nicht aber der natürliche Zins, der ein Element des Marktzinses selbst ist. Er ist immer und überall positiv.



Was also machen die Menschen, wenn die Marktzinsen unter den natürlichen Zins fallen oder gar negativ werden? Die Antwort lautet: Sie sparen nicht mehr, sondern konsumieren ihr gesamtes Einkommen.

Gleichzeitig investieren sie nicht mehr: Weder gibt es Ersatz- noch Neuinvestitionen. Und sobald der Kapitalstock aufgezehrt ist, kann auch nichts mehr produziert werden.

Man ahnt, wohin das führt: Die Volkswirtschaft fällt in eine primitive Subsistenzwirtschaft zurück. Die Arbeitsteilung endet, es kommt zur Verarmung und Verelendung.

Was vielleicht auf den ersten Blick als "konjunkturstützend" erscheinen mag, ist in Wahrheit verheerend. Die Null- und Negativzinspolitik der Zentralbanken baut nicht auf, sondern zerstört, reißt nieder. Sie mag zwar kurzfristig das Wirtschaftsgeschehen stützen. Aber gerade das macht sie so gefährlich, weil sie den Kapitalverzehr übertüncht, und sie dadurch die Leitungsfähigkeit der Volkswirtschaft untergräbt.

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Abbildung links: Quelle: R. Shiller, Thomson Financial; eigene Berechnungen
Abbildung rechts: Quelle: R. Shiller, Thomson Financial; eigene Berechnungen. Relatives KGV: KGV im Anleihemarkt minus KGV im Aktienmarkt. Überlegung: Je höher das relative KGV ist, desto überteuerter der Anleihemarkt gegenüber dem Aktienmarkt.


Ein ökonomischer Albtraum

Hat eine Null- beziehungsweise Negativzinspolitik die Vermögenspreise so stark in die Höhe getrieben, dass fortan mit Preisrückgängen und damit negativer Verzinsung zu rechnen ist, wird die "Re-Inflationspolitik" attraktiv. Ein Rückgang der Preise würde nämlich das ungedeckte Papiergeldsystem in schweres Fahrwasser bringen. Es käme zu Zahlungsausfällen von Konsumen-ten, Unternehmen, Banken und Staaten.

In der Not der Stunde ist also absehbar, was geschehen wird: Das Ausweiten der Geldmenge zur Bezahlung offener Rechnungen wird als die Politik des vergleichbar kleinsten Übels angesehen.

Zu den Kosten der Kapitalaufzehrung kommen also noch die der Geldentwertung, die Inflationierung, hinzu. So gesehen entzaubern sich die aktuellen Geldpolitiken als durch und durch zerstörerisch.

Das Problem ist, dass die Schäden erst mit zeitlichen Verzögerungen zutage treten, die "erleichternde Wirkung" jedoch unmittelbar beobachtbar ist - und daher von der Öffentlichkeit mehr oder weniger akzeptiert wird. Sparer und Anleger sollten sich jedoch nicht blenden lassen, sie sollten reagieren: Aktien und Gold dürften sich als bessere Sparanlagen erweisen als Schuld-verschreibungen und Bankeinlagen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH