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Vererbte Inkompetenz: Vom Versagen globaler Institutionen

29.08.2016  |  John Mauldin

"Praktiker, die von sich glauben, sie unterlägen keinerlei intellektuellen Einflüssen, sind gewöhnlich die Sklaven eines längst verstorbenen Ökonomen." - John Maynard Keynes

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Meine Ansichten stimmen nicht oft mit denen von Keynes überein, aber er lässt sich von allen bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlern am besten zitieren. Der obenstehende Satz zählt zu seinen besten. Hinsichtlich der verstorbenen Wirtschaftswissenschaftler lag er jedenfalls richtig. Natürlich sprach er von all den anderen verstorbenen Ökonomen, die nicht länger mit den neuen, verbesserten Wirtschaftstheorien Schritt halten konnten. Jetzt fällt seine spöttische Bemerkung auf ihn und seine Anhänger zurück.

In unserer sich rasch wandelnden Welt überleben Theorien und Praktiken oft die Dauer ihrer Nützlichkeit. Gleiches gilt auch für Institutionen, einschließlich derer, die 1944 bei der Konferenz von Bretton Woods gegründet wurden. In unserem heutigen Newsletter wollen wir uns dem Internationalen Währungsfonds und einem vernichtenden Bericht seiner eigenen internen Prüfer widmen. Für diejenigen, die das Handeln des IWF schon seit mehreren Jahrzehnten verfolgen, ist der Bericht wahrscheinlich keine allzu große Überraschung.

Mein Anliegen ist es dabei nicht vordergründig, die Fehler des IWF herauszustellen, sondern darauf hinzuweisen, wo seine Probleme wesentlicher Bestandteil eines größeren Problems sind, welches zahlreiche globale Institutionen betrifft. Während der nächsten weltweiten Rezession wird man erneut auf die gleichen Ansätze zur Problemlösung zurückgreifen, die man auch schon in der Vergangenheit ausprobiert hat und die auf den Theorien verstorbener Ökonomen beruhen - abgerundet mit einem Schuss persönlicher und institutioneller Voreingenommenheit. Die verordneten Mittel gleichen einem Hexengebräu, welches angeblich gut für uns sein soll. Tatsächlich garantiert es aber nur, dass diejenigen die Hauptlast der Auswirkungen tragen müssen, die sie am schlechtesten bewältigen können.

Seien wir großzügig mit der Nachkriegsgeneration. In einer vom Krieg zerrissenen Welt, die sich noch nicht von der 15 Jahre zuvor begonnenen Rezession erholt hatte, schien es sicherlich eine gute Idee gewesen zu sein, die herrschende Wirtschaftsordnung ein wenig aufzumöbeln. In den ersten paar Jahrzehnten machten die Ergebnisse auch einen guten Eindruck. Mit der Hilfe der USA wurden in Europa und Japan gewaltige Projekte zum Wiederaufbau gestartet und in den Vereinigten Staaten erfreute man sich eines rasanten Wachstums und eines Babybooms, der mich und vielleicht auch Sie hervorgebracht hat.

Diese Ära hat uns allerdings auch einige neue Probleme hinterlassen. Was wir heute als Europäische Union bezeichnen, entstand aus der damals von Deutschland und Frankreich ins Leben gerufenen Montanunion, einem Handelsabkommen über Kohle und Stahl. Die europäische Währungsunion ist ein Zweig des gleichen Familienbaums, zu dem auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und andere Institutionen gehören. Es ist ein großer, ausladender Baum, der dringend einmal zurückgeschnitten werden müsste.

Wir werden uns heute einen Bericht vornehmen, der nahelegt, dass eine starke Schrumpfung des IWF tatsächlich längst überfällig ist. Diese unschöne Geschichte ist nur einer von vielen Schauplätzen in einem viel größeren Epos, doch sie hilft, zahlreiche globale Ungleichgewichte zu erklären. Lassen Sie uns also am Anfang beginnen.


Sommer in Bretton Woods

Im Juli 1944 wütete der Zweite Weltkrieg noch ungebrochen, doch die Alliierten glaubten den Sieg in Reichweite. Die Vertreter von 44 Nationen kamen daher in einem Hotel in Betton Woods, New Hampshire (oben abgebildet), zusammen, um ein neues globales Währungssystem auszuarbeiten. Man sollte meinen, dass das eine langwierige und komplizierte Aufgabe sei, doch dem war nicht so. Nach drei Wochen war die Konferenz beendet. (Stellen Sie sich einmal vor, wann würde versuchen ein bedeutendes Handelsabkommen innerhalb von drei Wochen zu schließen.)

Zwei Dinge standen bereits vor dem Beginn der Konferenz fest: Es sollte keinen Goldstandard geben und keine völlig freien Wechselkurse. John Maynard Keynes beeinflusste die Konferenz maßgeblich und seine Ansichten zu Gold verbannten das Edelmetall in die Vergangenheit - er war der erste, der es als "barbarisches Relikt" bezeichnete. Das grundlegende Konzept, auf das man sich bei der Konferenz einigte, war ein Hybridsystem mit festen, an den US-Dollar gebundenen Wechselkursen. Der Dollar war dabei wiederum an Gold gekoppelt.

Im Rahmen der Konferenz wurde beschlossen, dass eine Unze Gold einen Wert von 35$ hatte. Die anderen Währungen bekamen gegenüber dem Dollar feste Wechselkurse mit einem Spielraum von +/-1%. So wurde der US-Dollar zur weltweiten Reservewährung.

Es gab in dieser Hinsicht wenig Wahlmöglichkeiten, da die USA den Großteil der globalen Goldreserven besaßen. Hätte man die Währung eines jeden Landes mit einem Goldstandard versehen, hätte das massive deflationäre Auswirkungen gehabt und das Potential des Welthandels und des weltweiten Wirtschaftswachstums ernsthaft eingeschränkt . Beides wurde zu jener Zeit jedoch dringend benötigt.

Was auch immer Sie über die Angemessenheit der Beschlüsse denken mögen - die Festlegung der Wechselkurse auf diese Art machte Zahlungs- und Schuldenkrisen praktisch unvermeidlich. Die Abgeordneten beschlossen in Bretton Woods die Gründung zweier transnationaler Institutionen, die aufkommende Probleme lösen sollten: Den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD). Letzte wurde später in die Weltbank eingegliedert.

Die Aufgabe des IWF bestand im Wesentlichen darin, das System zu schmieren, wenn die Handelsströme dazu führten, dass einzelne Währungen von ihrer Verankerung am US-Dollar wegdrifteten. Das funktionierte auch eine Zeit lang, doch als Präsident Nixon 1971 das "Gold-Fenster" schloss und die Umtauschbarkeit des Dollars in Gold abschaffte, kollabierte das Bretton-Woods-System.

Da die Wechselkurse der Währungen nun praktisch frei schwankten, hatte der IWF seine Existenzberechtigung zum größten Teil verloren. Löste er sich also still und gelassen auf? Natürlich nicht. Wann hat sich eine Bürokratie jemals freiwillig selbst abgeschafft? Die IWF-Mitarbeiter definierten ihre Mission ganz einfach neu. Der Währungsfonds würde von nun an Staaten mit Zahlungsbilanzproblemen Finanzierungshilfen bereitstellen, Ländern in Not Kredite gewähren und zahlreiche wirtschaftliche Forschungsberichte publizieren.

In Erfüllung dieser noblen Mission ließ sich der IWF mit Diktatoren, Menschenrechtsverletzern, korrupten Beamten und allerlei anderen zwielichtigen Charakteren weltweit ein. Manchmal drang die Korruption bis in die Führungsebenen des IWF selbst vor. Die aktuelle geschäftsführende Direktorin Christine Lagarde steht derzeit in Frankreich wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht, die ihre Zeit als französische Finanzministerin zurückgehen.

Die Struktur des IWF ist schon fast ein Garant für die Fehlfunktion der Institution. Die Stimmrechte des Gouverneursrates (Board of Governors) sind nach den Kapitalbeiträgen eines jeden Landes gewichtet, daher geben eine Handvoll großer Staaten den Ton an. Theoretisch könnten sich die kleinen Mitgliedsstaaten zusammenschließen und die Macht mit einer 85-%-Mehrheit an sich reißen. Zu ihrem Unglück entfallen aber 16% der Gesamtstimmen allein auf die Vereinigten Staaten und verschaffen den USA dadurch praktisch ein Vetorecht bei allen ernsthaften Änderungsvorschlägen.

Zudem besteht eine gewaltige Kluft zwischen den Gläubigerstaaten, die große Kapitalmengen beisteuern, aber wenig Geld leihen, und den Schuldnern, die wenig beitragen aber hohe Kredite benötigen. Die Gläubiger wollen strengere Standards für die Kreditvergabe und höhere Zinsen, die Schuldner das Gegenteil. Doch sie sind alle im Board vertreten und sollen sich irgendwie über die Verfahren und Grundsätze des IWF einigen. Das geschieht nur in seltenen Fällen.



Was läuft es also ab? Die europäischen Mitgliedsstaaten, denen bestens bewusst ist, dass die kleinen Fische nur ohnmächtig protestieren können, treffen Entscheidungen zu ihren eigenen Gunsten. Einige schmutzige Details gelangen von Zeit zu Zeit ans Licht der Öffentlichkeit.


Die Liebesaffäre des IWF

Die folgende Überschrift der britischen Tageszeitung The Telegraph fiel mir vor einigen Wochen ins Auge und machte mich auf neue Entwicklungen in der Saga der Inkompetenz des IWF aufmerksam.

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"IWF gesteht fatale Liebesaffäre mit dem Euro und entschuldigt sich für die Opferung Griechenlands"

Die Existenz einer solchen Liebelei war keine Überraschung, genauso wenig wie die Rolle des IWF im Hinblick auf das griechische Schuldenfiasko. Die eigentliche Überraschung bestand darin, dass der IWF den Umfang seiner Inkompetenz und die massiven Regelverletzungen öffentlich zugab.

Der Kommentar von Ambrose Evans-Pritchard zeigte, dass es sich lohnte den Artikel zu lesen. Hier ist seine Einleitung:

"Die obersten Führungskräfte des IWF haben ihr eigenes Direktorium in die Irre geführt, eine Reihe verhängnisvoller Fehleinschätzungen in Bezug auf Griechenland getroffen, das Europrojekt euphorisch unterstützt, die Warnzeichen einer drohenden Krise ignoriert und sind kollektiv daran gescheitert, ein elementares Konzept der Währungstheorie zu begreifen.

Das ist das vernichtende Urteil, zu dem das wichtigste Überwachungsgremium des IWF in Hinblick auf die problematische Rolle des Fonds in der Schuldenkrise der Eurozone kommt, der blamabelsten Episode in der Geschichte der Bretton-Woods-Institutionen."


"Verhängnisvolle Fehleinschätzungen" trifft es auf den Punkt. Genau dadurch war der Umgang des IWF sowie der EU und der EZB mit der europäischen Staatsschuldenkrise gekennzeichnet, die heute, sechs Jahre später, noch immer ungelöst bleibt.

Was hat in diesem Fall Evans-Pritchards Zorn geweckt? Ein Bericht der internen Prüfungskommission des IWF beschreibt eine Organisation, für die "dysfunktional" noch ein Kompliment wäre. Die riesigen Rettungspakete für Griechenland, Portugal und Irland haben die Richtlinien des IWF verletzt und unter Umständen die Verursacher der Missstände in diesen Ländern bereichert, während die Opfer zusätzlich bestraft wurden.

Wie wir später noch sehen werden, hat der IWF seine desaströse Politik im vollen Bewusstsein der Folgen fortgesetzt, denn es gab eine heftige interne Debatte über die Rettungsverfahren. Offensichtlich wussten viele innerhalb der Organisation genau, was sie taten, und dass die Maßnahmen zu einer Krise führen würde. Eine Analyse der Gründe, aus denen die Leitung des IWF sich für unangemessene Schritte entschied, lehrt uns viel darüber, wie internationale Institutionen Beschlüsse fassen.

Unter den verschiedenen Verfehlungen war auch das Versäumnis, Pläne für den Umgang mit einer Schuldenkrise in der Eurozone auszuarbeiten, denn eine solche Krise hatte man als unmöglich erachtet. Es ist nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. Mitarbeiter der Institution hatte bereits lange im Voraus argumentiert, dass das Eurosystem grundlegend fehlerhaft sei und eines Tages zerfallen werde. Doch diejenigen, die sich so äußerten, wurde überstimmt und sogar bestraft.

Die Voreingenommenheit entwickelte sich Evans-Pritchard zufolge, weil die europäischen Eliten innerhalb des IWF bis über beide Ohren in ihren Euro verliebt waren. Und wie viele Verliebte konnten sie die Fehler des Objekts ihrer Zuneigung einfach nicht erkennen. Die gemeinsame Währung der Eurozone war in ihren Augen das Fundament des gesamten europäischen Projekts.

Die Liebesaffäre zwischen dem IWF und der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hatte zur Folge, dass der Fonds Berichte und Zusicherungen von EU-Beamten für bare Münze nahm und auf Nachweise verzichtete, die von weniger entwickelten Ländern routinemäßig verlangt werden.

Ich weiß das nicht mit Sicherheit, aber ich vermute, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer beim Unabhängigen Evaluierungsbüro des IWF (Independent Evaluation Office, IEO) eine Untersuchung beantragten, weil sie die bevorzugte Behandlung der EU bemerkt hatten. Das IEO übergeht die Top-Bürokraten und legt seinen Bericht direkt gegenüber dem Exekutivdirektorium ab. Nachdem es sich an die Arbeit gemacht hatte, entdeckte das Evaluierungsbüro schnell die verschiedensten Formen von Voreingenommenheit, Inkompetenz und heimlichen Absprachen.

Diese Tendenzen hatten dazu geführt, dass der IWF den harten Sparmaßnahmen in Griechenland zustimmte, während er gleichzeitig die Gläubiger des Landes vor Schuldenschnitten schützte. Die Unantastbarkeit des Eurosystems und die Stabilität der europäischen Banken beschäftigen den Internationalen Währungsfonds weit mehr als das Leid der griechischen Bevölkerung. Wir können das nicht mit Sicherheit wissen, aber es scheint, als hätte eine geordnete Schuldenabschreibung Griechenland wieder auf die Beine geholfen und die Kosten dafür gleichmäßig auf alle Parteien verteilt. Stattdessen drängte der IWF auf einen Plan, von dem er wusste, dass er niemals funktionieren würde - oder zumindest äußerten viele Mitarbeiter der Organisation diese Meinung.

Es ist eine traurige Tatsache, dass Griechenland eine sehr schwere Depression durchlitten hätte, aber heute auf dem Weg zum Wiederaufschwung wäre, wenn es seinen Gläubigern eine Absage erteilt, den Euro verlassen und die Drachme wieder eingeführt hätte. Stattdessen befindet sich die Wirtschaft des Landes nun bereits das sechste Jahr in Folge in einer Depression, die die Große Depression der 1930er Jahre in den USA noch übertrifft. Zudem scheint es keinen Weg aus der Krise zu geben, solange die Regierung sich den IWF-Beschlüssen beugt, um den stetigen Fluss neuer Finanzhilfen zu sichern.

Die Ironie an der Sache ist, dass Griechenland eines Tages womöglich gezwungen sein wird, die Währungsunion zu verlassen, was zu einer noch schwereren Depression und zur weiteren Verschlechterung der schon jetzt verzweifelten Lage führen wird. Ich empfinde wirklich ehrliches Mitleid mit den Griechen.

Der vollständige Bericht des Evaluierungsbüros ist hunderte Seiten lang. Wenn Ihnen so etwas Spaß macht, können Sie ihn hier einsehen. Doch der Bericht ist nicht alles. Er ist nur das jüngste Kapitel in einer langen, schmutzigen Geschichte. Um den Kontext zu verstehen, müssen wir einige Jahre zurückblicken.




Die bankrotten PIIGS-Staaten

Wir betrachten Griechenland als Epizentrum der europäischen Schuldenkrise, doch das Land befand sich in guter Gesellschaft. Das Akronym PIIGS bezieht sich auf die fünf Mitgliedsstaaten der Währungsunion, die ihr Budget überstrapaziert hatten: Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien.

Ende 2009, als das erste Programm der quantitativen Lockerungen in den USA die Aktienkurse wieder steigen ließ, wurden die griechischen Staatsschulden aufgrund des wachsenden Haushaltsdefizits von den Ratingagenturen herabgestuft. Die Regierung senkte daraufhin die Ausgaben, aber nicht in ausreichendem Maße. Premierminister George Papandreou beantragte offiziell eine Finanzhilfe von der "Troika" aus EU, EZB und IWF und erhielt diese auch.

Mit dem Fortschreiten der Krise wurde praktisch allen Beteiligten klar, dass die schwere Schuldenlast Griechenlands harte Maßnahmen erfordern würde. Es stellte sich nur die Frage, wie man die Kosten und die schmerzlichen Einschränkungen verteilen sollte.

Ein normales Insolvenzverfahren hätte einen mehr oder weniger ausgeglichenen Plan zum Ergebnis gehabt: Die Gläubiger hätten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen und der Schuldner hätte einen Teil seiner Vermögenswerte und/oder seines Einkommens abtreten müssen. Die Gläubiger waren in diesem Fall die europäischen Großbanken, und die waren keineswegs bereit ihre Buchwerte abzuschreiben. Mittels der EU und der EZB drängten sie auf die radikale Kürzung der griechischen Staatsausgaben und den Verkauf staatseigener Vermögenswerte zur Beschaffung von Barmitteln.

In Griechenland war die an ihre großzügige Regierung und die weitverbreitete Steuervermeidung gewöhnte Bevölkerung dagegen gar nicht begeistert von dem neuen Sparprogramm. Darüber hinaus hatten die Griechen eine unfassbar aufgeblähte Bürokratie geschaffen und ein Arbeitsmarktprogramm auf den Weg gebracht, welches nicht wettbewerbsfähige Unternehmen unterstützte und Start-Ups ausbremste. Die Bevölkerung wollte ihre Sozialleistungen behalten und die Oligarchen waren gegen eine Reform. Europa wollte einen Bankenkrise verhindern, aber man wollte auch nicht genug Geld berappen, um Griechenland wirklich zu retten. Es folgte eine langwierige Pattsituation.

Das Regelwerk des IWF besagt, dass die Organisation nur dann Kredite vergeben darf, wenn vernünftigerweise die Aussicht auf Rückzahlung des Kapitals besteht. Kleineren afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern waren im Austausch für finanzielle Hilfen in der Vergangenheit üblicherweise harte Konditionen auferlegt worden. Diese Bedingungen waren oft praktisch eine Garantie dafür, dass sich die Krise in den betroffenen Ländern fortsetzte. Allerdings schien der IWF nicht gewillt zu sein, vergleichbare Maßnahmen auch in Griechenland durchzusetzen.

Dank dem Bericht des IEO wissen wir nun, dass führende IWF-Mitarbeiter eine bedeutende Regeländerung in dem Plan versteckten, den sie dem Board vorlegten. Diese gestattete einen Verzicht auf die normalen Kreditstandards, wenn das Risiko einer systemischen Ansteckung bestand.

Ich zweifle nicht daran, dass sie wirklich besorgt waren, die Krise könnte auf andere Staaten und Sektoren übergreifen. Immerhin lagen der Zusammenbruch von Lehman Brothers und die Finanzkrise 2008-2009 gerade erst hinter ihnen und Griechenland war auch nicht der einzige Problemfall. Es gab große Bedenken, dass alle in Bezug auf Griechenland ergriffenen Maßnahmen einen Präzedenzfall für die größeren Staaten Spanien und Italien darstellen würden. Das war auch den Märkten bewusst und das Vorgehen wurde genaustens beobachtet. Die Angst vor einer Ausweitung der Krise, sollte der IWF nach den üblichen Regeln spielen, war nicht unbegründet.

Andererseits gibt es die Richtlinien nicht ohne Grund. Banken zu unterstützen, die unkluge Kredite vergeben, ist nicht Aufgabe des IWF. Es zählt auch nicht zur Mission des IWF Regierungen zu unterstützen, die nicht bereit sind vernünftige Wirtschaftsreformen durchzuführen. Man könnte sogar argumentieren, dass die gesamte griechische Angelegenheit den IWF eigentlich nichts anging. Schließlich ist Griechenland ein Mitglied der EU, also hätte die EU die Verantwortung übernehmen sollen. Ganz im Ernst - wird der US-Bundesstaat Illinois den IWF um Hilfe bitten, wenn er in ein paar Jahren pleite ist?

Der Währungsfonds hätte nur Ratschläge erteilen und gute Wünsche aussprechen sollen. Doch so war es nicht. Was hat sich die Organisation dabei gedacht?

Etwa zur gleichen Zeit wurde Christine Lagardes Vorgänger, Dominique Strauss-Kahn in New York aufgrund von Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs auf eine Hotelangestellte festgenommen. Er gab "unangemessenes Verhalten" zu, bestritt aber, dass er sie genötigt hätte. Der Staatsanwalt ließ die Anklage fallen, nachdem Zweifel an der Version der Klägerin aufgekommen waren. Was auch immer wirklich passiert ist, der geschäftsführende Direktor des IWF hatte damals offensichtlich andere Sorgen als Griechenland. Er trat im Mai 2011 zurück und Christine Lagarde nahm wenige Wochen später seinen Platz ein.

Der IWF war also nicht nur an Angelegenheiten beteiligt, die gar nicht in seinen Aufgabenbereich fielen, und brach dazu noch seine eigenen Regeln. Er verstrickte sich auch in internes Chaos, während ganze Staaten am Abgrund entlangtaumelten. Diese Spannungen spiegelten sich in den katastrophal falschen Wachstumsvorhersagen wieder, die der IWF verwendete, um die Rettungspakete für die Eurozone zu rechtfertigen.

Die dünne schwarze Linie, die am Boden des folgenden Charts entlangkratzt, zeigt das tatsächliche griechische Bruttoinlandsprodukt. Die anderen Linien sind diverse Vorhersagen, die der IWF in seinen regelmäßig erscheinenden Berichten machte. Im fünften Bericht kam man der Realität langsam ein wenig näher, doch die Prognosen lagen noch immer weit über den wirklichen Werten. (Erinnert Sie das zufällig an die Wirtschaftsvorhersagen der US-Notenbank Federal Reserve?

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Doch es kommt noch schlimmer. Es scheint, dass die Technokraten des IWF selbst in diesem Jahr noch aktiv an insgeheimen Plänen zur Herbeiführung einer weiteren europäischen Krise arbeiteten, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen.


"Wir brauchen ein Ereignis"

Man sollte meinen, dass wir nach all den Hacking-Vorfällen und E-Mail-Leaks gelernt hätten, dass nichts mehr privat ist. Diese Realität ist jedoch offenbar noch nicht bis ins Bewusstsein der IWF-Mitarbeiter vorgedrungen, denn im April veröffentlichte Wikileaks die Niederschrift einer IWF-Telekonferenz. Die Konversation fand am 19. März 2016 statt und an ihr beteiligt waren die beiden für Griechenland zuständigen Bediensteten Paul Thomson und Delia Velkouleskou.



Wer genau die Unterhaltung aufzeichnete und wie sie in die Hände von Wikileaks geriet, ist unklar. Hier kommt der interessante Teil:

Thomsen: Was wird denn eine Entscheidung herbeiführen? In der Vergangenheit wurde nur ein Mal eine Entscheidung getroffen, und das war, als ihnen ernsthaft das Geld ausging und der Bankrott bevorstand. Richtig?

Velkouleskou: Richtig!

Thomsen: Vielleicht wird es erneut so kommen. In diesem Fall wird es bis Juli so weitergehen und in der EU wird man im letzten Monat vor dem Brexit offensichtlich keinerlei Diskussionen darüber führen. Irgendwann werden sie eine Pause einlegen und dann nach dem Referendum weitermachen wollen.

[...]

Thomsen: Aber das ist kein Ereignis. Das wird nicht dazu führen, dass sie... Diese Diskussion kann noch lange so weitergehen. Sie schieben es einfach immer weiter vor sich her... Warum? Weil das Ereignis in der Ferne liegt, was auch immer es ist.

Velkouleskou: Ich stimme zu, dass wir ein Ereignis brauchen, aber ich weiß nicht, was es sein wird.

Das "Ereignis", das die beiden sich wünschen, ist etwas, das Griechenland in den Staatsbankrott treiben und Europa, insbesondere Deutschland, zwingen wird, den Forderungen des IWF zuzustimmen. Sie betrachten das Brexit-Referendum als Chance, da Großbritannien und andere Staaten ihre Aufmerksamkeit in dieser Zeit nicht auf Griechenland richten werden. Sie glauben, dass das "Ereignis" das griechische Parlament ebenfalls zur Zustimmung bewegen wird.

Wir wissen nicht, ob das erhoffte Ereignis zum gewünschten Ergebnis geführt hätte, da die Konversation Wochen vor der Brexit-Abstimmung publik gemacht wurde. Zumindest demonstrierte der IWF damit ein gewisses Verständnis der Situation. Ziel war es, das widerspenstige Griechenland und die Verhandlungsführer der EU zu einem Kompromiss zu zwingen, an dem man schon seit Jahren erfolglos gearbeitet hatte. Andererseits waren sie offenbar bereit, eine ganz neue Krise auszulösen, um dieses Ziel zu erreichen, wobei sie die Krankheit vielleicht geheilt, den Patienten jedoch umgebracht hätten.


Pro-europäische Voreingenommenheit

Im Juli 2012 kündigte ein leitender Angestellter der europäischen Abteilung des IWF namens Peter Doyle seine Stelle mit einem vernichten Brief an das Management. Sein Schreiben ging damals durchs Internet, ist heute angesichts des aktuellen Berichts des Unabhängigen Evaluierungsbüros aber noch interessanter. Er macht die Spannungen innerhalb des IWF deutlich und beschreibt den Staus Quo innerhalb der Organisation, dessen Opfer er offenbar wurde.

Hier ist ein Auszug:

"Nach zwanzig Jahren des Dienstes schäme ich mich dafür, dass ich überhaupt jemals mit dem Fonds assoziiert war.

Grund dafür ist nicht nur die Inkompetenz, die der Bericht des OIA [des internen Prüfungsbüros] zur globalen Krise und der dreijährliche Überwachungsbericht [Triennial Surveillance Review] im Vorfeld der Krise in der Eurozone aufzeigten, sondern vielmehr auch die Tatsche, dass die substantiellen Probleme während dieser und anderer Krisen weit im Voraus identifiziert, aber verdrängt wurden.

Angesichts der langwierigen internationalen Diskussionen und Entscheidungsprozesse zur Abwendung dieser globalen Herausforderungen waren frühzeitige und nachdrückliche Warnungen von essentieller Bedeutung. Das Versäumnis des Fonds, diese Warnungen zu veröffentlichen, stellt daher ein Versagen allererster Ordnung dar, selbst wenn sie nicht beherzigt worden wären. Zu den Konsequenzen zählen das Leid zahlreicher Griechen (und das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Lage) sowie die Tatsache, dass die zweite globale Reservewährung am Rande des Abgrunds steht, während der IWF in den letzten beiden Jahren versuchte mit den Entwicklungen Schritt zu halten und nur reaktive, verzweifelte Versuche unternehmen konnte, um den Euro zu retten.

Die Faktoren, die unmittelbar zum Versagen des IWF bei seiner Überwachungsaufgabe geführt haben - Risikoaversion, bilaterale Bevorzugung und positive Voreingenommenheit gegenüber Europa - verwurzeln sich darüber hinaus immer tiefer in der Organisation, ungeachtet entgegengesetzter Initiativen. Diese Tendenz offenbart sich am deutlichsten mit Blick auf die geschäftsführenden Direktoren, die innerhalb des letzten Jahrzehnts offensichtlich eine katastrophale Wahl waren. Selbst die aktuelle Amtsinhaberin ist vorbelastet und weder ihr Geschlecht, ihre Integrität noch ihr Elan können die fundamentale Illegitimität des Wahlprozesses aufwiegen.

In einer hierarchischen Institution wie dem IWF wirken sich solche Entscheidungen direkt auf andere Führungskräfte aus und durchdringen mittels der folgenden Ernennungen, befristeten Verträge und Nachfolgeplanungen in den Kreisen der leitenden Mitarbeiter die gesamte Organisation. Das Exekutivdirektorium bevorzugt einen auf diese Weise in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkten Fonds, der den unmittelbaren Ursachen für das Scheitern seiner Überwachungsmission unterworfen bleibt. Hätte ich doch nur schon vor zwanzig Jahren verstanden, dass dies die Wahl der Führungsebene sein würde."


Der Auswahlprozess für den geschäftsführenden Direktor ist tatsächlich seltsam. Traditionell wird dieser Posten immer mit einem Europäer besetzt, während ein Amerikaner der Weltbank vorsteht. Diese ungeschriebenen Regeln leisten keiner der Institutionen gute Dienste, denn sie sollten die bestmögliche Führungspersönlichkeit wählen und hochqualifizierte Kandidaten nicht allein deswegen ausschließen, weil sie vom falschen Kontinent stammen.

Doyles Brief hätte eine Warnung über die Missstände innerhalb des IWF sein sollen. Stattdessen wurde er als Missgunst seitens eines verärgerten Mitarbeiters abgetan und die Probleme spitzten sich zu. Den entscheidenden Beweis brachte erst vier Jahre später der Bericht des IEO, der die Warnungen bekräftigt und Doyles Einschätzungen bestätigt.


Vererbte Inkompetenz

Der IWF wurde gegründet, um die Probleme einer vom Krieg zerrissenen Welt zu lösen. Als diese Probleme nicht länger nach einer Lösung verlangten, fand er selbst eine neue Bestimmung für sich und verwandelte sich in eine fest verwurzelte Bürokratie, die einigen verstorbenen Ökonomen und ihren ergrauten Theorien mit zunehmend sklavischer Ergebenheit folgt.

Dabei zwingt der Fonds ganze Staaten zur Selbstaufopferung und nimmt eine Krise nach der anderen in Angriff, indem er neue, zusätzliche Probleme schafft. Er verfolgt gescheiterte Strategien mit verdoppeltem Eifer, verschreibt eine höhere Dosis der gleichen unwirksamen Medizin und beschuldigt die Kreditnehmer der mangelhaften Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen, ohne je die Fehler in seinen eigenen Strategien zu erkennen.

Im Zusammenhang mit anderen Enthüllungen offenbart der interne Prüfbericht engstirnige Bürokraten, die ihre eigenen kleinen Fürstentümer errichten und ihre Hoheitsgebiete eifersüchtig verteidigen, indem sie die belohnen, die ihnen zustimmen, und diejenigen in die Äußere Mongolei (oder deren bürokratisches Äquivalent) verbannen, die ihnen widersprechen. Wenn neue Direktoren und Führungskräfte ihren Platz in der Hierarchie einnehmen, erben sie gleichzeitig die endemische Inkompetenz und Korruption des Systems.

Ich habe keine positiven Worte für den IWF gefunden, doch der Währungsfonds ist nur eine von vielen Institutionen, die sich ihren eigenen bürokratischen Alptraum geschaffen haben. Während es innerhalb dieser Organisationen zwar zahlreiche kompetente Mitarbeiter gibt, werden die Institutionen als Ganzes von ihren Tendenzen und Agendas gelenkt, die sie kollektiv mit in die nächste globale Krise bringen werden. Wenn wir erwarten, dass diese Institutionen, einschließlich der Zentralbanken und der nationalstaatlichen Bürokratien, in kommenden Krisen etwas anderes unternehmen werden, als zum wiederholten Male die gleichen gescheiterten Maßnahmen zu ergreifen, machen wir uns selbst etwas vor.

Die traurige Wahrheit ist, dass der IWF für die überwiegende Mehrheit der Menschen und Länder dieser Erde nur die Spitze des bürokratischen Eisbergs darstellt. Die meisten Staaten werden den IWF nicht für die Probleme verantwortlich machen können, die sich im Laufe der nächsten Krise auftürmen. Sie werden ihre eigene bürokratische Sklerose einer genauen Prüfung unterziehen müssen. Solange wir nicht die grundlegende Ausrichtung und die herrschende Philosophie dieser Organisationen ändern und die institutionalisierte Inkompetenz mit der Wurzel ausreißen, werden sie uns auch in Zukunft die gleichen miserablen Resultate liefern.


© John Mauldin
www.mauldineconomics.com


Dieser Artikel wurde am 13. August 2016 auf www.mauldineconomics.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.